Ein Wald zuviel - Protest aus der Kanzel

Der Tagebau Hambach bei Morschenich schiebt sich an den Hambacher Forst.
Foto: Federico Gambarini/dpa
Der Tagebau Hambach schiebt sich an den Hambacher Forst.
Ein Wald zuviel - Protest aus der Kanzel
Baumbeschützer, Tausende Polizisten und mutige junge Leute: Die Evangelische Gemeinde zu Düren ist im Ausnahmezustand, seit die letzten Bäume des Hambacher Waldes gerodet werden sollen. Vor Ort könnte sich die entscheiden, wie die Klimapolitik der Zukunft aussehen wird.

Kaum eine halbe Stunde S-Bahn-Fahrt von Köln nach Buir, ein strammer Fußmarsch und schon ist der Hambacher Wald mit seinen Hainbuchen und Eichen erreicht, der zurzeit bekannteste Wald Deutschlands. Ihn begrenzen der Braunkohletagebau Hambach und die Dörfer Alt-Morschenich und Manheim, unheimliche Orte mit verschlossenen Häusern, deren Bewohner dem Braunkohletagebau weichen mussten. Und genau dort, hinter dem Gebüsch beim Morschenicher Pilgerkreuz, hat er sich versteckt, ein Einsatzwagen mit sechs Polizisten darin. Durchgangssperre?

Hans Stenzel weiß, wie man sich verhält

Drei Männer vorm Walde: der 79-jährige Stenzel, Jens Sannig mit Hund und Klaus-Dieter Koß.

Hans Stenzel weiß, wie man sich verhält. Wie arglose Spaziergänger im Sonnenschein schlendern er und seine beiden Begleiter vorbei und winken den Polizisten freundlich zu. Was die Ordnungshüter nicht wissen können: Diese drei Männer vom Evangelischen Kirchenkreis Jülich sind alles andere als harmlos, zumindest aus Sicht des Energiekonzerns RWE AG. Eben noch haben der 79-jährige Stenzel, ehemaliger Bergbauingenieur und Gemeindepädagoge, Superintendent Jens Sannig und Mitweltbeauftragter Klaus-Dieter Koß ihre Konzepte für die Kohlekommission der Bundesregierung fertig geschrieben, gespickt mit Fakten zum Kohleausstieg und Anweisungen für den Strukturwandel im Revier, nun schauen sie vor Ort nach dem Rechten.

Zornig schreitet Stenzel voran zur Abbruchkante, während er erklärt: „Die weitere Rodung des Hambacher Waldes ist nicht notwendig. Es ist ein politischer Machtkampf.“ Am aufgeschütteten Plateau vor dem Tagebau Hambach bleiben die drei stehen. Hier, wo die Bagger sich bereits ins Erdreich graben mit Schaufelrädern, bei denen jede einzelne Schaufel groß ist wie ein VW Käfer, wird das Ausmaß des Braunkohleabbaus sichtbar. Es ist ein gigantisches, bis zu 670 Meter tiefes Loch, das zum größten Europas werden könnte. In der Ferne erhebt sich, bizarr in der flachen Landschaft, die Sophienhöhe, eine 300 Meter hohe Abraumhalde, die nie wieder bewegt werden darf. Links daneben wolken die Rauchschwaden zweier Kraftwerke in den Himmel. Naturschützer sagen, der Tagebau Hambach sei ein Supergau für Natur, Landschaft und soziale Strukturen. Stenzel sagt: „Ich habe zwölf Jahre im Steinkohlebergbau gearbeitet und erlebt, was das zerstört. Als Christ muss ich mich für und nicht gegen die Schöpfung einsetzen.“

Lobbyarbeit ist tief verwurzelt mit der Lokalpolitik

Der Kirchenkreis Jülich ist umzingelt von Tagebauen, die Evangelische Gemeinde zu Düren, eine Flächengemeinde mit 22500 Mitgliedern und neun Pfarrstellen, unmittelbar von Hambach betroffen. Seit 30 Jahren kämpfen sie gegen die Kohleindustrie und Kraftwerke wie Garzweiler II und Weisweiler, eines der dreckigsten in Europa. Dabei haben sie mächtige Gegner. RWE als einer der größten Energiekonzerne des Kontinents betreibt Lobbyarbeit, ist tief verwurzelt mit der Lokalpolitik und nicht wenige Politiker beziehen über ihn stattliche Nebeneinkünfte.

