TV-Tipp: "Der Kommissar und das Meer: Aus glücklichen Tagen"

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TV-Tipp: "Der Kommissar und das Meer: Aus glücklichen Tagen"
21. November, ZDF, 20.15 Uhr
„Außergewöhnlich“ wäre vielleicht etwas übertrieben, aber ungewöhnlich ist der erzählerische Ansatz dieser 28. Episode aus der ZDF-Reihe „Der Kommissar und das Meer“ durchaus: Der Film beginnt mit einem Mord, der nicht aufgeklärt wird, weil die Tat geschickt als Suizid kaschiert worden ist.

Fortan spielen Täter und Opfer zunächst jedoch gar keine Rolle mehr. Dennoch bleibt die Tat präsent, denn die Hauptfigur des Films ist ein Polizist, den das Ereignis komplett aus der Bahn geworfen hat. Der Tote war sein Freund; Sigge Sundström (Matti Boustedt) hat nie an die Theorie vom Suizid geglaubt. Er ist auch ein Jahr später noch überzeugt, dass der Mörder ein ganz bestimmter Polizist war. Weil er aus seinem Verdacht keinen Hehl gemacht hat, gilt er seither nicht nur als Verschwörungstheoretiker, sondern auch als „Kollegenschwein“. Seine Besessenheit sowie die Anfeindungen im Revier hatten zur Folge, dass er psychisch immer labiler geworden ist, bis seine Frau Trost in den Armen eines Anderen gefunden hat. Seine Freizeit verbringt Sundström damit, der Gattin nachzustellen; in seiner Dienstzeit schikaniert er ihren Liebhaber, der zudem als Verdächtiger im zweiten Mordfall gilt.

In der Regel ist es bedauerlich, dass in der auf Gotland produzierten Reihe keine deutschen Gastdarsteller mehr mitwirken. Der Schwede Matti Boustedt ist jedoch eine ausgezeichnete Besetzung für seine Rolle, zumal er schon auf den ersten Blick jenen freien Fall erahnen lässt, in dem sich Sundström befindet. Großen Anteil an der schauspielerischen Wirkung hat auch die Leistung des Synchronschauspielers. Die Synchronisierung des Films ist ohnehin gut, aber Jan David Rönfeld macht seine Sache als deutsche Stimme vorzüglich. Dritter und entscheidender Qualitätsaspekt neben Buch und Darstellerführung ist die Inszenierung. Harald Göckeritz (Buch) und Miguel Alexandre (Regie) arbeiten seit 25 Jahren immer wieder zusammen, zu ihren gemeinsamen Werken gehören unter anderem „Grüße aus Kaschmir“ (Grimme-Preis 2005), der Udo-Jürgens-Film „Der Mann mit dem Fagott“ (2001) sowie diverse Episoden für „Der Kommissar und das Meer“. „Aus glücklichen Tagen“, Alexandres achter Film für die Reihe, ist ein weiterer Beleg für das hohe Qualitätsniveau des Duos: Nach dem Prolog und dem Zeitsprung in die Gegenwart scheint sich der Film in handelsüblichen Bahnen zu bewegen; erst nach und nach zeigt sich, wie clever Göckeritz die Geschichte konzipiert hat.

Sehenswert ist auch die Bildgestaltung, die Alexandre seit einigen Jahren bis auf ganz wenige Ausnahmen stets selbst übernimmt. Den Auftakt und die späteren Rückblenden hat er so gefilmt, dass sie wie das Negativ einer analogen Fotografie aussehen; der wirkungsvolle Verfremdungseffekt verdeutlicht, wie sehr die Ereignisse Sundström aus der Spur geworfen haben. Gerade bei den Schweden-Krimis ist Alexandres Kamera zudem meist ganz nah an den Schauspielern. Emotional bleibt sie trotzdem auf Distanz: weil sie in langen ungeschnittenen Einstellungen bloß beobachtet, aber keine Nähe herstellt. Sundström wird zwar mehr und mehr zur tragischen Figur der Geschichte und weckt folgerichtig entsprechendes Mitgefühl, benimmt sich aber auch äußerst seltsam. Unklar bleibt zunächst zum Beispiel, welche Rolle der Polizist beim jüngsten Mordfall spielt. Die Gegenwartshandlung beginnt mit einem Notruf: Ein Mann hat einen Schuss in der Nachbarschaft gehört, offenbar ist eingebrochen worden. Sundström ertappt eine junge Frau mehr oder weniger in flagranti, lässt sie aber laufen. Der Einbruch ist Teil einer Serie. Eine erste Spur führt Robert Anders (Walter Sittler) zu den Holms, einer früheren Artistenfamilie: Vater Melvin (Douglas Johansson) ist Gärtner und Hausmeister der betroffenen Häuser, seine schöne Tochter Zoe (Ellen Bergström) jobbt in der Stammkneipe des Polizeireviers, und Anders braucht nicht lange, um sich zu fragen, in welcher Beziehung Sundström und Zoe zueinander stehen. Der Kommissar mit den deutschen Wurzeln hat vor einem Jahr auch den vermeintlichen Suizid bearbeitet, und je mehr er sich nun mit Sundström befasst, umso plausibler erscheint ihm dessen vermeintliche Verschwörungstheorie.

Weil der Prolog die Tat gezeigt hat, steht die Identität des Mörders von Anfang an fest, aber natürlich nur aus Zuschauersicht. Dass der Polizist mit seinem Verdacht nur knapp daneben liegt, vergrößert die Tragik seines Schicksals und damit den heiligen Zorn, mit dem er am Schluss eigenhändig für Gerechtigkeit sorgen will. Hervorzuheben ist auch die stimmungsvolle Musik von Wolfram de Marco, ebenfalls ein langjähriger Weggefährte Alexandres, der bei den Auftritten von Sundström immer wieder ein Dudelsackmotiv integriert. Kleine Jump-Cuts unterstreichen auch bildlich die Sprunghaftigkeit und Unberechenbarkeit des Mannes. In der eindrucksvollsten Szene statten die Polizisten den Holms einen Besuch bei Nacht und Nebel ab. Die bunte Beleuchtung der Zirkuswagen sorgt für ein Licht, das auch aus einem Endzeitfilm stammen könnte, zumal die gelben Nebelschwaden regelrecht giftig aussehen; tatsächlich endet in dieser Nacht der Lebensweg einer der Hauptfiguren dieser Episode.