Die zwei Gesichter der Digitalisierung

Zwei Gesichter der Digitalisierung
© John Lamb/Getty Images
Digitalisierung findet überall statt. Doch kennen die Entwickler ethische Grenzen?
Die zwei Gesichter der Digitalisierung
Experten erörtern Chancen und Gefahren der Datenwelt
Digitalisierung ist überall. Aber kennen ihre Entwickler ethische Grenzen? Ein Sammelband mit Experten-Aufsätzen wägt Chancen und Gefahren ab - und präsentiert eine ungewöhnliche Idee.
16.02.2020
epd
Marcus Mockler

Die Frage "Digitalisierung - ja oder nein?" stellt sich nicht mehr. Die Menschheit lässt sich bereitwillig von Datenströmen überfluten und genießt die Annehmlichkeiten von Internet, Smartphone und Einkäufen im Netz. Wer nicht mitmacht, verliert den Anschluss, was sich gerade Unternehmen nicht leisten können.

Dabei gäbe es gute Gründe, nicht mitzumachen. In dem eben erschienenen Sammelband "Digitalisierung: Datenhype mit Werteverlust?", herausgegeben von Wirtschaftsprofessor Reinhard Haupt und dem Geschäftsbereichsleiter Stephan Schmitz, werden zwar überwiegend die Chancen neuer Technologien gepriesen. Doch es kommt mit Theologieprofessor Werner Thiede auch ein scharfer Kritiker zu Wort.

Thiede sorgt sich in seinem Beitrag um die Gesundheitsgefahren, die von der Funkstrahlung des geplanten G5-Netzes ausgehen können. Er zitiert alarmierende Studien zum Krebsrisiko und weist auf die besondere Belastung für elektrosensible Menschen hin. Auch die Überwachung der Bürger etwa durch deren Smartphonegebrauch sei kaum mehr zu stoppen.

Der evangelische Theologe ärgert sich darüber, dass immer mehr Kirchenräume mit WLAN ausgestattet werden und empfiehlt stattdessen Gottesdienste ohne elektronische Belastung. Die Kirchen sollten sich auf die Seite der "Verlierer der digitalen Revolution" stellen. Jesus würde heute gewiss kein Smartphone verwenden, weil er sich den gesundheitlichen Gefahren durch Strahlung ebenso verweigern würde wie der "Überwachungskultur", mutmaßt Thiede.

Andere Autoren kommen zu weitaus positiveren Ergebnissen. Sie preisen kostengünstigere und effektivere Abläufe in Unternehmen, mehr Kundenfreundlichkeit durch schnellere und individuellere Reaktionen, rasante Fortschritte in der Medizin durch die Vernetzung von Patientendaten. Auch wachsende Verkehrssicherheit ("autonomes Fahren") oder 3-D-Druck stehen auf der Positivliste.

Plädoyer für Datengenossenschaften

Eine ungewöhnliche Idee, wie sich die Monopole der "Big Five" (Google, Facebook, Apple, Microsoft, Amazon) brechen ließen, präsentiert der Volkswirt Hans-Jörg Naumer. Er plädiert für "Datengenossenschaften". Dabei bleiben Daten im Besitz der Nutzer von Plattformen. Der Anbieter übernimmt lediglich die Funktion eines Dienstleisters.

Praktikabel würde dieser Vorschlag durch einen Zwang, die Schnittstellen der Plattformen zu öffnen. Wer dann beispielsweise Facebook verlässt, bleibe nicht ausgesperrt, sondern könne auch von einem anderen Netzwerk aus mit Facebook-Usern kommunizieren, schreibt Naumer. Damit gebe es mehr Wettbewerb, weil sich neue Plattformen leichter mit bestehenden verbinden könnten.

Mitherausgeber Schmitz spricht sich für eine ethische Orientierung von Führungskräften aus, die an biblische Prinzipien angelehnt ist. Im rasanten digitalen Wandel müssten Chefs immer häufiger Entscheidungen zu treffen, ohne die relevanten Variablen im vollen Umfang zu kennen - weil sich alles so schnell ändert. In diesem Umfeld sei Teamarbeit von wachsender Bedeutung, wobei diesen Teams künftig mehr Verantwortung zukommen sollte, um ihre Selbstbestimmung zu stärken, meint Schmitz.

Die insgesamt elf Aufsätze zeichnen ein differenziertes Bild der Digitalisierung. Zum Schluss weisen die Herausgeber noch einmal darauf hin, dass totalitäre Systeme die Bürgerdaten zu Überwachung, Diskriminierung, Unterdrückung und Verfolgung missbrauchen können. Ein solches Szenario sei schon im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, in Kapitel 13, Vers 16, angekündigt worden: ".... dass niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Zeichen hat ...". Den Handel durch digitale "Zeichen" zu reglementieren, sei bereits heute Stand der Technik.