Warum so weiß? - US-Lutheraner auf Identitätssuche

Der lutherische Pastor Lenny Duncan schreibt Buch "Liebe Kirche" über die Lutherische Kirche in Amerika.
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Viele Lutheraner in Amerika beschäftigt die Frage "Warum sind unsere Gemeinden so weiß?". Auch der afro-amerikanische, lutherische Pastor Lenny Duncan aus New York liefert in seinem Buch "Liebe Kirche" Stoff zum Nachdenken.
Warum so weiß? - US-Lutheraner auf Identitätssuche
Viele soziale und ethnische Konflikte prägen die Gesellschaft der USA. Die lutherische Kirche in den Vereinigten Staaten sucht derzeit nach einem Weg, wie sie vielfältiger werden kann. Das Buch des schwarzen Pastors Lenny Duncan liefert Stoff zum Nachdenken.

Warum sind unsere Gemeinden so weiß? Über dieses Thema denken viele US-Lutheraner nach. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika (ELKA), die größte lutherische Kirche Nordamerikas, sei die "weißeste Kirche in den USA", formulierte der lutherische Pastor Lenny Duncan in seinem kürzlich veröffentlichten Buch mit dem Titel "Dear Church" (Liebe Kirche).

Deutlich mehr als 90 Prozent der Mitglieder sind weiß. Und das, obwohl Kirchenvertreter seit der Gründung 1988 betonen, man wolle Kirche sein für Menschen aller Abstammungen, wie laut biblischer Überlieferung die christliche Kirche an Pfingsten, dem Fest des Heiligen Geistes und dem Geburtstag der Kirche. Die US-Gesellschaft wird bunter: In ein paar Jahrzehnten sind Weiße die Minderheit. Bleibe die ELKA wie sie ist, werde es "in unserem Land in 50 Jahren kein erkennbares lutherisches Zeugnis mehr geben", warnt der afro-amerikanische Pastor Duncan in seinem Buch. Er ist Pastor der ELKA-Gemeinde "Jehu's Table" im New Yorker Stadtteil Brooklyn.

Die von Einwanderern aus Skandinavien und Deutschland geprägte lutherische Kirche Amerikas verliert Mitglieder. 1988 zählte sie 5,3 Millionen Gläubige, heute sind es noch 3,5 Millionen. Gottesdienstbesucher sterben aus. Stark vertreten ist die ELKA auf dem Land, in den USA sehen junge Menschen jedoch wenig Zukunft weit weg von der Stadt. Menschen distanzieren sich zunehmend von institutionalisierter Religion.

Jesus hat niemanden ausgeschlossen

Pastor Lenny Duncan lässt soziologische Erklärungen allein nicht gelten. Es gebe einen direkten Zusammenhang zwischen fehlender Vielfalt in der Kirche und fehlender Vitalität. Er macht ein "theologisches Problem" verantwortlich. Die Kirche habe die Botschaft der Gerechtigkeit vernachlässigt, nämlich dass alle Menschen gleichen Wert haben. Die USA seien zutiefst gespalten, schreibt Duncan, und "wir sind damit beschäftigt, es allen Gemeindemitgliedern recht zu machen, so dass wir vergessen, Gott zu gefallen".

Duncan sieht sein Buch als "Liebeserklärung" an die lutherische Kirche, der er viel verdanke. Pastor Duncan ist kein "typischer" Pastor. Schwierige Kindheit, Drogen - einer, der "eher fürs Gefängnis bestimmt schien als für die Kanzel". Er sei zur Kirche gekommen, als ein lutherischer Pastor am Kommunionstisch gesagt habe: Das ist Jesu' Tisch, und Jesus hat niemanden ausgeschlossen. Diese Botschaft habe ihn ergriffen.

Im Alltag erlebe er, wie sehr die Kirche geprägt sei vom Weiß-Sein. "Systematischer Rassismus" sei eng verflochten mit der Liturgie, in der Weiß die Farbe der Hoffnung und des Guten sei - und Schwarz eben nicht. Noch immer sei der in Gotteshäusern dargestellte Jesus ein weißer Mann. Beim Theologiestudium gebe man den künftigen Pastorinnen und Pastoren Werke über afro-amerikanischen Glauben und Kultur - freilich meist nur als "Zusatzliteratur".

Schuldbekenntnis und Resolution gegen Rassismus

Duncans Buch belebt einen Trend in der Kirche. Im Juni dieses Jahres hat der Rat der ELKA sich für die "historische Mitschuld" an der bis 1865 existierenden Institution Sklaverei entschuldigt. Die Kirche "bekenne, bereue und verurteile", dass sie geschwiegen habe zu rassistischer Ungerechtigkeit. Im Sommer 2018 hat die ELKA erstmals in ihrer Geschichte eine afro-amerikanische Bischöfin ins Amt eingeführt, die Geistliche Viviane Thomas-Breitfeld.

Am 18. August 2018 wird in Janesville im Staat Wisconsin mit Viviane Thomas-Breitfeld die erste afrikanisch-amerikanische Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA) ins Amt eingeführt.

Bei der nationalen ELKA-Kirchenversammlung im Sommer wurde eine Resolution verabschiedet: Menschen in religiösen und politischen Führungspositionen seien verpflichtet, "rassistische Rhetorik" zu verurteilen. Zudem wurde beschlossen, den 17. Juni als Tag der Reue zu begehen. Am 17. Juni 2015 hatte der Weiße Dylann Roof in einer Kirche in South Carolina neun afrikanisch-amerikanische Gläubige ermordet.

Roof war laut ELKA Mitglied einer ihrer Kirchengemeinden. Es handle sich hier nicht nur um die "Tat eines zutiefst gestörten Mannes", sagte die leitende Bischöfin Elizabeth Eaton damals. Die Tat gründe sich auf ein rassistisches Gedankengebäude, und Rassismus sei "ein Fakt in der amerikanischen Kultur". So jemand wie Roof könnte heute in der Bank jeder beliebigen ELKA-Gemeinde sitzen, schreibt Duncan. Und diese Person warte nur darauf, ein "gutes Wort" zu hören, um auf den richtigen Weg zu kommen. Das weiß geprägte Lutheranertum habe dessen Glauben an die Überlegenheit der Weißen offenbar nicht erschüttert.