"Wir müssen Herzensbildung betreiben"

Kreuz und Davidstern sind Symbole für Christentum und Judentum
© Getty Images/Robert Harding Worl/Godong
Zuallererst müssen Christen an ihrem christlichen Selbstbild arbeiten und Christen müssen auch mal Juden und Jüdinnen treffen und miteinander reden, findet Christian Staffa, Antisemitismus-Beauftragter der EKD.
"Wir müssen Herzensbildung betreiben"
Interview mit Christian Staffa, Antisemitismus-Beauftragter der EKD
In vielen christlichen Positionierungen könne man noch immer anti-jüdische Untertöne heraushören - damit müsse jedoch Schluss sein, sagt Christian Staffa, Antisemitismus-Beauftragter der EKD. Wie das funktionieren könnte, verrät er im evangelisch.de-Interview.

Am 7. Februar sprechen Sie auf der Vollversammlung der Initiative Kirche für Demokratie und gegen Rechtsextremismus in Hannover: Worum geht es auf dieser Vollversammlung?

Christian Staffa: "Antisemitismus und Protestantismus" ist der Titel meines Vortrages auf der Vollversammlung der Initiative Kirche für Demokratie und gegen Rechtsextremismus (IKDR). Es geht um Formen von Antisemitismus in den christlichen Kirchen: Ich versuche, darauf aufmerksam zu machen, dass es ein Ineinander gibt von Geschichte und den heutigen Formen des Antisemitismus in der Gesellschaft: Wir hören heute in vielen christlichen Positionierungen noch immer anti-jüdische Untertöne: nicht nur, aber auch zu Israel oder zum Nahost-Konflikt, aber auch klassisch theologisch und überheblich zu Gesetz und Gnade….  Aus diesen Positionierungen hört man zum Beispiel immer noch den Unterton heraus: die christliche Gnade allein sei "gut", aber das jüdische Gesetz "böse". Oder: Das Alte Testament sei "gewalttätig", dagegen allein das Neue Testament "friedfertig". Solche Bilder müssen wir bearbeiten und durch neue ersetzen. 

Wie machen Sie das?

 

Staffa: Wenn man religiös ist, dann findet man zum Beispiel interessant, was Juden über die Nächstenliebe denken. Die Christen denken immer, die Nächstenliebe wäre ihre ureigene Erfindung. Dabei sehen sie nicht, dass die christliche Nächstenliebe aus dem Judentum, dem Alten Testament stammt. 

Christen müssen auch mal Juden und Jüdinnen treffen und miteinander reden. Darum finde ich das Projekt des Zentralrats der Juden "Meet a Jew" interessant: Man ruft in einem Büro an und trifft sich dann mit einem Juden oder einer Jüdin. Wenn man nicht jüdisch ist, dann stellt man ihm oder ihr seine Fragen zum Judentum und man tauscht sich aus über Dinge und Themen unseres Lebens heute. Dann erzählt der oder die Andere, welche jüdischen Positionen es dazu gibt. 

Seit Oktober 2019 bin ich Beauftragter der EKD für den Kampf gegen Antisemitismus. Aber de facto habe ich schon lange Jahre diese Arbeit gemacht. Die Formen meiner Arbeit sind sehr unterschiedlich. Ein Beispiel: Im Jahr 2017, also dem Jahr der "Reformations-Euphorie", hatten wir in Berlin gemeinsam mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland eine Tagung zum Thema: "Martin Luther: Reformator – Ketzer – Judenfeind".

Dann im letzten Jahr eine zu anti-jüdischer Bildsprache. Auf dieser Tagung haben wir uns vor allem mit unseren Bildern beschäftigt: Die Stadtkirche von Wittenberg trägt in der Fassade heute immer noch eine "Juden-Sau" von 1304. Wir haben zur diesem Thema Vorträge gehört und Workshops veranstaltet und die Frage gestellt: Kommen wir heute mit unserer aufklärerischen Rede, mit Bildungsanstrengungen überhaupt gegen die Bilder aus unserer Geschichte an? Und kommen wir an gegen die heutigen Bildsprachen von Antisemitismus? Oder prägen die tradierten Bilder immer noch unser heutiges Denken? Fördern die Bilder, die wir in der Bildungsabreit benutzen, gegen unsere Intention anti-jüdische Töne?

"Es gehört dazu, jüdische Positionen mit hereinzunehmen in christliche Selbstreflexion"

Wie antworten Sie darauf?

Staffa: Wir müssen sehr vorsichtig mit diesen anti-jüdischen Bildern umgehen. Zuallererst müssen wir an unserem christlichen Selbstbild arbeiten: Wenn wir zufrieden mit unserem christlichen Glauben wären, dann müssten wir "die Juden" nicht für den Tod Jesu verantwortlich machen, wie so lange in unserer christlichen Tradition. Wir müssen also Herzens- und Glaubensbildung machen, um diese alten Negativpositionen zum Judentum zu überwinden. 

Wie machen Sie das vor Ort mit den Menschen?

