TV-Tipp: "Tatort: Limbus"

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TV-Tipp: "Tatort: Limbus"
8. November, ARD, 20.15 Uhr
Für einen TV-Krimi ist der "Tatort: Limbus" eine höchst ungewöhnliche Geschichte, die wohl in keinem anderen Reihenformat als dem "Tatort“ aus Münster denkbar wäre. Die Umsetzung weckt Assoziationen an viele große Kinovorbilder; Boernes Erfahrungen als unsichtbarer Todgeweihter zwischen den Lebenden erinnern an Filme wie "Ghost – Nachricht von Sam" (1990) oder "The Sixth Sense" (1999).

In der katholischen Theologie ist der Limbus der Vorhof zur Hölle: Hier harren verstorbene Seelen ihres weiteren Schicksals. Die Glücklichen dürfen in den Himmel, alle anderen erwartet ein Dasein in ewiger Verdammnis; das möchte Karl-Friedrich Boerne natürlich vermeiden. Noch lieber wäre es ihm allerdings, er würde gar nicht sterben, aber das liegt nicht in seiner Macht: Der Rechtsmediziner befindet sich nach einem Mordversuch im Koma und ist auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, dass seine beiden besten Freundfeinde seine endgültige Ermordung verhindern; nur dann kann er mit einer Rückkehr ins Leben rechnen. Gelingt ihnen das nicht, wird er wohl in der Hölle schmoren: Was seine Mitmenschen nach seinem potenziellen Ableben über ihn sagen, prädestiniert ihn kaum für ein Dasein im Himmel. Selbst die Staatsanwältin lästert, allerdings noch zu seinen Lebzeiten: "Karl-Friedrich – mit großem Ich".

 

Für einen TV-Krimi ist das eine höchst ungewöhnliche Geschichte, die wohl in keinem anderen Reihenformat als dem "Tatort" aus Münster denkbar wäre. Die Umsetzung weckt Assoziationen an viele große Kinovorbilder; Boernes Erfahrungen als unsichtbarer Todgeweihter zwischen den Lebenden erinnern an Filme wie "Ghost – Nachricht von Sam" (1990) oder "The Sixth Sense" (1999). Für Magnus Vattrodt (Buch) und Max Zähle (Regie) bedeutete das eine echte Gratwanderung, schließlich stehen der Rechtsmediziner (Jan Josef Liefers) und Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) wie kaum ein zweites Duo für sogenannte Schmunzelkrimis. "Limbus" ist weit entfernt davon, eine Komödie zu sein, aber dennoch ist es Zähle gelungen, der Geschichte trotz ihres Thriller-Potenzials – immerhin geht es um Leben und Tod – eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen.

Die Handlung beginnt mit einem Abschiedsessen: Boerne will sich für einige Monate nach Holland zurückziehen, um ein Buch über seine Arbeit zu schreiben; seine Vertretung ist bereits organisiert. Allerdings kommt er nicht weit. Nachdem er sich mühsam aus seinem überschlagenen Auto befreit hat, scheint er für die zum Unfallort eilenden Rettungskräfte Luft zu sein. Auch Thiel schaut durch ihn hindurch; aber dann taucht ein zweiter Thiel auf, der ihn wahrnimmt. Boerne landet im Limbus, einem Zwischenreich, und muss eine Wartenummer ziehen. Wenn sein Fall geklärt ist, wird ihn ein Paternoster nach oben oder nach unten bringen; bis dahin muss er erst mal ein einen Stapel Formulare ausfüllen.

Allein diese Idee ist grandios und verblüffend, zumal für einen "Tatort". Zum Krimi wird die Geschichte, weil das Publikum im Gegensatz zu Thiel und Boernes Assistentin Haller (ChrisTine Urspruch) weiß, warum der Rechtsmediziner den Unfall hatte: Ein Schwindler (Hans Löw) hat die Stelle des Stellvertreters eingenommen. Er wollte Boerne aus dem Verkehr ziehen und sinnt natürlich darauf, sein sinistres Werk zu vollenden; als neuer Rechtsmediziner hat er selbstredend freien Zugang zu dem im Koma liegenden Kollegen. Der wiederum versucht in seiner Daseinsform als Geist verzweifelt, Thiel und Haller vor dem Betrüger zu warnen und das eigene Leben zu retten. Gerade diese Szenen sind bei aller Dramatik sehr lustig, zumal der vor allem für seine Zusammenarbeit mit Matti Geschonneck bekannte zweifache Grimme-Preisträger Vattrodt ("Liebesjahre", 2011, "Das Ende einer Nacht", 2012) einige wunderbare Dialoge geschrieben hat, denn der fast verblichene Boerne hört Dinge über sich, die wenig schmeichelhaft sind. Trotzdem ist Thiel nicht bereit, die Ereignisse tatenlos hinzunehmen; sein Bauchgefühl sagt ihm, dass irgendwas nicht stimmt. Auch Haller stellt zu ihrer eigenen Überraschung fest, wie sehr sie den Professor vermisst, und beginnt auf eigene Faust, Untersuchungen anzustellen; prompt ist sie das nächste Opfer des Betrügers.

Auf eher grimmige Weise komisch sind dagegen die kafkaesken Momente im Limbus, dessen Gestaltung gerade aufgrund der Schlichtheit sehr eindrucksvoll ist (Szenenbild: Michaela Schumann). Die Wände in dieser "Abteilung römisch zwei" sind grauschwarz, das sparsame Mobiliar ebenso. Der Boden ist mit Wasser bedeckt, und in einem Uraltfernseher mit gestörtem Empfang wird permanent ein Karnevalsumzug übertragen. Mehrere Türen führen in endlose neonbeleuchtete Flure. Natürlich will Boerne hier raus, und tatsächlich entdeckt er einen winzigen Notausganghinweis. Die Flucht gelingt, er befindet sich wieder im Diesseits, aber hier kann ihn niemand sehen. Er ist zwar in der Lage, Dinge anzufassen und zu bewegen, doch jedes Mal, wenn die Kamera zurückschwenkt, befinden sie sich wieder an ihrem ursprünglichen Platz. Ähnlich ergeht es Boerne selbst: Der teuflische Sachbearbeiter sorgt dafür, dass er regelmäßig in Abteilung II zurückkehrt: Seine Anwesenheit in der Welt der Lebenden störe "die Ordnung der Dinge". Eine Einstellung illustriert diesen Teufelskreis perfekt: Boerne verlässt den Raum durch eine Tür und kehrt im selben Augenblick durch eine andere wieder zurück. Inmitten all’ dieser düsteren Tristesse gibt es jedoch eine berührende Begegnung mit einer Verstorbenen, und es ist sehr schön, dass die Schauspielerin bereit war, für diese überraschenden Filmsekunden mitzuwirken.

Max Zähle hat nach seinem Regiedebüt mit der originellen Kinokomödie "Schrotten" (2016) ausschließlich sehenswerte Fernsehfilme gedreht, darunter die dritte und erste wirklich gute "Wolfsland"-Episode "Der steinerne Gast" (2018) und das vorzüglich gespielte und geschickt konzipierte Beziehungsdrama "Bist du glücklich?" (2019). "Limbus" ist sein Meisterstück, zumal er mit Frank Küpper einen der renommiertesten deutschen Bildgestalter an seiner Seite hatte.