Kerze anzünden, Gebet formulieren, Agapemahl feiern – Digitale Rituale zu Ostern

Frau vor einem Tablet, auf dem eine Andacht gestreamt wird.
© epd-bild/Jens Schulze
Eine Kerze anzuzünden kann ein gemeinschaftsstiftendes Ritual am Beginn eines digitalen Gottesdienstes sein.
Kerze anzünden, Gebet formulieren, Agapemahl feiern – Digitale Rituale zu Ostern
Gründonnerstag, Karfreitag und Ostersonntag ist der Kirchgang für viele Menschen selbstverständlich. Jetzt muss auf digitale Angebote ausgewichen werden. Ein paar Rituale und Ideen können vielleicht helfen, digitale Angebote für Ostern und die Karwoche nutzerorientiert zu gestalten.

Ein leises "Klick" und schon zischt die Flamme aus dem Feuerzeug hervor. Der Docht der Kerze braucht einen kurzen Augenblick, bevor er Feuer fängt. Doch schon Sekunden später flackert das Licht der Kerze beruhigend vor sich hin. "Das gemeinsame Anzünden einer Kerze schafft für mich eine Gleichzeitigkeit und eine Sinnlichkeit, die ansonsten bei digitalen Gottesdiensten schwieriger zu erschaffen ist", erklärt Pfarrer Ramón Seliger. Im klassischen Gottesdienst werde allein durch den Raum und die Situation bereits ein gewisser Rahmen geschaffen, im Digitalen sei das ungleich schwerer. "Dieses kleine gemeinsame Anfangsritual, um in die richtige Stimmung für den Gottesdienst zu kommen ist unaufwändig und einfach umzusetzen. Deshalb mag ich es so", so Seliger.

Ramón Seliger sammelt seit mehr als zwei Jahren Erfahrungen im Hinblick auf digitale Gottesdienstformate in der Onlinekirche, einem Erprobungsraum der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Er weiß, wie schwierig der Transfer von bekannten gottesdienstlichen Ritualen ins Digitale sein kann. Eine besondere Herausforderung stellt dabei die Stille dar, die in klassischen Gottesdiensten ganz selbstverständlich ist. "Gerade an Karfreitag bietet es sich an, ein Live-Format bewusst zur Sterbestunde Christi zu machen und dort die Stille gezielt einzusetzen", sagt Seliger. Er warnt jedoch vor dem unüberlegten Einsatz von Stille, online könne es sonst schnell zu Missverständnissen kommen – zum Beispiel, dass der Ton gerade nicht funktioniert, weil die Leute nichts hören. "Die Stille muss angesagt werden und es sollte in einer Form stattfinden, die die Leute mit reinnimmt und es für sie nicht wie eine Zumutung wirken lässt", rät Seliger.

Seine Aufmerksamkeit richtet sich auf Gottesdienstformate, die einfach und ohne große Technik gestaltet werden können und die der Gemeinde eine Mitwirkungsmöglichkeit bieten. "Wenn man demnächst seinen Ostergottesdienst vorproduzieren möchte, kann man die Gemeindemitglieder zu Beispiel im Vorfeld per Mail oder auf anderem Wege bitten, ihre Gebetsanliegen zu schicken", schlägt Seliger vor. Das, was man dann zugesandt bekommt, kann man schließlich in den Gottesdienst integrieren – mit Worten und Taten. Oder man lässt sich von ihnen selbstgemachte Fotos schicken, die Hoffnung und Auferstehung für sie symbolisieren und hängt sie dann (mit Zustimmung der Einsender) ausgedruckt in den Raum, in dem man den Gottesdienst filmt. Die Bandbreite der Möglichkeiten ist groß. "Das zeigt den Menschen, dass sie trotz räumlicher Distanz wahrgenommen werden. Dieser Rückkanal zur Beteiligung ist in meinem Augen extrem wichtig", betont Seliger.

Gelassenheit üben

Hält man die Gottesdienste der Kar- oder Osterwoche live ab – zum Beispiel als YouTube-, Facebook- oder Insta-Livestream – können die Zuschauerinnen und Zuschauer live ihre Gebetsanliegen artikulieren und man kann sie in den Gottesdienst integrieren. Was für Unerfahrene herausfordernd scheint, weil die Situation nicht kontrollierbar ist, darf man laut Seliger nicht zu nah an sich heranlassen. Gelassenheit sei der Schlüssel. "Bei einem digitalen Gottesdienst in Halle haben wir über 450 Menschen erreicht", erzählt er, "deren ganze Gebetsanliegen waren live nicht betbar." Eine potentiell stressige Situation, der sich Seliger wie folgt gestellt hat: Bei der Auswahl der Gebete, die er live gebetet hat, habe er darauf vertraut, dass der Heilige Geist die Gebetsanliegen nach oben gespült hat, die gerade dran sind. Und er habe für alle anderen klar kommuniziert, dass man für ihre Anliegen später beten werde, wenn die Kameras aus sind. "Theologisch glaube ich, dass die Gebetsanliegen sowieso schon längst bei Gott angekommen sind – genauso wie die, die am Ende aus welchen Gründen auch immer doch nie abgeschickt wurden."