Der ehemalige rheinische Präses Peter Beier in der Schlo߂kirche von Wittenberg bei einer Predigt.
Ein Vorreiter der Widerständigen war Peter Beier, früherer Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seine Gottesdienste Ende der 1980er-Jahre sind legendär, manche wurden von RWE-Mitarbeitern gestürmt, doch unverdrossen schrieb er die Position der rheinischen Kirchen mit ihrer Verantwortung für Menschen, Natur und Kultur der Region fest. In seine Fußstapfen tritt Superintendent Sannig. Seit zehn Jahren sitzt er an unzähligen runden Tischen und bei Energiesynoden mit Vertretern von RWE, der Politik und Wirtschaft zusammen, entwickelte mit der Technischen Universität Aachen Konzepte für neue Technologien und Arbeitsplätze, noch vergeblich. „Die Politik und RWE wollen keine Veränderung. Dabei brauchen wir dringend eine ökologische und gesellschaftliche Transformation, allein, um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen“, sagt der Kirchenmann. Er hat sich positioniert, auch zu den Aktiven im Hambacher Wald: „Diesen jungen Leuten ist es zu verdanken, dass die Kohlekommission auf die politische Tagesordnung gekommen ist und vor allem, dass der Wald noch steht.“

Zu den jüngsten Naturschützern der Dürener Gemeinde gehören Abelina und Molin. Die beiden 14-Jährigen sind täglich im „Hambi“, wie die Beschützer ihren Wald nennen, bringen Spenden in die Camps der Aktiven und gehen bei den Waldspaziergängen mit, die der Naturpädagoge Michael Zobel seit vier Jahren organisiert und die noch geduldet sind. Wie an diesem letzten Septembersonntag, als die Mädchen ihren Pfarrer Stephan Schmidtlein bei einer Mission begleiten.

Achtung, dahinter kommt etwas Kostbares

Pfarrer Schmidtlein hat seinen Fahrradanhänger schon vorn an der Straße freiwillig von einem Polizisten durchsuchen lassen.

Unter dem Dröhnen der Polizeihubschrauber füllt sich der Feldweg mit Menschen, der rund 800 Meter entfernt vom Morschenicher Kreuz in den Wald führt. Dort liegt das Wiesencamp, das Naturschützer mit Erlaubnis des Besitzers aufgebaut haben und das von der Polizei einfach abgeriegelt ist. Pfarrer Schmidtlein hat seinen Fahrradanhänger schon vorn an der Straße freiwillig von einem Polizisten durchsuchen lassen. Schlimm wäre es, wenn er nicht durchkäme, auch wenn der Inhalt seines Gepäcks sanfter nicht sein könnte: Federn, Zapfen, Beeren sind darin für ein Achtsamkeitsband, das er dort an die Bäume hängen will, wo die Rodung laut RWE-Plan beginnen soll. „Es ist ein Symbol aus der Waldpädagogik. Das Band zeigt an: Achtung, dahinter kommt etwas Kostbares“, erklärt der 58-Jährige.  

Der Waldspaziergang wird flankiert von Bereitschaftspolizei in schwarzer Kampfmontur, es sind Hunderte. Die Spaziergänger bleiben unverzagt. Sie machen ihr Event zu einer Mischung aus Festival und Riesendemo. Junge Eltern mit Kindern sind dabei, auch Prominente wie Bestsellerautor Peter Wohlleben. Der ruft ins Mikrofon: „Wer den Hambi schützt, schützt Menschen!“. Schmidtlein hofft, dass das ganze Land sieht, hier wird friedlich, wenn auch ein wenig ungehorsam demonstriert.

Abelina trauert.
Gewalt lehnen alle ab. Sicher, es gibt Gemeindemitglieder, die nicht einverstanden sind mit seinem Engagement. Denen versuche er deutlich zu machen, dass er sich nicht gegen die Menschen im Tagebau, sondern gegen die Art zu wirtschaften wende, sagt er. Spitzbübisch lächelnd fügt er hinzu: „Ich sage auch, dass Ordnungswidrigkeiten wie die Sitzblockade der Pfarrer Teil einer demokratischen Kultur sind.“

Der Ausnahmezustand dauert an

An einer Wegkreuzung stoppt der Zug. Vorsichtig hängen Abelina und Molin mit Hilfe des Pfarrers die Bindfäden für das Band an die Bäume. Dann setzt sich Abelina auf den Stumpf einer alten Eiche, die fiel, als an dieser Stelle die Baumhäuser von „Oaktown“ geräumt wurden. Mit fester Stimme sagt sie: „Der Hambi ist nur einer der Wälder, die gerodet werden, aber es ist einer zuviel. Was hier passiert, geht uns alle an.“ Der Ausnahmezustand dauert an, auch im toten Dorf Morschenich hinterm Busch beim Pilgerkreuz, wo Spaziergänger und alle anderen weiterhin von Polizisten beobachtet werden.