TV-Tipp: "Ferdinand von Schirach: Feinde" (ARD)

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TV-Tipp: "Ferdinand von Schirach: Feinde" (ARD)
3.1., ARD, 20.15 Uhr
Ferdinand von Schirach ist etwas gelungen, wovon andere zeitgenössische Dramatiker nur träumen können: Sein Name ist zum Markenzeichen geworden. Mit "Feinde" wagt die ARD nach "Terror" und "Gott" ein weiteres Experiment. Die Ausstrahlung auf dem eigentlich unantastbaren Sonntagskrimi-Sendeplatz zeigt, welche Bedeutung das Projekt hat.

Erneut geht es um ein kontrovers diskutiertes Thema: Kommissar Peter Nadler (Bjarne Mädel) will einen mutmaßlichen Kidnapper dazu zwingen, das Versteck seines Opfers preiszugeben. Es gibt zwar keinerlei Beweise dafür, dass Georg Kelz (Franz Hartwig) die zwölfjährige Lisa entführt hat, doch die Intuition des Polizisten erweist sich richtig: Unter der Wasserfolter ("Waterboarding") bricht Kelz zusammen. Trotzdem kommt das SEK zu spät; aufgrund eines fatalen Zufalls ist Lisa zwischenzeitlich gestorben.

Natürlich hat sich Ferdinand von Schirach zu seiner Geschichte durch den Fall Jakob von Metzler (2002) inspirieren lassen. Nach der Entführung des Bankierssohns (2002) hat Wolfgang Daschner, damals Vizepräsident der Frankfurter Polizei, dem Kidnapper "unmittelbaren Zwang" angedroht, um das Leben des Kindes zu retten. Viele Menschen hatten Verständnis für die Aktion, die Rechtsprechung jedoch nicht: Daschner wurde wegen schwerer Nötigung angeklagt und verurteilt. Zehn Jahre später haben Jochen Bitzer (Buch) und Stephan Wagner (Regie) die Vorgänge zu einem Film verdichtet, der die Ereignisse aus möglichst neutraler Position schilderte; beide sind 2013 für "Der Fall Jakob von Metzler" mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden. Im Unterschied zu diesem Drama bezieht "Feinde" eine klare Position. Genau genommen sind es zwei: Der Film, den das "Erste" um 20.15 Uhr ausstrahlt ("Gegen die Zeit"), nimmt die Perspektive des Polizisten ein; Teil zwei ("Das Geständnis", 22.30 Uhr), der in den dritten Programmen zur gleichen Zeit läuft, zeigt die Sichtweise von Kelz’ Strafverteidiger (Klaus Maria Brandauer). Dürfte das Publikum nach Teil eins abstimmen, würde es Nadlers Aktion vermutlich gutheißen. Nach Teil zwei könnte das anders aussehen, denn Rechtsanwalt Biegler erläutert eindringlich, warum Folter in einem Rechtsstaat nie ein Instrument der Wahrheitsfindung sein darf.

Inhaltlich unterscheiden sich die Filme allerdings nur in ihrer jeweils ersten Hälfte, denn die zweite ist ein reines Gerichtsdrama. Trotzdem hat Regisseur Nils Willbrandt ("Mörderisches Tal - Pregau"), der die Drehbücher gemeinsam mit Jan Ehlert geschrieben hat, diese zweiten rund vierzig Minuten nicht einfach wiederholt. Die Dialoge sind identisch, aber dank der neuen Inszenierung wird jetzt der Verteidiger zum Protagonisten. Auch stilistisch weichen die Filme dank der herausragenden Bildgestaltung (Kamera: Sebastian Edschmid) deutlich voneinander ab: Teil eins ist in dunklen, oft grauschwarzen Tönen gehalten, Teil zwei ist ungleich freundlicher. Bieglers Kanzlei wirkt regelrecht heimelig; auch die Atmosphäre im Gerichtssaal ist längst nicht mehr so düster. Gaststars wie Samuel Finzi (Bieglers Arzt) und Ulrike Kriener (Bieglers Frau) bringen zudem einen anderen Tonfall in den Film. Die Gerichtsszenen sind nun eine einzige Verbeugung vor Klaus Maria Brandauer in seiner ersten TV-Rolle seit dem Alzheimer-Drama "Die Auslöschung" (2013).

Natürlich ist Biegler eine typische von-Schirach-Figur, und das nicht nur, weil er den gleichen Namen wie der von Lars Eidinger verkörperte Jurist in "Terror" und "Gott" trägt: Fast buddhagleich ruht der Strafverteidiger während der Verhandlung in sich selbst; aus der Ruhe bringen ihn nur die unbotmäßigen Zwischenrufe der Staatsanwältin (Neda Rahmanian). Die Besetzung des Kommissars mit Bjarne Mädel war ohnehin ein cleverer Schachzug, weil Nadler auf diese Weise quasi automatisch zum Sympathieträger wird. Franz Hartwig, der schon seine Rolle als Mörder in der Sky-Serie "Der Pass" (2019) mit einer irritierenden Mischung aus Unscheinbarkeit und Charisma interpretiert hat, erweist sich als ähnlich gute Wahl. Im ersten Film besteht daher überhaupt kein Zweifel an der Schuld des Verdächtigen und an der Sichtweise Nadlers, der zur Einführung sagt, eine friedliche Gesellschaft kann nur existieren, wenn Verbrecher für ihre Taten bestraft würde – "Das ist für mich Gerechtigkeit."

Biegler kündigt dagegen zu Beginn von Teil zwei an, er werde "eine ganz andere Geschichte erzählen". Die Folterszenen sind auch im ersten Film grausam, aber im zweiten Teil zeigt Willbrandt sie aus Sicht von Kelz, der nun zum Opfer wird; prompt weckt der willkürliche Akt Empörung. Da sämtliche Spuren perfekt verwischen worden sind, kann der Anwalt unwiderlegbar behaupten, Kelz sei womöglich bloß ein Mitläufer gewesen; auch der Film lässt diese Frage offen. Gerechtigkeit, resümiert Biegler, sei nur durch die Anwendung des Rechts zu erreiche, auch wenn das manchmal schwer zu akzeptieren sei. Kein Wunder, dass Eltern, Polizisten und Juristen, denen die beiden Filme vorab in einem Kino gezeigt worden sind, sehr ambivalent reagiert haben. In der Dokumentation "Recht oder Gerechtigkeit", die die ARD um 21.45 Uhr zeigt, kommt außerdem neben Ferdinand von Schirach auch Entführungsopfer Richard Oetker zu Wort.