Eine weitere Möglichkeit, Gebetsanliegen zu sammeln, zu visualisieren und dadurch Gemeinschaft zu schaffen, ist die Gebetswolke. Dort bringt man sein Anliegen vor Gott und andere können sehen, wofür (aber nicht von wem) gebetet wird. So wird mit der Zeit sichtbar, was Menschen in ihren Gebeten gerade bewegt, andere können sich dem anschließen und sie so verstärken. Die Gebetswolke kann während des Gottesdiensts zum Beispiel per Beamer auf eine Wand im Hintergrund projiziert werden.

Gebetswolke der EKM-Onlinekirche

Um Menschen an Gottesdiensten zu beteiligen, kann man ihnen auch Freiraum lassen. Die Onlinekirche hat das bereits an Aschermittwoch ausprobiert in einem Online-Gottesdienst, der als Video über die Website der Onlinekirche gefeiert wurde. Nach Begrüßung, Musik, Psalmgebet und Bibellesung im Video folgt die "Zeit für dich und für Gott" in den interaktiven Seitenkapellen. "Alle haben so die Möglichkeit, sich individuell auszusuchen, was sie gerade am meisten brauchen: Eine Predigt? Einen Segen? Ein Gebet? Eine Kerze? Oder einfach nur Stille?", erklärt Ramón Seliger das Prinzip. Währenddessen läuft das Gottesdienst-Video weiter und ruft mit einem Lied die Gemeinschaft wieder zusammen.

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Ostern wird Ramón Seliger mit einem Videogruß aus der Osternacht, Radio- und Social-Media-Beiträgen, einem vorproduzierten Onlinegottesdienst mit dem Sonnenaufgang sowie einen anschließenden Live-Videochat-Osterfrühstück von 9 bis 12 Uhr begehen. "Ich möchte nicht, dass am Ostermorgen irgendwer allein sein muss, der das nicht möchte", so Seliger. Und so kann jeder digital am Osterfrühstück teilnehmen und auf diese Art doch Gemeinschaft spüren.

Verbundenheit in Christus mit anderen Menschen wünsche sich viele auch schon früher: Nämlich, wenn es um das Abendmahl an Gründonnerstag geht. Angesichts des Versammlungsverbotes wird gerade heftig diskutiert, ob ein Online-Abendmahl theologisch vertretbar ist. Die Position der Evangelischen Kirche in Deutschland dazu ist, dass man um Zurückhaltung gegenüber schnellen Lösungen bittet, weil eine solche grundsätzliche theologische Frage Zeit brauche. "Wo angesichts der geistlichen Not, sich nach dem Abendmahl zu sehnen und es doch in der gewohnten Form in unseren Kirchen nicht feiern zu können, neue Wege versucht werden, sollte dies sehr sorgfältig und unter Wahrung unserer Traditionen sowie in guter ökumenischer Verbundenheit getan werden", heißt es.

Die hessen-nassauische Landeskirche (EKHN) hat mittlerweile eine Liturgie für ein häusliches "Stärkungsmahl" in der Osterzeit ausgearbeitet. "Da in diesen Tagen die Gemeinde nicht als gottesdienstliche Gemeinschaft zusammenkommen kann, ist es nicht möglich, Abendmahl in der gewohnten Form gemeinsam in der Kirche zu feiern", heißt es in einer Orientierungshilfe der Kirche an ihre Gemeinden. "Dennoch kann es in dieser schwierigen Zeit besonders wichtig sein, Menschen in der Erinnerung an die Gemeinschaft Jesu zu stärken." Dies könne auch online von verschiedenen Orten aus geschehen.

Auch das Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland lädt laut Ralf-Peter Reimann am Gründonnerstag zur Hausandacht mit Abendmahl ein - per Videokonferenz. Man habe sich intensiv mit den liturgischen Herausforderungen und theologischen Fragen beschäftigt und sei zu dem Entschluss gekommen, das Abenmahl online feiern zu wollen. "Es wird sich ganz anders anfühlen, als wenn wir Kreis zusammenstehen", heißt es in der Einladung der Landeskirchenamtes weiter, "aber wir trauen dem Abendmahl in dieser besonderen Situation etwas zu. Wir sind nicht in einem Raum zusammen. Doch eint uns das Abendmahl miteinander und mit Christus. Wo immer wir gerade auch sein werden."

