Der "Weltverfolgungsindex 2019"

"Weltverfolgungsindex 2019"
© pixabay.com/Frank Becker
Für viele verfolgte Christen ist öffentliches Beten nur ein unerfüllter Traum.
Der "Weltverfolgungsindex 2019"
Entwicklungen in Indien im Fokus
Die Verfolgung religiöser Minderheiten hat viele Gesichter - und alle von ihnen sind hässlich. Denn Religions- und Gewissensfreiheit sind ein Menschenrecht. Mit seinem "Weltverfolgungsindex 2019" klagt Open Doors erneut die Staaten mit der "härtesten Christenverfolgung" an. Besonders im Fokus: Indien.

In fast ganz Asien und in vielen Ländern im Norden Afrikas werden laut Open Doors Christen verfolgt. Von den 50 Ländern auf der Liste des "Weltverfolgungsindex 2019" (Berichtszeitraum 1. November 2017 bis 31. Oktober 2018) liegen nur Mexiko und Kolumbien nicht auf einem der beiden Kontinente.

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Insgesamt habe nicht nur die Gewalt gegen Christen, sondern die Christenverfolgung im Allgemeinen erneut zugenommen. Das illustriert der "Weltverfolgungsindex" anhand der dokumentierten Morde an Christen: Waren im vorherigen Berichtszeitraum nach Angaben von Open Doors 2.782 Christen ermordet worden, so stieg die Zahl aktuell auf 4.136. Schikane, Unterdrückung und Überwachung schränken das Recht der Menschen auf Religionsfreiheit massiv ein.

Nordkorea führt wie seit 2002 die Negativliste an, gefolgt von Afghanistan, Somalia, Libyen, Pakistan, Sudan und Eritrea. Diese Länder waren auch schon zuvor allerdings in leicht veränderter Reihenfolge im Negativ-Ranking vorn. Auch die Situation für Christen im Jemen (Platz 8) wird insgesamt schlechter. Zwar hätten sich in den Bereichen "Privat- und Familienleben" minimale Verbesserungen auf einem immer noch katastrophalen Niveau gezeigt, doch wird die Gesamtsituation von häufiger auftretender Gewalt überschattet. Im Vergleich zu anderen Ländern werden Christen im Jemen laut Open Doors seltener Opfer von direkter Gewalt, was Open Doors zufolge daran liegt, dass die christlichen Gemeinden in den Untergrund gegangen sind. Ein öffentliches Bekenntnis zum Christentum würde in einem Staat, in dem der Abfall vom Islam ein todeswürdiges Verbrechen darstellt, zu einer extremen persönlichen Gefährdung führen. Problematisch ist hierbei die Trennung zwischen religiös motivierter und im Zusammenhang mit Kriegshandlung entstehender Gewalt.

Wie sich die Unterdrückung der Glaubensfreiheit durch ein immer repressiver werdendes Regime auf christliche Gemeinden auswirkt, lässt sich anhand von China illustrieren, von Platz 43 auf 27 gestiegen. Die Regierung unter Präsident Xi Jinping will die wachsenden christlichen Gemeinden zu Loyalität gegenüber dem Staat und der kommunistischen Partei zwingen. Im Februar 2018 traten neue Vorschriften für religiöse Angelegenheiten in Kraft. Seitdem mussten im Rahmen des Verbots der religiösen Unterweisung für Kinder und Jugendliche christliche Kindergärten und Sonntagsschulen schließen und Sommerlager wurden abgesagt. Gottesdienste werden videoüberwacht, Pastoren werden gezwungen, die Nationalhymne vor dem Gottesdienst singen zu lassen oder die chinesische Flagge in der Kirche oberhalb des Kreuzes aufzuhängen. Mit Blick auf die Kirchen kündigte China auch seine "Richtlinie zur Förderung des chinesischen Christentums in China für die nächsten fünf Jahre (2018-2022)" an. Mit dem Vatikan einigte sich die chinesische Regierung im vergangenen Dezember auf ein neues Prozedere zur Ernennung von Bischöfen: In Zukunft hat der Papst nur noch ein Vetorecht, die chinesischen Behörden treffen die Entscheidung.