Staffa: Wir machen weiter mit dem jüdisch-christlichen Dialog: Wir machen gemeinsame Veranstaltungen mit dem Zentralrat der Juden wie die oben erwähnte zu Martin Luther: Dazu gehört, jüdische Positionen mit hereinzunehmen in christliche Selbstreflexion. Aber dazu gehören auch ganz praktische Gesten: Zum Beispiel letztes Jahr auf dem Kirchentag in Dortmund: Wir hatten die US-amerikanische Rabbinerin Julia Watts Belser auf den Kirchentag eingeladen. Sie fährt im Rollstuhl, aber die geplante Rednerbühne auf dem Kirchentag war so hoch, dass sie ohne Hilfe anderer Menschen nicht hätte auf die Bühne fahren können. Am Abend vor der Veranstaltung beim Aufbau sagte sie: "Eure Bühne ist zu hoch! So komme ich da mit meinem Rollstuhl nicht hinauf! Könnt Ihr die Kirchentags-Bühne so bauen, dass ich mit meinem Rollstuhl ohne fremde Hilfe dort hochfahren kann?" Das haben dann unsere Bühnenbauer so gemacht.

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Manche wollen ja, dass die Christen den Ruhetag wieder vom Sonntag auf den Sonnabend legen, so dass Juden und Christen am selben Tag Gottesdienst feiern können. Sind Sie dafür?

Staffa: Solche Forderungen sind eher problematisch. Denn man kann die Geschichte des Christentums nicht zurückdrehen. Eine Rückkehr zu den urchristlichen Ideen ist wohl kaum sinnvoll und ein wenig geschichtsvergessen. Aber dafür geht etwas viel Wichtigeres: gemeinsame Veranstaltungen. Wir haben zum Beispiel in Berlin den Schalom-Chor: Juden und Christen singen gemeinsam die Psalmen. 

Haben Sie eine Vision?

Staffa: Wovon ich träume, ist eine Webseite, auf der Geschichten aus der Bibel so erzählt werden, dass sie der jüdischen Tradition gerecht und sozusagen schon jüdisch-christliches Gespräch werden. Menschen erzählen, was die Geschichten der Bibel mit unserem Leben heute zu tun haben. Da kann man dann zum Beispiel auch einen Midrasch aufgreifen. Also eine besondere jüdische Auslegung einer Bibelstelle. Und dann träume ich davon, dass man diese Geschichten dann herunterladen kann: Jede Gemeinde kann sie dann verwenden für ihre Arbeiten. 

"Unsere Worte in den christlichen Gemeinden können sich noch viel klarer von alten Worten trennen, die anti-jüdische Untertöne haben"

Haben Sie damit angefangen?

Staffa: Es gibt heute schon unsere Schrift "Amen" der Berliner Kirche, des Institutes Kirche und Judentum und der Ev. Akademie: In dieser Schrift geht es darum, die jüdischen Anteile im christlichen Gottesdienst zu erkennen und damit den dialogischen Grund auf dem wir leben. Unsere Worte in den christlichen Gemeinden können sich noch viel klarer von alten Worten trennen, die anti-jüdische Untertöne haben. Zum Beispiel statt "alt-testamentarisch" das Wort "alttestamentlich" zu gebrauchen.

Zur Verwendung des Begriffes "alt",  sagt mein Freund Micha Brumlik, Erziehungswissenschaftler und heute pensionierter Senior Professor am Selma-Stern-Zentrum in Berlin: das Wort "alt" sei im Judentum ein Würdebegriff. Darum kann man ruhig auch für die Hebräische Bibel hin und wieder das Wort "Altes Testament" verwenden. Verlernen sollten wir auch den Gebrauch des Wortes Pharisäer, wenn es "Heuchler" bezeichnen soll. Ein Pharisäer ist ein Schriftgelehrter. Einer, der die Bibel gut kennt und Angehöriger einer der Reformfraktionen des Judentums zur Zeit Jesu. 

Herzensbildung: was gehört außerdem noch dazu?

Staffa: Jesus ist selbst Jude. Das ist mir wichtig. Die Psalmen sind Gebete Israels. Das Jüdische erdet uns. Erden heißt, dass unsere Erlösung nicht im Himmel steckt. Sondern unsere Erlösung findet auch schon hier auf Erden statt: in dem unsere Tränen abgewischt werden. Wir setzen uns zusammen und unternehmen etwas, um unsere Welt und Umwelt und das Klima zu schützen. Das sind Beispiele. Wir sollen etwas dafür tun, dass unser Leben hier auf der Erde lebenswert und erlöst wird. Ein Garant dafür ist die "Jiddischkeit" unseres christlichen Glaubens.

Warum sind wir Christen jiddisch?

Staffa: Weil Juden und Christen dieselbe Bibel haben. Und diese Bibel  weiß einmal um die Gewalt des Menschen. Sie weiß dann aber auch etwas von seiner Erlösung. Der Mensch kann sich wohl verführen und fehlleiten lassen. Aber Juden und Christen glauben gemeinsam, dass Gott uns hilft, die Welt zu reparieren. Das heißt im Hebräischen: Tikkun Olan, die Reparatur der Welt. Alle Menschen können und sollen hier auf Erden daran mitarbeiten, dass die Erde lebenswert bleibt. Das sagt Paulus: Wir sind Baumeister am Reich Gottes. Und diese Reparatur der Welt kann uns Menschen nur mit Gottes Hilfe gelingen. Juden und Christen glauben das. Darum ist der christliche Glaube auch jiddisch.