TV-Tipp: "Gott"

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TV-Tipp: "Gott"
23. November, ARD, 20.15 Uhr
Der Film "Gott" basiert auf einem Theaterstück von Ferdinand von Schirach. Ausgangspunkt ist die im Februar 2020 gefällte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das jeder Mensch das Recht auf einen selbstbestimmten Tod habe.

In dem Fernsehfilm "Terror - Ihr Urteil" um die Frage, ob es moralisch vertretbar sei, 164 Menschen zu töten, um 70.000 zu retten: Ein islamistischer Entführer hat einen Airbus gekapert. Er will die Maschine auf die vollbesetzte Allianz Arena abstürzen lassen; ein Kampfpilot widersetzt sich einem ausdrücklichen Befehl und schießt das Flugzeug ab. Die Entscheidung des TV-Publikums war eindeutig: Die überwältigende Mehrheit (86,9 Prozent) plädierte für einen Freispruch des Piloten.

Vermutlich hätte die ARD das Experiment auch ohne die für einen derart anspruchsvollen Stoff außerordentlich gute Einschaltquote (6,88 Millionen Zuschauer) wiederholt: "Gott" basiert gleichfalls auf einem Theaterstück von Ferdinand von Schirach, der auch das Drehbuch geschrieben hat. Produzent Oliver Berben hat das Projekt erneut Lars Kraume anvertraut, der für "Terror" mit dem Deutschen Fernsehpreis für die beste Regie ausgezeichnet worden ist. Diesmal wird am Ende zwar kein Urteil im juristischen Sinn gefällt, aber auch "Gott" folgt dem Muster eines Gerichtsdramas. Ausgangspunkt ist die im Februar 2020 gefällte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das jeder Mensch das Recht auf einen selbstbestimmten Tod habe. Der deutsche Ethikrat diskutiert mit Hilfe von Sachverständigen über die Frage, ob Ärzte den entsprechenden Wunsch eines lebensmüden Patienten erfüllen sollten. Wie im Epischen Theater von Brecht kann sich das Publikum eine Meinung bilden und sie im Anschluss an den Film auch kundtun.

Die Besetzung ist herausragend und womöglich noch treffender als bei "Terror", wobei es sich als großes Glück erweist, dass Lars Eidinger auch diesmal den nassforschen Rechtsanwalt Biegler verkörpern darf, zumal dessen süffisant-sarkastischen Kommentare für gelegentliche Heiterkeit sorgen; kein Wunder, dass ihn die Ratsvorsitzende (Barbara Auer) mehrfach zur Ordnung rufen muss. Schauspielerischer Höhepunkt des Films ist ein theologischer Disput des Juristen mit Bischof Thiel, einem Mitglied der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz. Wäre "Gott" ein Kinofilm, wäre schon allein das darstellerische Duell zwischen Eidinger und Ulrich Matthes das Eintrittsgeld wert. Auch die weiteren Mitwirkenden verkörpern ihre Rollen perfekt: Christiane Paul erklärt als Verfassungsrichterin die feinen juristischen Unterschiede zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe und verweist auf die Erfahrungen in anderen Ländern, Götz Schubert erläutert als Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer seine Sichtweise als Mediziner. Weil es keine Anklage und somit keinen Staatsanwalt gibt, ist Eidinger fast zwangsläufig exponiert, denn Biegler nimmt den Arzt und den Bischof ins Kreuzverhör: Beide lehnen die aktive Sterbehilfe ab, der eine aus ethischen, der andere aus religiösen Gründen. Der Mediziner beruft sich auf den Eid des Hippokrates: Ein Arzt "soll heilen und nicht töten"; außerdem ermöglichten Hospize und die Palliativmedizin ein Sterben in Würde. Der Bischof wiederum verweist auf die Bibel und seinen Glauben: Das Leben sei heilig; Gott habe es gegeben, nur er dürfe es nehmen, Selbstmord sei reiner Egoismus und unmoralisch gegenüber der Gemeinschaft. Der exzellent vorbereitete Jurist zerpflückt die Argumente jedoch regelrecht, weshalb diese Debatten auch ein intellektuelles Vergnügen darstellen.

Zum exquisiten Ensemble, dessen Darbietungen den Film fast dokumentarisch wirken lassen,  gehören außerdem noch Matthias Habich als Witwer, der sehr bewegend vorträgt, warum er seit dem qualvollen Tod seiner Frau keinerlei Sinn mehr im Weiterleben sieht, Anna Maria Mühe als seine Ärztin, die sich geweigert hat, Beihilfe zu seinem Suizid zu leisten, sowie Ina Weisse als Vertreterin des Ethikrats, die die Sachverständigen befragt. Sie verweist auf die Euthanasie im Nationalsozialismus und ist daher der Meinung, die Erlaubnis zum assistierten Suizid sei ein Dammbruch, der das sittliche Fundament unserer Gesellschaft zerstören würde. Gerade in diesem ständigen Pro und Contra liegt der Reiz des Films, zumal es anders als bei dem Fallbeispiel aus "Terror" in allen Debattenbeiträgen um eine sehr konkrete Frage geht, die jeden betrifft: Wem gehört unser Leben? Gott, der Kirche, den Ärzten, dem Staat? Oder doch uns selbst? Jeder will selbstbestimmt leben; was spricht dagegen, auch selbstbestimmt sterben zu wollen?

Es ist Ferdinand von Schirach zudem gelungen, die philosophischen, ethisch-moralischen und juristischen Diskurse in Dialoge zu fassen, die nicht akademisch abgehoben, sondern jederzeit nachvollziehbar sind. Das spiegelt sich nicht zuletzt in der Wahl des Raums wider: Der Gerichtssaal in "Terror" war kühl und abweisend. "Gott" spielt dagegen in einer Bibliothek, deren Holz für eine behagliche Atmosphäre sorgt. Am Ende stellt die Vorsitzende die Frage, die das Publikum beantworten soll: "Halten Sie es für richtig, einem gesunden Menschen ein tödliches Medikament zu geben? Würden Sie es tun, wenn sie Arzt wären?" Das Ergebnis wird anschließend in "Hart aber fair" verkündet und diskutiert.