Die Daten für den "Weltverfolgungsindex 2019" wurden vom 1. November 2017 bis 31. Oktober 2018 erhoben.

Eine extreme Verschlechterung der Situation sieht das christliche Hilfswerk, das der Deutschen Evangelischen Allianz nahesteht, für die indischen Christen: ihr Land – die nach eigenen Angaben größte Demokratie der Welt – ist erstmals mit Platz zehn in der Top Ten der Verfolgerstaaten vertreten. Diese Einschätzung teilt eine Anwältin [Name der Redaktion bekannt] der Menschenrechtsorganisation des indischen Zweigs von ADF International, die sich weltweit für Religionsfreiheit einsetzt. "Wir beobachten einen deutlichen Anstieg der Gewalt gegen religiöse Minderheiten", so die ADF-International-Anwältin. Die Entwicklung sei politisch und nicht durch den Glauben motiviert. Indien habe mit der Ausbreitung eines religiösen Nationalismus zu kämpfen, der alle anderen religiösen Minderheiten zu verdrängen versuche. "Da wird Politik mit Religion vermischt", sagt sie, "manche politischen Figuren benutzen die Religion für ihre Zwecke. Und wenn sie das nicht tun, so verurteilen sie die Gewalt im Namen des Hinduismus zumindest nicht."

Ihre Einschätzung stützt sich unter anderem auf eine Studie über Gewalt gegen religiöse Minderheiten, die das indische Innenministerium dem Parlament im vergangenen Jahr vorgelegt hat: Darin wird ein Anstieg der Gewalt um 28 Prozent in drei Jahren thematisiert und anhand des Jahres 2017 illustriert. In dem Jahr seien 822 "Vorfälle" mit 111 Toten und 2.384 Verletzten registriert worden.

In mindestens 16 der 29 indischen Bundesstaaten gäbe es regelmäßig Angriffe auf Christen. Geografisch gesehen häufen sich die Vorfälle in Zentral- und Nordindien (zum Beispiel Chhattisgarh, Uttar Pradesh, Madhya Pradesh oder Maharashtra). "In diesen Regionen leben wenige Christen und das macht sie zur Zielscheibe von Gewalt", so die ADF-Anwältin. Sie erklärt weiter, dass es in den ländlichen Gebieten eher zu Übergriffen käme als in den Städten. Auch im südlich gelegenen Bundesstaat Tamil Nadu, in dem aufgrund der christlichen Tradition des Märtyrer Thomas eine große christliche Gemeinschaft lebt, komme es seit einiger Zeit vermehrt zu Gewaltausbrüchen. Ihre Theorie lautet: "Die Nationalisten bekommen in der Region immer mehr Macht und deshalb steigt auch die Gewalt gegen Christen."

Die rechtliche Situation für religiöse Minderheiten ist in Indien kompliziert. Eigentlich sichert die indische Verfassung in Artikel 25 allen Menschen den Schutz der Gewissensfreiheit und das Recht auf Religionsausübung zu. Gleichzeitig existieren jedoch in vielen Bundesstaaten und manchmal sogar landesweit Gesetze, die vor allem gegen religiöse Minderheiten eingesetzt werden und diese diskriminieren. Dazu zählen unter anderem die Blasphemie-Gesetze aus der britischen Kolonialzeit, die Blasphemie mit drei bis fünf Jahren im Gefängnis bestrafen und vorwiegend, aber nicht ausschließlich, gegen Christen verwendet werden.

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Ein weiteres viel diskutiertes Gesetz ist die Presidential Order aus dem Jahr 1950: in ihr ist festgehalten, dass eine Quote für Angehörige der Dalit-Kaste (früher die "Unberührbaren") im öffentlichen Raum erfüllt werden muss. Das betrifft unter anderem Behördenjobs, Studienplätze an staatlichen Universitäten, Wohnungen in staatlichen Bauprojekten oder auch die Repräsentation in Parlamenten. Außerdem garantiert das Gesetz einen besonderen Schutz für diese Gruppe. Nach zwei Anpassungen (1956 und 1990) gilt diese gesetzliche Bevorzugung ("Affirmative Action") nun für alle Dalit, die einer in Südostasien entstandenen Religion (Hinduismus, Buddhismus und Sikh) angehören – nicht jedoch für christliche und muslimische Dalit, die weiter unter sozialer und wirtschaftlicher Diskriminierung zu leiden haben.

