TV-Tipp: "Murks in Germany"

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TV-Tipp: "Murks in Germany"
23. Oktober, ZDFinfo, 20.15 Uhr
"Murks in Germany" klingt plakativ, trifft die Botschaft der beiden Dokumentationen von Milena Schwoge jedoch perfekt: Wenn hierzulande ein Großprojekt beschlossen wird, können die Bürger davon ausgehen, dass die Fertigstellung doppelt so lange dauert und doppelt so viel kostet.

Damit steht Deutschland im weltweiten Vergleich zwar nicht alleine da, aber das ist ein ebenso schwacher Trost wie die Tatsache, dass der Kölner Dom erst nach über sechshundert Jahren fertig geworden ist.

Im ersten von zwei Filmen, die ZDFinfo nacheinander zeigt, analysiert die Autorin mit Hilfe vieler Gesprächspartner, warum Unternehmungen wie Stuttgart 21, der Berliner Flughafen BER oder die Hamburger Elbphilharmonie derart aus dem Ruder gelaufen sind. Das Konzerthaus ist immerhin fertig und ein Wahrzeichen der Stadt geworden; die Baukosten von anfangs knapp 800 Millionen Euro haben sich im Verlauf der fast zehnjährigen Bauzeit jedoch vervielfacht. Der frühere Erste Bürgermeister Hamburgs, Ole von Beust, räumt in Schwoges Film ein, dass man das Vorhaben mit dem Wissen von heute gar nicht erst angegangen wäre.

Als Fass ohne Boden entpuppte sich schon nach kurzer Zeit auch der unter die Erde verlegte Stuttgarter Bahnhof. 1995 sprachen die Planer von Baukosten in Höhe von 2,6 Milliarden. Die Zahl musste sukzessive gesteigert werden. Heutige geht man davon aus, dass das Vorhaben beim für 2025 geplanten Abschluss 8,2 Milliarden Euro gekostet haben wird; und das ist garantiert noch nicht die endgültige Zahl. Der Flughafen Berlin Brandenburg schließlich war während seiner 14jährigen Bauzeit inklusive fünf verschobenen Eröffnungen und einer Komplettsanierung noch vor Nutzungsbeginn eine derartige Realsatire, dass Mario Barth bloß die Fakten aufzählen muss, um sein Publikum zu erheitern. Unfreiwillig komisch sind auch die Absurditäten, die die Autorin im zweiten Film vorstellt: eine Geisterbrücke, die irgendwo in NRW einsam in der Landschaft rumsteht, oder eine bayerische Haselmausbrücke in einer Gegend, in der es gar keine Haselmäuse gibt. 

Angesichts einer Liste, die sich beliebig verlängern ließe, etwa um eine Investitionsruine wie den nie ans Netz gegangenen Schnellen Brüter in Kalkar oder die verschiedenen Transrapid-Strecken, stellt sich natürlich die Frage nach den Ursachen. Schwoges Film zeichnet sich nicht nur durch eine klare Analyse, sondern auch durch eine kluge Auswahl der Interviewpartner aus. Während die Expertinnen und Experten anderswo gern auch mal alle das Gleiche sagen, bloß unterschiedlich formuliert, hat die Autorin dafür gesorgt, dass der Gegenstand ihres Films von unterschiedlichsten Seiten beleuchtet wird. Entsprechend vielfältig sind die Erklärungsansätze. Den einleuchtendsten Satz sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes: "Vor der Hacke ist es dunkel." Der alte Bergmannspruch dient heute als Devise für den Tiefbau und hat nichts von seiner Gültigkeit verloren. Man könnte auch sagen: Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Deshalb spricht Bauingenieur Heinz Ehrbar, der mit dem Gotthardt-Tunnel eins der ambitioniertesten Bauprojekte in der Schweizer Geschichte geleitet hat, vom "Fluch der ersten Zahl": weil man immer mit unerwarteten Kosten rechnen müsse. 

Hierzulande sind es neben unwägbaren Bodenverhältnissen vor allem Mensch und Tier, die für Verzögerungen sorgen. In Stuttgart hat allein die Umsiedlung einer bedrohten Eidechsenart ein Vermögen verschlungen. Die schwäbische Metropole war auch der Geburtsort des sogenannten Wutbürgers. Thomas Schröer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, nennt die damit verbundene Haltung "not in my backyard". Anders gesagt: Natürlich bin ich für Windenergie; solange die Anlagen nicht meine schöne Aussicht beeinträchtigen.

Schwoges wichtigster Zeuge ist jedoch Bent Flyvbjerg. Der Däne ist Professor für Planungswesen in Oxford und hat weltweit Großprojekte analysiert. Die Planungen, so sein Fazit, seien fast immer zu optimistisch, der Nutzen werde überbewertet, die Kosten würden unterschätzt. Immerhin hat die Politik Einsicht gezeigt. Eine noch vom früheren Bundesverkehrsminister Ramsauer eingesetzte Reformkommission empfiehlt: Erst planen, dann bauen. Diese Maxime zieht sich auch durch den im Anschluss gezeigten zweiten Teil. Er ist Ergebnis derselben Recherche, auch die Gesprächspartner sind die gleichen. Inhaltlich gibt es ebenfalls Übereinstimmungen, selbst wenn die Autorin nun andere Schwerpunkte setzt; es geht unter anderem um die Frage, was Deutschland von anderen Nationen lernen kann und wie sich Bürger bei mutmaßlich kontroversen Großprojekten möglichst frühzeitig einbinden lassen. Beide Filme sind trotz einiger Redundanzen gleichermaßen sehenswert und aufgrund der vielen differenziert behandelten Aspekte, der grafischen Auflockerung sowie der markanten Sprecherleistung von Andreas Birnbaum überraschend kurzweilig.