TV-Tipp: "Tatort: Krank"

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TV-Tipp: "Tatort: Krank"
25. Oktober, ARD, 20.15 Uhr
Der ORF-Krimi "Krank" liefert ein mustergültiges Beispiel für die perfekte Kombination aus Nervenkitzel und inhaltlicher Relevanz.

Die Liste des Scheiterns ist lang: Regelmäßig versucht der "Tatort", relevante Themen mit einer klassischen Mördersuche zu verknüpfen; dank der Krimispannung lassen sich viel mehr Zuschauer für einen Stoff gewinnen als durch Reportagen oder Dramen. Die Qualität der Filme steht und fällt meist damit, wie geschickt die Autoren ihr Anliegen verpackt haben. Der ORF-Krimi "Krank" liefert ein mustergültiges Beispiel für die perfekte Kombination aus Nervenkitzel und inhaltlicher Relevanz, zumal Rupert Henning (Buch und Regie) seine ungewöhnlich komplexe Geschichte mit großem Geschick auf mehreren Ebenen erzählt. Der Prolog ist zudem ein perfekter Köder: Eisner (Harald Krassnitzer) wird halb betäubt in eine leere Halle geschleppt. Einige Meter entfernt liegt eine gefesselte Frau. Der Entführer erschießt erst sie und dann den Oberstleutnant, das ist zumindest sein Plan: "Also dann, Eisner – Dienstschluss!"; Schuss, Schwarzblende. Derweil versucht Bibi Fellner (Adele Neuhauser) vergeblich, den Kollegen zu erreichen. Der ist gar nicht tot, sondern beim Arzt, er hat’s im Kreuz; auf die Schwarzblende folgt eine lange Rückblende, wenn auch ohne den üblichen Hinweis ("zwei Tage vorher").

Dieses Spiel mit Sehgewohnheiten und Erwartungen zieht sich durch den gesamten Film und sorgt ständig für Überraschungen. Zu einem besonderen "Tatort" wird "Krank" aber durch die vielschichtige Erzählstruktur. Nach dem Prolog setzt die Krimihandlung mit einem vorsätzlichen Automord ein: Peter Simon ist vor einem Gerichtsgebäude überfahren worden. Am Vorsatz des Täters (oder der Täterin) besteht kein Zweifel, das Auto hat den Mann noch ein zweites Mal überrollt. Auf der Suche nach einem Motiv stoßen Eisner und Fellner recht bald auf die Ex-Frau. Simon stand wegen grober Vernachlässigung der Fürsorgepflicht vor Gericht: Seine Tochter hatte eine im Grunde harmlose bakterielle Infektion, an deren Folgen sie jedoch gestorben ist, weil ihr Vater sie nicht mit Antibiotika, sondern mit offenbar wirkungslosen alternativen Heilmethoden behandelt hat. Ex-Frau Maria (Sabine Timoteo) gehörte in Kolumbien einer Terrorgruppe an, hätte also die nötige Kaltblütigkeit. Als nach und nach noch weitere Beteiligte sterben, ist das Duo vom Wiener BKA überzeugt, dass die Frau eine Todesliste abarbeitet; aber die Wahrheit ist viel komplizierter.

Eigentliches Thema des Films ist der Glaubenskrieg um die Globuli: Befürworter schwören auf die Erfolge von Naturheilmitteln, Skeptiker verweisen darauf, dass sich die Wirkung homöopathischer Medikamente wissenschaftlich nicht beweisen lasse. Trotzdem bedienen sich auch immer mehr Schulmediziner dieser Methoden; womöglich, weil viele Patienten das erwarten. Rationalist Eisner gehört selbstredend zur Fraktion der Zweifler und macht aus seinen Vorbehalten keinen Hehl. Im Unterschied etwa zum "Tatort" aus Köln, in dem die beiden Kommissare in solchen Fällen gern unterschiedliche Positionen einnehmen und diese dann ausdiskutieren, führt Eisner die entsprechenden Gespräche mit dem Rechtsmediziner (Günter Franzmeier). Der hat in dieser Sache zur Überraschung des Polizisten eine durchaus differenzierte Haltung, die sich mit dem Satz "Wer heilt, hat Recht" zusammenfassen ließe.

Letztlich geht es jedoch um einen ganz anderen Aspekt: Globuli und Heilkräuter haben ihren Preis; die Alternativmedizin macht Umsätze in Milliardenhöhe. Vor Gericht stand zwar der Vater, aber angeklagt waren zumindest implizit auch die Heilmethoden, denn Simon war Mitbegründer eines offenbar florierenden Unternehmens, das sich auf Naturheilverfahren spezialisiert hat. Ein Aussteiger offenbart in einem TV-Interview, dass in diesem Segment genauso betrogen, bestochen und erpresst werde wie bei anderen Pharma-Konzernen; auch die sanfte Medizin ist offenbar ein hartes Geschäft. Beide Ebenen, die Verhandlung wie auch das Interview, integriert Henning in Form von optischen oder akustischen Einschüben. Auf diese Weise wird die Materie noch unüberschaubarer, als sie ohnehin schon ist, aber der Regisseur hat die verschiedenen Handlungsstränge ungemein geschickt miteinander verknüpft.

Dank der häufigen Schauplatzwechsel wirkt der Film optisch sehr aufwändig. Unter anderem schleppt Fellner den Kollegen in die Wiener Votivkirche, um ihm zu erklären, dass es ohne Judas womöglich kein Christentum gegeben hätte. Die österreichische Alternativmedizin hat  auch einen Messias; aber der ist nun ebenfalls tot. Davon abgesehen wechselt "Krank" dauernd das Vorzeichen: Nach dem doppelten Thriller-Auftakt wird es erst mal heiter. Wechselbäder dieser Art sind so etwas wie das Markenzeichen der ORF-Sonntagskrimis: Ganz gleich, wie düster die Umstände auch sein mögen, es findet sich stets ein Anlass für die beliebten Frotzeleien zwischen Eisner und Fellner, zumal Krassnitzer und Neuhauser diese kurzen Wortwechsel wunderbar trocken vortragen. Ähnlich gelungen sind die Auseinandersetzungen mit dem unbeliebten, aber unerwartet geistreichen Kollegen vom Verfassungsschutz (Dominik Warta). Kurz drauf kehrt der Film in den Thriller-Modus zurück. Die schlagzeugbetonte Musik von Kyrre Kvam sorgt ohnehin dafür, dass die Spannung nie nachlässt, zumal über allem ja noch das Damoklesschwert des Prologs schwebt, verbunden mit der Frage, wer Eisners Mörder ist; die Antwort darauf ist eine weitere der vielen Überraschungen dieses herausragend guten Krimis. Der Ausgang des vorweggenommenen Finales wird zwar niemanden verblüffen, aber der Schlussdialog ist klasse.