Gebete, die durch Mauern dringen

Gefängnisandachten in Corona-Zeiten
© epd-bild / Guido Schiefer
In Corona-Zeiten werden die Gefängnissellsorger erfinderisch: Ein Andachtsblatt wird in die Inhaftiertenräume gegeben, jeder isolierte Gefangene macht um 10 Uhr das Fenster auf, hört vielleicht von einer nahen Kirche das Glockengeläut und dann halten alle gleichzeitig jeder an seinem Ort eine kleine Andacht.
Gebete, die durch Mauern dringen
Die Corona-Krise ist auch für die Gefängnisseelsorge eine neue Herausforderung
Eingeschränkte Besuchszeiten, keine Arbeit, kein Sport - auch für Gefangene hat sich der Alltag durch die Corona-Pandemie stark verändert. Die Gefängnisseelsorger aber sind weiter zur Stelle - mit Angeboten, die der Situation Rechnung tragen.

„Besuche in den Justizvollzugsanstalten werden ihrem Umfang nach auf monatlich zwei Stunden beschränkt. Zum Besuch wird grundsätzlich jeweils nur noch eine Person zugelassen. Jeglicher körperlicher Kontakt ist untersagt. Langzeitbesuche und sog. Meetings werden untersagt. Besuche im Justizvollzugskrankenhaus werden ihrem Umfang nach auf monatlich zwei Stunden beschränkt und nur noch für Schwerstkranke sowie Gefangene unter 16 Jahren zugelassen, allerdings nicht von Personen mit Atemwegserkrankungen. Der Zutritt Externer wird auf das unbedingt Erforderliche beschränkt. Besuche durch Vollzugshelferinnen und Vollzugshelfer entfallen. Ebenso finden keine Gottesdienste und Freitagsgebete mehr statt.“ So lauten die aktuellen Anweisungen des Berliner Justizsenators in Corona-Zeiten. Besondere Anforderungen also nicht nur für Gefangene und Justizbeamte, sondern auch für die Gefängnis-Seelsorger.

Besuchsdelegationen, freiwilligen Vollzugshelfern und anderen freien Trägern, die  Angebote in Gefängnissen anbieten, öffnet sich nun nicht mehr das Anstaltstor. Auch Journalisten werden nicht mehr eingelassen. Seelsorger aber sind systemrelevant und dürfen weiterhin ins Gefängnis. Gemeinschaftliche Gottesdienste in der Gefängniskirche finden aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr statt. Christina Ostrick, evangelische Seelsorgerin in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel, hält nun Gebete, die durch Mauern wirken sollen.

Erfinderische Lösungen

„Ich habe einen Ablaufplan geschrieben für eine Andacht und ihn per Briefumschlag weitergeben lassen. Und dann waren die Inhaftierten in der Zelle, haben von dort diese Andacht mitbeten können und ich war zu der gleichen Zeit in der Kirche und habe dort die Andacht gehalten.  Das Vaterunser haben wir gemeinsam gebetet. Dazu haben die Glocken geläutet über die Dauer des Vaterunsers“, berichtet die Gefängnis-Seelsorgerin.

Seelsorge in Corona-Zeiten macht, so scheint es, erfinderisch. Erhard Wurst ist evangelischer Theologe in der Haftanstalt Berlin-Moabit: „Wir haben auch eine Art Andachtsblatt in die Inhaftiertenräume gegeben. Gebet, Psalmlesung mit einer kleinen Auslegung und der Verabredung: Wer mag, macht um 10 Uhr das Fenster auf, hört vielleicht von einer nahen Kirche das Glockengeläut und dann halten wir gleichzeitig jeder an seinem Ort eine kleine Andacht.“

Auf dem Blatt war auch eine Idee angefügt: Wer sich in der Lage dazu sieht, möge doch bitte eine kleine Kurzgeschichte schreiben oder ein Bild malen zu zwei vorgegebenen Themen: Ein Tag im Bauch eines Walfisches und ein Spaziergang durch den Wald der Wünsche. „Daraus machen wir vielleicht eine Broschüre oder veranstalten in der Anstalts-Kirche eine Ausstellung mit den gemalten Bildern“, ergänzt Wurst.

Seelsorge beim Spaziergang

Internet ist im Gefängnis verboten. Informationen gelangen in der Regel nur per Hörfunk, Fernsehen oder Zeitungen in die Anstalt. Es gebe aber darüber hinaus ein großes Informationsbedürfnis, wie es draußen genau aussieht. Also finden auch weiterhin Einzelgespräche statt. Aber auch Seelsorger sind potentielle Virus-Überträger. Einen Mundschutz tragen sie bei ihren Besuchen zwar nicht. Aber Gespräche finden immer im Sicherheitsabstand statt.

„Wir sind angehalten, alle zwei Stunden mindestens die Hände zu waschen. Ich desinfiziere sie in regelmäßigen Abständen", berichtet Christina Ostrick. "Ich hatte jetzt ein Gespräch, wo man normalerweise näher heran gehen würde, weil eine Person gestorben war. Trotzdem mussten wir bei diesem Gespräch eben diesen Mindestabstand einhalten. Damit das Infektionsrisiko nicht besteht, bieten wir unsere Seelsorge-Gespräche auch draußen beim Spaziergang auf dem Gefängnisgelände an.“ Oder fernmündlich, denn auf jedem Flur gibt es ein Stationstelefon, von dem aus die Gefangenen nach draußen telefonieren können. Mit ihren Angehörigen, oder eben mit den Theologen.

Gefangene sind gefasst

Denn auch im Gefängnis selbst ist die Situation nun angespannter als in normalen Zeiten. Gegenseitige Infektionen sollen vermieden werden. Die tägliche Arbeit in den anstaltseigenen Werkbetrieben wird heruntergefahren. Gruppen- und Mannschaftssport wird deutlich eingeschränkt. Ab sofort gibt es auch keinen Besuch mehr in den so genannten „Liebeszellen“, in denen einvernehmlich Intimitäten zwischen Gefangenem und Liebespartner ausgetauscht werden können. Besuche dürfen zwar weiterhin stattfinden. Allerdings nur zwei Stunden im Monat von einer Person. So wie es gesetzlich als Minimum festgelegt ist.

Allerdings erlebt die evangelische Seelsorgerin in der JVA Tegel die reduzierten Besuchszeiten nicht als Problem. Im Gegenteil würden viele Gefangene sehr gefasst auf die neue Situation reagieren. „Die Inhaftierten machen sich natürlich Sorgen um die Angehörigen draußen" so Christina Ostrick. "Interessanterweise sagen einige: Es ist eine so besondere Zeit, ich verzichte auf Extrabesuche. Viele sind sehr vernünftig. Und sie bringen andere Inhaftierte, die das gerade nicht so verstehen, dann auch wieder etwas zur Ruhe.“

Die Gefängnis-Seelsorger versuchen so oft wie möglich Orientierung zu geben. Letztlich geht es in der Pandemie auch um theologische Antworten in  der Lebenskrise. „Ich habe keine Endzeitstimmung. Ich sehe eher, dass wir vielleicht eine Chance haben, jetzt auszuprobieren, wie Solidarität untereinander und auch weltweit überhaupt noch möglich ist“, sagt Erhard Wurst. Und Christina Ostrick ergänzt: „Das Interessante ist für mich, wie Menschen mit dieser drohenden, für einige schon tatsächlichen Krankheit  umgehen. Wie man schaut, für andere da zu sein. Ich freue mich über die Nächstenliebe, die jetzt tatsächlich herrscht.“