Pastorinnen möchten zu Senioren forschen

Senioren brauchen neue Angebote von der Kirche
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Welche Angebote helfen älteren Menschen besser als der klassische, mittlerweile längst überholte Seniorenkreis? Denn alt fühlen sich die wenigsten.
Pastorinnen möchten zu Senioren forschen
Jeder vierte Deutsche ist über 60 Jahre alt - und es werden immer mehr. Zwei Pastorinnen wollen jetzt die Interessen dieser Gruppe untersuchen. Eins ist schon klar: Alt fühlen sich die wenigsten. Und der klassische Seniorenkreis hat ausgedient.

"Das Unerträglichste am Altern sind die schwindenden Kräfte", sagt Dagmar Henze. Doch trotzdem zu wissen, wofür es sich selbst in hohem Alter noch zu leben lohnt, sei die große Kunst, sagt Inken Richter-Rethwisch. Die beiden Theologinnen haben eine neue Arbeit im Haus kirchlicher Dienste in Hannover aufgenommen: Ab Mitte Oktober wenden sie sich im Auftrag der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers eigens an Menschen über 60 Jahre, um die Bedürfnisse der immer älter werdenden Gesellschaft zu erforschen.

Ein Viertel aller Menschen in Deutschland ist älter als 60

"Die Kirche hat den Blick bisher viel zu wenig darauf gerichtet", sagt die 55-jährige Henze. Mit anderen Worten: Es wurde Zeit, sich stärker mit den Älteren zu beschäftigen. Denn deren Zahl wächst schnell. Derzeit ist gut ein Viertel aller Menschen in Deutschland älter als 60 Jahre. Bis 2060 soll nach einer Prognose des Statistischen Bundesamtes allein der Anteil der über 65-Jährigen mehr als ein Drittel der Bevölkerung ausmachen.

Dabei bemerke man schon jetzt eine Tendenz zur "Getthoisierung" der Gesellschaft, sagt Richter-Rethwisch. Den verschiedenen Generationen fehlten immer mehr die Möglichkeiten, täglich miteinander zu tun zu haben. Gelinge ihnen aber der Austausch, entpuppe er sich oft genug für alle als Gewinn. Henze berichtet von einer 104-jährigen Frau, deren Lebensfreude so stark sei, dass sie auf ihr gesamtes Umfeld übergehe. Ihr Rezept? "Eine große Dankbarkeit, eine liebevolle Familie - und annehmen, was andere für einen tun."

Es muss mehr geben als den Seniorenkreis

Von solchen Geschichten, die Mut machen, gibt es aus Sicht der beiden Frauen viele. Die Pastorinnen wollen sie in den kommenden fünf Jahren sammeln - so lange soll das Vorhaben der Landeskirche dauern. Daraus sollen Ideen entstehen, die zunächst in und um Hannover erprobt werden. Welche Angebote helfen den älteren Menschen besser als der klassische, mittlerweile längst überholte Seniorenkreis? Das gelte herauszufinden und auszuprobieren, sagt Richter-Rethwisch.

Dabei sei von großer Bedeutung, den Menschen die Angst vor Alter und Tod ein Stück weit zu nehmen. "Sich all dem zu stellen, was mit dem Alter einhergeht, erscheint für viele schwerer, als es tatsächlich ist", sagt die 47-Jährige. In diesem Sommer hat sie ihre kranke Mutter bis zu deren Tod begleitet. "Eine Erfahrung, die uns beide bewegt hat, die einschneidend war und - ja, die schön war."

Berufliche Neuanfänge keine Seltenheit

Doch zum Älterwerden gehört auch immer mehr Leben dazu. Die Lebenserwartung ist gestiegen, derzeit liegt sie für Männer bei 78 Jahren und für Frauen bei 83 Jahren. Eine Folge: Zwischen 60 und 80 Jahren fühlten sich viele Menschen nicht mehr alt. Im Gegenteil - oft fange das Leben da neu an, sagt Richter-Rethwisch. Selbst berufliche Neuanfänge kämen in diesem Alter nicht selten vor. 

"Trotzdem wollen wir am Ende der fünf Jahre nicht nur einfach eine Broschüre produziert haben, die einzelne persönliche Geschichten wiedergibt", sagt Henze. Sondern vielmehr wissen, was es brauche, damit Ältere ein erfülltes Leben führen.

Das dürfte kein einfaches Unterfangen werden, weil die Lebenswelten älterer Menschen heute unterschiedlicher ausfallen denn je. Während die einen noch immer fest im Berufsleben stehen oder sich als Rentner neu erfinden, verlieren andere den Anschluss und den Boden unter den Füßen. Dabei kämpfen immer mehr Menschen mit der Altersarmut, vor allem Frauen und Alleinstehende.



Doch all das wissen Dagmar Henze und Inken Richter-Rethwisch bereits. Henze, die an der Universität Kassel in der Frauenforschung promoviert hat, arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Pastorin, derzeit mit einer halben Stelle in der Nähe von Göttingen. Richter-Rethwisch war zehn Jahre lang Pastorin in Kassel, bevor sie Referentin für Seelsorge und Gemeindeformen bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wurde.

Die beiden Theologinnen fühlen sich auf die Herausforderung gut vorbereitet. Was sie sich als Ergebnis ihrer Forschungen erhoffen? "Dass die Gesellschaft die Vorteile der Älteren sieht: die Erfahrung, Weisheit und Gelassenheit", sagt Henze. Und Richter-Rethwisch ergänzt mit einem Augenzwinkern: "Dass wir den Menschen sagen können: Das Beste kommt noch."