In acht Bundesstaaten gibt es sogenannte "Freedom of Religion Acts", die besser unter dem Namen "Anti-Bekehrungsgesetz" bekannt sind: Sie bestimmen, dass jede Konvertierung bei den Behörden ein Monat im Voraus anzugeben ist und verdächtige Konvertierungen, praktisch eigentlich alle, die sich nicht dem Hinduismus zuwenden, untersucht werden müssen. Dabei sollen die Behörden feststellen, ob es äußere Anreize für die Konvertierung gab oder ob gar ein Betrug oder Zwang im Spiel gewesen sei. Denn Bekehrung ist verboten. "Als "Anreiz" kann bei Konvertierungen vieles gelten", so die Menschenrechtsanwältin von ADF International in Indien, die schon viele Betroffene vor Gericht verteidigt hat. "Gute christliche Taten können als "Anreiz" interpretiert werden oder gemeinsames Beten für einen Kranken wird bei ausbleibender Heilung als Betrug angesehen. Die Gesetze sind vage und jönnen missbraucht werden", erzählt sie. Wegen solcher Handlungen werden Menschen in Indien angezeigt und von den Behörden verfolgt: so wie eine Gruppe von 30 Theologiestudierenden und zwei Priestern, die verhaftet wurden, weil sie im Dezember 2017 auf dem Weg zu einer christlichen Einrichtung Weihnachtslieder gesungen haben. Rechtsgerichtete Hindu-Aktivisten hatten in dem Gesang einen verbotenen Bekehrungsversuch gewittert.

"Wenn die Listen mit den Namen und Adressen der Konvertiten in die falschen Hände geraten, können schreckliche Dinge geschehen. Regelmäßig werden Menschen, die ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit ausüben, angegriffen", sagt die Anwältin und spielt damit auf die immer wieder ausbrechenden Angriffe von Mobs auf religiöse Minderheiten an. So wie 2008, als Christen zu Unrecht für den Tod eines Hindu-Führers verantwortlich gemacht wurden und ein Mob im Distrikt Kandhamal mehr als 100 Menschen ermordete, über 40 Frauen vergewaltigte, 6.500 Gebäude zerstörte und mehr als 50.000 Menschen vertrieb. Von einer vernünftigen juristischen Aufarbeitung und Entschädigungen für die Opfer sei man immer noch weit entfernt.

Das wirft ein Schlaglicht auf ein weiteres Problem, das religiöse Minderheiten in Indien haben: Sie werden nicht von der Polizei geschützt. Stattdessen missbraucht die Polizei in vielen Fällen ihre Macht, weshalb nur ein Viertel der nach offizieller Statistik 2017 angegriffenen Christen überhaupt Anzeige erstattet hat. Der Oberste Gerichtshof in Indien hat das Problem erkannt und im vergangenen Jahr umfassende Anweisungen zum Schutz religiöser Minderheiten gegen Gewalt von Mobs erlassen.  

Dass es jedoch auch positive Entwicklungen gibt, zeigt Tansania. Jahrelang hielt sich das Land konstant im Mittelfeld des "Weltverfolgungsindexes" – vor allem, weil die christliche Minderheit auf der muslimisch geprägten Insel Sansibar immer wieder unter Repressionen und Diskriminierung zu leiden hatte. Nachdem jedoch die führenden Köpfe der islamisch-extremistische Gruppe Uamsho (ein Akronym auf Suaheli für "Vereinigung islamischer Mobilmachung und Verbreitung") entweder verhaftet wurden oder ihre Führungsposition verloren haben, verbessert sich die Situation in Tansania stetig, so dass das Land zum zweiten Mal in Folge nicht mehr zu den 50 Ländern gehört, in denen Christen am stärksten verfolgt werden.

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