TV-Tipp: "Mensch Beckenbauer! Schau’n mer mal"

TV-Tipp: "Mensch Beckenbauer! Schau’n mer mal"
8 September., ZDF um 20.15 Uhr
Sie nannten ihn "Kaiser" und "Lichtgestalt": Franz Beckenbauer war einer der besten Fußballer, die es je gegeben hat. Er hat als stürmender Verteidiger schon als Jugendspieler den Libero erfunden, er war Welt- und Europameister, mehrfacher Europa-Cup-Sieger und Deutschlands "Fußballer des Jahrhunderts". Der Platz im deutschen Sport-Olymp war ihm endgültig sicher, als ihm 1990 in Italien der WM-Sieg als Teamchef gelang.

Doch dann setzte er noch eins drauf, als er die WM 2006 nach Deutschland holte. Ausgerechnet das als "Sommermärchen" verklärte Turnier aber hat letztlich zum Denkmalsturz geführt; und davon erzählt Uli Weidenbach in seiner Dokumentation "Mensch Beckenbauer! Schau’n mer mal", die das ZDF anlässlich des bevorstehenden Geburtstags – Beckenbauer wird am 11. September 75 Jahre alt – zeigt.

Geschickt verknüpft Weidenbach dank vieler Zeitsprünge den persönlichen Werdegang und die sportlichen Erfolge mit dem Skandal, den das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" 2015 aufgedeckt hat: Es sind offenbar Bestechungsgelder geflossen, damit Deutschland den Zuschlag für die WM im eigenen Land bekommen hat. Im Jahr drauf deckte der "Spiegel" auf, dass Beckenbauer seine Arbeit als Präsident des Organisationskomitees keineswegs ehrenamtlich geleistet habe. Außerdem hat er sich möglicherweise selbst bestechen lassen, damit er als Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees für Russland und Katar als Austragungsorte der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 stimmt.  

All’ das ist natürlich bekannt, und wer sich für Fußball interessiert, kennt auch die meisten anderen Geschichten, die Weidenbach erzählt, etwa die Sache mit der Ohrfeige, die einst den Ausschlag gab, dass Beckenbauer als Jugendspieler nicht zu den "Sechzigern" (1860 München), sondern zum FC Bayern gegangen ist. Aber natürlich gehört dieser Vorfall ebenso in ein Porträt des "Kaisers" wie sein früher Werbespot für Suppen von Knorr ("Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch"). Viel interessanter als diese biografischen Versatzstücke sind jedoch die Bilder, die Beckenbauer auf dem Platz zeigen: Seine kunstvolle Eleganz im Umgang mit dem Ball ist bis heute unerreicht. Fußball war bis weit in die Siebzigerjahre ein reiner Arbeitersport, weshalb ausgerechnet der im ärmsten Münchener Stadtteil Giesing aufgewachsene Beckenbauer selbst von den Bayern-Fans nie so geliebt wurde wie Sepp Maier oder Gerd Müller: Bei ihm hat Sport einfach nicht nach Schweiß gerochen.

Da sich Franz Beckenbauer seit seiner Herzoperation 2016 fast völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, erzählen eben andere, wie’s war. Weggefährten wie Paul Breitner, Uli Hoeneß, Lothar Matthäus oder Rudi Völler betonen, wie groß sein Anteil an den WM-Titeln 1974 und 1990 gewesen sei. Bruder Walter spricht über die Kindheit, Beckenbauer-Biograf Thorsten Körner über die Abhängigkeit des Stars von seinem Manager Robert Schwan, der ihm nicht nur in geschäftlicher Hinsicht sämtliche Steine aus dem Weg geräumt hat. Einblicke ins fragwürdige Finanzgebaren liefert der Historiker Hans Woller, der 2019 in einer bemerkenswerten Gerd-Müller-Biografie beschrieben hat, "wie das große Geld in den Fußball kam": Schon in den Sechzigerjahren ist reichlich Schwarzgeld geflossen, aber der FC Bayern stand unter dem besonderen Schutz der CSU.

Kein Wunder, dass sich der stets von sämtlichen Medien hofierte Beckenbauer irgendwann unantastbar gefühlt haben muss. Diese Gewissheit, vermutet "Spiegel"-Autor Gunther Latsch, der 2015 gemeinsam mit anderen die Korruptionsaffäre im Zusammenhang mit der WM 2006 aufgedeckt hat, habe dazu geführt, dass er irgendwann jedes Unrechtsbewusstsein verloren habe. Latsch ist überzeugt, dass die Deutschen ihrem "Kaiser" den Bestechungsvorgang bei der Vergabe des späteren Sommermärchens trotzdem verziehen hätten. Sein "jämmerliches Wegducken" sei dagegen würdelos gewesen. Es passte auch gar nicht zu Beckenbauer, der bis dahin wie einst auf dem Platz stets die Offensive gesucht und dabei des Öfteren allerlei Unfug erzählt hatte, was ihm 1998 im "Spiegel" die Bezeichnung "Firlefranz" einbrachte. Weidenbach erinnert unter anderem an die peinliche Reaktion auf den Vorwurf, Fremdarbeiter würden in Katar wie Sklaven gehalten: "Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen" (2013). Damals, glaubt Latsch, sei Beckenbauer für viele zum ersten Mal zu einer zweifelhaften Figur geworden.

Wie ein Mosaik lässt der Film Stück für Stück ein komplexes Bild entstehen. Die Zeitreisen in die Vergangenheit hat Weidenbach mit einer interessanten Musikauswahl unterlegt. Den Kommentar spricht wie stets sehr angenehm der Schauspieler Philipp Moog. Eine lesenswerte Ergänzung zum TV-Porträt ist das gleichfalls anlässlich des Geburtstags erschienene Buch "Beckenbauer" (Verlag Die Werkstatt). Anders als der Film ist Christoph Bausenweins Biografie als klassische Chronik konzipiert: In fünfzig Kapiteln referiert der Autor die glanzvolle Lebensgeschichte des Jubilars. Das Buch des FC-Bayern-Kenners befasst sich zwar auch mit dem bayerischen Amigo-System oder Beckenbauers allzu innige Nähe zur Springer-Presse ("Bild"), doch in erster Linie wird die Lichtgestalt gewürdigt. Auf die "Schattengestalt" kommt Bausenwein erst gegen Ende zu sprechen, als dem Buch schon beinahe die Seiten ausgehen.