Rekowski: Kirche muss Lobbyist der Menschlichkeit sein

Rekowski: Kirche muss Lobbyist der Menschlichkeit sein
Kirche darf sich nach den Worten des rheinischen Präses Manfred Rekowski angesichts der sozialen Herausforderungen nicht auf Mildtätigkeit beschränken.

"Der Handlungsbedarf ist groß und da sehe ich unsere Aufgabe als Kirche als Lobbyist der Menschlichkeit", sagte Rekowski am Mittwochabend bei einer Online-Podiumsdiskussion anlässlich der Feiern zum 200. Geburtstags Friedrich Engels. Die Fragen, die der kommunistische Revolutionär und Religionskritiker Engels gestellt habe, seien nach wie vor aktuell, betonte der Präses der zweitgrößten Landeskirche in Deutschland.

Eines der dringendsten Probleme sei für ihn die Kinderarmut, sagte Rekowski. In Wuppertal, Engels Heimatstadt, lebe heute jedes dritte Kind in Armut oder sei von Armut bedroht. Damit würden viele Kinder schon früh ihrer Zukunftschancen beraubt. "Ich finde das extrem bedrückend und bedrohlich für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung."

Ein schwerwiegendes soziales Problem sehe er auch darin, dass sich Teile der Bevölkerung vom Staat abwendeten, sagte Rekowski weiter. Im sozial schwierigen Stadtteil Wuppertal-Oberbarmen zum Beispiel habe die Wahlbeteiligung bei den NRW-Kommunalwahlen im September bei nur 7,2 Prozent gelegen. "Für mich drückt diese Zahl aus, dass die soziale Situation bei großen Teilen der Bevölkerung dazu führt, die demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten, die Teilhabemöglichkeiten nicht zu nutzen." Ihr Vertrauen gegenüber dem Staat gehe verloren. Das sei eine krisenhafte Situation.

Hier sei es Aufgabe der Kirche, sich als Anwalt des Wandels einzubringen, betonte Rekowski. Dabei müsse sie eine Doppelstrategie aus Erster Hilfe und Lobbyarbeit fahren: "Es geht nicht, dass wir uns auf Mildtätigkeit und Barmherzigkeit beschränken. Es geht darum, dass wir Menschen zu ihrem Recht verhelfen."

Die Göttinger Arbeitssoziologin Natalie Grimm sagte, sie erkenne in aktuellen sozialen Verwerfungen große Ähnlichkeiten mit den sozialen Fragen, die Engels zu Beginn der Industrialisierung gestellt habe. Ursache sozialer Ungleichheit seien heute sogenannte atypische Arbeitsverhältnisse wie Solo-Selbständigkeit, Werksverträge oder Leiharbeit, die deutlich zugenommen hätten. Die derzeitige Corona-Krise könne als Chance dienen, die Bedeutung öffentlicher Institutionen wieder zu stärken, erklärte Grimm. Der Wuppertaler Historiker Lars Bluma sieht dagegen unmittelbaren Handlungsbedarf in der ökologischen Frage. Sie sei möglicherweise die größte Herausforderung, um Veränderungen voranzutreiben, betonte er.