Frühe christliche Gemeinschaft

Der schottische Pfarrer Albert Bogle, der die Online-Kirche "Sanctuary First" betreut, möchte nicht in diese theologischen Diskussionen verstrickt sein. Er folgt in seinem Handeln dem Leitspruch aus der Salbung König Davids: "Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an." (1 Samuel 16,7). Und so bricht er eine Lanze für das digitale Abendmahl. Denn seiner Ansicht nach wird Gott das Herz ansehen, wenn Menschen zu ihm beten und das Brot brechen. In einem EKD-Webinar zum Thema fragt er: "Ist es möglich, dass eine gebrochene Person wie ich, die sich bemüht, etwas von der Gnade und Liebe Gottes zu teilen, ein anderes menschliches Wesen durch einen schwach beleuchteten Bildschirm erreicht und durch das anerkannte Zeichen von Brot und Wein ein Leben berührt und segnet?" Er ist davon überzeugt, dass der Heilige Geist überall sein kann und er fragt die Teilnehmenden des Webinar, wer denn am Ende Brot und Wein segne – er selbst oder der Heilige Geist?

Außerdem erläutert Bogle, dass es ein neues Verständnis von Ort und Präsenz brauche. "Kann Gott übers Internet wirken? Ich glaube schon." Eine Teilnehmerin eines solchen digitalen Abendmahls habe ihm geschrieben, dass sie dabei die Gegenwart Christi gespürt habe wie noch nie zuvor. "Hat Jesus das letzte Abendmahl in einer Kirche gehalten? In einer großen Kathedrale? Hatte er dabei besondere Kleidung an? Oder war er in einem ganz normalen Haus?", will Albert Bogle wissen. Aus seiner Sicht werden gerade die Rituale der ersten Christen wiederbelebt – durch Abendmahlsfeiern im eigenen Heim, im kleinen Kreis. Mit dem Unterschied: "In unserer Isolation reichen wir uns digital die Hände und lassen den Heiligen Geist wirken."  

Miriam Groß ist seit 2014 Pfarrerin der deutschsprachigen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in New York.

Auch Miriam Groß, Pfarrerin der deutschsprachigen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in New York, ist im Augenblick in der Zwickmühle, kein klassisches Abendmahl anbieten zu dürfen und gleichzeitig von den Menschen in ihrer Gemeinde aber darum gebeten zu werden. Denn in diesen schwierigen Zeiten hätten viele das Bedürfnis, sich nähren und Bestärken zu lassen. "Weil die Bedürftigkeit so groß war, haben wir etwas Unbekanntes gewagt und ein digitales Agapemahl gefeiert", erzählt Groß im EKD-Webinar. Ihr sei es wichtig gewesen, die Menschen so seelsorgerisch durch den Einsatz digitaler Medien aufzufangen.

Ein Agapemahl unterscheidet sich vom Abendmahl vor allem dadurch, dass es ohne die Einsetzungsworte stattfindet, die beim Abendmahl über das Brot und den Kelch gesprochen werden ("Die ist mein Leib…", "Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut…"). Außerdem darf jeder so ein Mahl anleiten und jeder darf daran teilnehmen, weshalb es in der Ökumene sehr beliebt ist. Bei einem Agapemahl kommt es auch nicht auf die "Elemente" an, die verwendet werden, also ein Brot und ein Kelch. Hier stehen das gemeinschaftliche Essen und Trinken im Vordergrund.

Liturgie des Agapemahls

Miriam Groß schildert, dass sie die Teilnehmer des Agapemahls zuerst einmal in der Videokonferenz begrüßt habe und danach sei ein Austausch über die aktuelle Situation entstanden. "Ich habe gemerkt, dass dieser Austausch wichtig war, weil wir so gezeigt haben, dass wir einander wahrnehmen. So ist dann die Distanz geschmolzen", erläutert die Pfarrerin. Nach einem Eröffnungsgebet und zwei Lesungen habe sie dann die Danksagung über Brot und Wein gesprochen, den Segen für die Versammelten formuliert und dann habe man gemeinsam das Vater-Unser gesprochen. "Und dann haben wir das Kreuzzeichen über Brot und Becher gemacht und das Brot gemeinsam gebrochen." Danach habe es Musik und einen Segen als Anschluss und Überführung in den gemütlichen Verzehr der Nahrung gegegen. "Es war eine sehr intensive Stunde, aber die Rückmeldung der Teilnehmenden war durchweg positiv. Es hat allen gut getan und sie möchten gern mehr davon erleben", erzählt Miriam Groß. Deshalb hat sie beschlossen, in ihrem Karfreitagsgottesdienst ebenfalls ein Agapemahl zu feiern.

Hinweise der EKD zum Umgang mit dem Abendmahl in der Corona-Krise: