TV-Tipp: „Wilsberg: Prognose Mord“

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TV-Tipp: „Wilsberg: Prognose Mord“
10. Oktober, ZDF, 20.15 Uhr
Man kann sicher darüber streiten, ob es ein Qualitätsmerkmal ist, wenn sich die Handlung eines Films in zwei prägnanten Sätzen wiedergeben lässt. Derlei dürfte doch in erster Linie die Marketingabteilung erfreuen. Andererseits ist eine Geschichte natürlich nicht automatisch gut, nur weil sie so kompliziert und verzwickt ist, dass eine Nacherzählung ausufern würde. Wenn diese Komplexität allerdings zur Folge hat, dass selbst nach der Hälfte eines Films völlig offen ist, worauf die Handlung hinausläuft, dann ist das gerade bei einem Reihenbeitrag durchaus ein Qualitätselement - immer vorausgesetzt, das Drehbuch verzettelt sich nicht zwischen den verschiedenen Erzählebenen.

Ebene eins dieser vielschichtigen Geschichte von Eckehard Ziedrich (eine Wiederholung aus dem Jahr 2018) ist ein scheinbar stinknormaler Krimimord: Steuerfahnder Lehnhoff, ein Kollege von Ekki Talkötter (Oliver Korittke), ist im Anschluss an seine Geburtstagsfeier auf offener Straße erschossen worden. Ekki und Privatdetektiv Wilsberg (Leonard Lansink) hören den Schuss, eilen zum Tatort und treffen auf die Witwe, in ihrer Hand die quasi noch rauchende Pistole. Die Frau beteuert jedoch ihre Unschuld, und da Ekki vor langer Zeit mal sehr verliebt in sie war, bittet er seinen Freund, den wahren Mörder zu suchen. Wilsberg braucht nicht lange, um rauszufinden, dass der Tote ein Schwerenöter war, der ständig Affären hatte.

Bis hierher klingt "Prognose Mord", der 59. Fall des Privatdetektivs, nach einem ganz gewöhnlichen Krimistoff: Mord aus Eifersucht. Doch die Drehbücher, die Ziedrich für "Wilsberg" schreibt, sind selten gewöhnlich und so gut wie nie auf Anhieb zu durchschauen. Zu ihren inhaltlichen Merkmalen gehört unter anderem das organisierte Verbrechen, das sich schon in den Ziedrich-Episoden "Filmriss" (2008) und "Russisches Roulette" (2015) im beschaulichen Münster breit gemacht hat, und auch diesmal stößt Ekki alsbald auf passende Hinweise: Der ermordete Kollege hat fürs LKA gearbeitet. Wie weiland bei Al Capone sollte er dafür sorgen, dass die Führungskräfte der regionalen Mafia, denen sich andere Delikte nicht nachweisen lassen, wenigstens über ihre Steuervergehen stolpern. Und dann bringt Ziedrich mit dem "Predictive Policing" einen Stoff ins Spiel, der die Geschichte endgültig aus dem Reihenalltag heraushebt: Polizist Overbeck (Roland Jankowsky), der sich stets zu Höherem berufen fühlt, kommt in den Besitz eines Computerprogramms, mit dem sich Ort und Zeit von Straftaten vorhersagen lassen. Eigentlich soll ihm die Software bloß dabei helfen, Anwältin Alex (Ina Paule Klink) bloßzustellen, weil die ihm eine Dienstaufsichtsbeschwerde angedroht hat, nachdem er betrunken am Tatort erschienen ist, aber nun träumt er dank Big Data von ungeahnten Karrieresprüngen. Während Kommissarin Springer (Rita Russek) zum Datenschutz ermahnt, sehen sich Overbeck und Kriminalrat Schaaf (Rainer Laupichler) dank der Erfolge in der Verbrechensbekämpfung schon in neuen Positionen, der eine als Polizeipräsident, der andere als Innenminister. Mit diesen in der Wirklichkeit äußerst umstrittenen Verbrechensvorhersagen bereichert Ziedrich die Handlung nicht nur um ein interessantes Sujet, er gibt ihr auch eine gewisse Relevanz. Der Film verzichtet zwar auf passende Plädoyers, doch der Unfug, den Overbeck mit dem illegalen Programm treibt, spricht für sich.

Trotz des vergleichsweise ernsten Themas, das der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick schon vor rund sechzig Jahren in seiner von Steven Spielberg verfilmten Kurzgeschichte "Minority Report" (2002) behandelt hat, ist es Thomas Kronthaler gelungen, dem handwerklich gerade bei der Lichtsetzung (Kamera: Christof Oevelein) mit großer Sorgfalt gestalteten Film eine angenehme Leichtigkeit zu geben; "Prognose Mord" ist nach der nicht minder sehenswerten (und ähnlich komplexen) Episode "MünsterLeaks" (2017) die zweite Arbeit des Regisseurs für "Wilsberg". Die Dialoge machen ohnehin großen Spaß, erst recht in den witzigen Szenen, als Wilsberg seine Freunde dazu überredet, in andere Rollen zu schlüpfen. Mal treten Ekki und Alex als werdende Eltern auf Eigenheimsuche auf und dichten sich gegenseitig absurde biografische Details an, mal  geben sie sich als rumänisches Einwandererpaar aus, wenn Ziedrich mit Sozialbetrug in großem Stil schließlich zum eigentlichen Kern der Geschichte kommt. Der entsprechende Auftritt - Korittke mit traurigem Wolf-Biermann-Schnauzbart, Klink mit schwerem Akzent ("Mann stark, aber dumm. Besser einfach’ Arbeit") – ist ein Fest für "Wilsberg"-Fans, die sich auch darüber freuen werden, dass Overbeck der Reihe erhalten bleibt und nicht nach Bielefeld versetzt wird.