Judentum und Profi-Fußball gehören von Anfang an zusammen. Berühmt ist Ajax Amsterdam - mit langer und enger Verbindung zur jüdischen Gemeinde und einer große jüdische Anhängerschaft. Fans übernahmen die Selbstbezeichnung "Juden" oder "Superjuden" und nutzten den Davidstern und die israelische Flagge.
Oder der SC Hakoah Wien. Wer weiß heute noch, dass dieser jüdische Fußballverein 1924 erster österreichischer Meister in der gerade erst gegründeten Profi-Liga wurde. Dass es der jüdische Verein Makkabi Berlin im vorletzten Jahr sogar in ein DFB-Pokalspiel geschafft hat, war eine sportliche wie religiöse Sensation. Das sind die prominenten Beispiele. Kaum bekannt aber ist, dass es etwa im Berliner Fußball weitere jüdische Wurzeln gibt. Im Wedding gründete sich in der Weimarer Republik der SC Hakoah Berlin. Nun will der neue Vorstand die eigene Geschichte wissenschaftlich aufarbeiten lassen.
Es ist ein normales Fußball-Training. Die 11- bis13-Jährigen wuseln auf dem Sportplatz in Berlin-Wedding herum und folgen irgendwann den Anweisungen des Trainers: Tore aufstellen! Übungswesten anziehen! Dann können die ersten Übungen beginnen. Autoritätsprobleme gebe es auf dem Platz nicht, heißt es hier. Die Kinder und Jugendlichen seien froh, nicht zu Hause allein daddeln zu müssen, sondern sich zusammen mit neu gewonnenen Freunden draußen bewegen zu können. Und die Eltern wüssten ihre Kinder gut versorgt, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass da etwas mit Drogen oder Gewalt passieren könnte.
Hier gehe es weniger um Leistung als um Fairness und gegenseitige Achtung, sagt Kassierer Johannes Refle: "Wir bringen Jungs und Kinder zusammen, die sonst vielleicht nicht miteinander spielen würden, daran Spaß haben und im Zweifel auch Grenzen kennen lernen. Für die Gesellschaft bringt die Arbeit im Kleinen, im Verein, viel mehr als jetzt eine große Kampagne vom DFB für mehr Toleranz, die dann auf Plakaten oder im Fernsehen zu sehen ist."
Ein selbstbewusster Kiez-Fußballclub also, der WFC Corso99/Vineta. Sein Motto: "Wir im Wedding, Fußball für alle". Es komme den rund 350 Vereinsmitgliedern vor allem auf Spaß an, heißt es hier. Die vorderen Tabellenplätze oder gar einen Aufstieg in die nächsthöhere Liga überlasse man getrost anderen Vereinen.
Stolz auf die eigene Geschichte
Dieser WFC Corso99/Vineta ist auch noch aus einem anderen Grund etwas Besonderes. Denn hier ist man stolz auf die eigene Geschichte. Die begann, als der jüdische Verein Hakoah Wien 1924 erster österreichischer Meister wurde. Es gab einen Berlin-Besuch des Wiener Meisters. Der zweite Vorsitzender bei Corso99/Vineta Ferdinand Houben dazu: "Der SC Hakoah Wien ist für uns interessant. Diese Mannschaft hat große Erfolge in Österreich und auch gegen englische Fußballmannschaften eingefahren. Deren Berlin-Besuch hat dazu geführt, dass einzelne jüdische junge Herrschaften sich damals entschieden haben: Wir werden einen Verein gründen, der sich dezidiert auf seine jüdischen Identitäten bezieht. Daraus entstand dann der SC Hakoah Berlin."
Ha Koah (gesprochen Koach) – hebräisch für "die Kraft", wurde in Berlin immer stärker. Auf einer Tagung des Berliner Fußball Verbandes BFV über die Zeit des Nationalsozialismus wurde die jüdische Geschichte des Vereins jüngst immer klarer.
"Da wurde der SC Hakoah als ehemals größter jüdischer Verein in Berlin thematisiert. Die waren Makkabi-Meister in den Jahren 1935, '37 und auch '38. Plötzlich wurde das zum großen Thema und wir saßen da in unseren Corso-T-Shirts und meldeten uns und sagten: Wir sind der Nachfolgeverein! Und die Leute kamen auf uns zu und stellten immer mehr Fragen. Da war klar: Machen wir doch was draus!", zeigt sich der zweite Vereinsvorsitzende auch im Nachhinein noch begeistert.
Ferdinand Houben und einige seiner Mitstreiter im Vereinsvorstand sind noch Studenten, wohnen aber im Wedding und wollen sich gerade hier für ihren Stadtteilclub engagieren. Nun wollen sie einen Antrag für ein Forschungsprojekt des Berliner Exzellenz Clusters für ein Projekt-Tutorium stellen, das von ihnen geleitet werden soll.
Jüdische Geschichte wissenschaftlich erforscht
Das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin hat weitere Unterstützung zugesichert. Die jüdische Geschichte des Vereins soll wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Welche der ehemaligen Spieler konnten vor den Nazis fliehen? Welche kamen in der Shoah um? Was Ferdinand Houben und seine Mitstreiter heute schon wissen: Nach dem Krieg gründete sich der ehemals nur jüdische Verein in Berlin neu.
"Jüdische Sportler haben nach dem Krieg nicht mehr die Hauptrolle gespielt. Man hat sich entschieden, den Verein nochmals ganz anders aufzubauen. Es waren viele jüdische Überlebende aus der NS-Zeit, die in den Verein gegangen sind, die dann in den nächsten Jahren emigriert sind. Gleichzeitig hat man sich nicht mehr dezidiert als rein jüdischer Club gesehen, sondern hat sich offener aufstellen wollen", sagt Ferdinand Houben.
So wurde aus Hakoah Berlin der Verein Vineta, der später dann mit Corso99 zum heutigen Verein mit dem Doppelnamen fusionierte.
Längst ist der Wedding durch viele Zuzüge muslimisch geprägt. Auch auf dem Spielfeld stehen viele türkischstämmige Kinder. Ist es da eine gute Idee, gerade auf die jüdischen Wurzeln des Vereins hinweisen zu wollen? Unbedingt, sagt Vereinsvorsitzender Ferdinand Houben: "Wir haben schon Interesse daran, jüdische Geschichte an die Kids heranzubringen. Gerade hier im Wedding, einem Stadtteil, in dem weitgehend muslimisch gelesene Menschen leben."
Man brauche und wolle sich nicht verstecken. Denn es gebe durchaus eine Verbindung zwischen damals und heute. Was verbinde, seien Diskriminierungserfahrungen, die Menschen jüdischer Religion wie auch muslimische Menschen in Deutschland teilen würden.
"Wo ist die logischere Brücke, als wenn wir über unsere Geschichte gehen und unsere Kinder mit dieser Geschichte aufzeigen, wo ihre Gemeinsamkeiten vielleicht auch liegen", erklärt der zweite Vorsitzende des WFC Corso99/Vineta, Ferdinand Houben.