TV-Tipp: "München Mord: Ausnahmezustand"

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TV-Tipp: "München Mord: Ausnahmezustand"
17. Oktober, ZDF, 20.15 Uhr
Es ist immer riskant, einen Film im Fußballumfeld anzusiedeln. Einige Zuschauer mag das Milieu besonders anziehen, aber viele schreckt es doch eher ab. Schon deshalb ist "Ausnahmezustand", der elfte Fall für das Trio der ZDF-Krimireihe "München Mord", ein mutiges Unterfangen: Es geht von Anfang bis Ende um nichts anderes als Fußball.

Trotzdem ist der Hintergrund speziell, und das ist das Besondere der Geschichte: Friedrich Ani und Ina Jung (Koautorin und Ehefrau) lassen ihre Geschichte in Giesing spielen. Der Rest der Stadt mag in Rote (FC Bayern) und Blaue (München 1860) aufgeteilt sein, aber hier kommt man als Sechziger zur Welt, und das bleibt man bis zum Tod; das ist eine Frage der Ehre. Der Titel bezieht sich nicht etwa auf einen Anschlag oder Ähnliches, sondern auf einen ganz normalen Heimspielsamstag. Die Handlung setzt allerdings erst nach dem Schlusspfiff ein, die Blauen haben wieder mal verloren, die Menschen wandern vom Stadion in die umliegenden Kneipen, wo die Besserwisser nun das Spiel analysieren. Einer allerdings nicht: Manni Reinl ist ermordet worden. Irgendjemand hat ihn im Hausflur einer Metzgerei in einem Becken für Schnittblumen ertränkt. Der Mörder muss einer der Fans sein, und er ist noch vor Ort, wie Flierl vermutet: weil sich ein Baum am besten im Wald versteckt.

Um auch ein fußballfremdes Publikum anzusprechen, sorgen Ani und Jung dafür, dass zwei ihrer drei Protagonisten die Haltung vieler Zuschauer vertreten: Teamchef Schaller (Alexander Held) hat zwei Tribünenkarten geschenkt bekommen, ist aber lieber in eine Ausstellungseröffnung gegangen und hat die Tickets daher Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) und Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) überlassen. Der Kommissar ist ein echter Blauer und als solcher "Märtyrer ein Leben lang", die Kollegin ist dem Fußball zwar nicht komplett abgeneigt, findet aber, dass es Wichtigeres gibt im Leben. Und schlimmer noch: Ihr Onkel sitzt im Aufsichtsrat der Roten. Das macht sie unter den Blauen zwangsläufig zur doppelten Außenseiterin und für die meisten Zuschauer zur perfekten Identifikationsfigur. Für Neuhauser und den Rest der "Glaubensgemeinschaft" mag der Ausnahmezustand ganz normal sein, aber alle anderen würden sich unter den Fans ähnlich deplatziert fühlen wie Abstinenzler auf dem Oktoberfest.

Auf Dauer kann allerdings auch der gute Regisseur Jan Fehse nicht kaschieren, dass der Film als Milieuschilderung zwar faszinierend, als Krimi aber ein bisschen dünn ist. Es liegt zwar ein gewisser Reiz in der Herausforderung, den Mörder unbedingt noch am selben Tag zu überführen, solange sich die Fans im Kronenstüberl und beim Getränkemarkt in der Nähe rumtreiben, aber im letzten Drittel, wenn Flierl und Neuhauser ihre Ermittlungen auf zwei Verdächtige konzentrieren, dreht sich die Handlung etwas im Kreis: Hannes Bachmaier (Jürgen Tonkel), von allen bloß Breitner genannt, weil er genauso gescheit daherredet wie der frühere Bayern-Star, hatte einen heftigen Streit mit Reinl, und womöglich ging es dabei auch um dessen Frau, die aus Rumänien stammende Leana (Dorka Gryllus). Die Friseurin hatte ebenfalls immer wieder Krach mit ihrem nörgeligen Gatten und sieht ihre Zukunft in einem Nagelstudio, das sie in einem leerstehenden Laden direkt neben Bachmaiers Apotheke eröffnen will.

Am Ende war’s natürlich jemand ganz Anderes: Wenn die Blauen eine große Familie sind, dann entpuppt sich der Mord als Kain-und-Abel-Akt. Die Auflösung wirkt jedoch, als sei Ani und Jung irgendwann aufgefallen, dass jeder Krimi auch einen Täter braucht; das Motiv ist jedenfalls eher dünn. Dass "Ausnahmezustand" trotzdem ein guter Film ist, liegt an den famosen Leistungen der Schauspieler. Gerade das zentrale Trio ist wieder mal herausragend, und das ist natürlich auch Fehses Verdienst. Dabei dürfte schon die Organisation der vielen Komparsen eine logistische Herausforderung gewesen sein, schließlich spielen viele Szene auf der Straße oder in der Kneipe.

Fehse ist seit über zwanzig Jahren ein gefragter Kameramann und hat bislang bloß gut eine Handvoll Filme inszeniert, die zum Teil allerdings herausragend waren, darunter das vorzüglich besetzte Debütdrama "In jede Sekunde" (2008), das in nur vier Drehtagen entstandene Kammerspiel "Jasmin" (2012) oder die herrlich schräge Heimatgroteske "Storno - Todsicher versichert" (2015). Für "München Mord" hat er nach der im Rahmen der Reihe eher unterdurchschnittlichen Episode "Die Unterirdischen" die vor allem wegen der wunderbaren Dialoge des Ermittlerteams sehenswerte Folge "Was vom Leben übrig bleibt" (beide 2019) gedreht. Dieses Merkmal krönt auch "Ausnahmezustand", wenn sich Flierl zum Beispiel fragt, ob die Blauen eine Chance gegen das Frauenteam der Roten hätten. Viel Spaß machen zudem die skurrilen Nebenfiguren, allen voran Sigi Zimmerschied als schräges Giesinger Original und Barbara de Koy als schockierte Zeugin, die im Verlauf der Film Handlung zwei Flaschen Eierlikör leert.