Wenn der Käfer aus dem Holzloch guckt

Restaurierungswerkstatt der Klosterkammer Hannover
Foto: epd-bild/Harald Koch
Die Restauratorin Kirsten Schröder untersucht in der Restaurierungswerkstatt der Klosterkammer Hannover eine rund 500 Jahre alte Jesus-Figur aus dem Kloster Lüne in Lüneburg.
Wenn der Käfer aus dem Holzloch guckt
Restauratorinnen retten Jahrhunderte alte Klosterschätze vor dem Verfall
Mikroskop, Pinsel, Skalpell und Pinzette gehören zum Werkzeug der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Restaurierungswerkstatt der Klosterkammer Hannover. In akribischer Feinarbeit sorgen sie dafür, dass jahrhundertealte Kunstschätze für die Nachwelt erhalten bleiben. Ein Besuch in der Werkstatt.

Die Jesusfigur hat mächtig gelitten, der ganze Körper ist mit Löchern übersät. Denn "Anobium punctatum" war sehr fleißig: Die Larven des Gemeinen Nagekäfers haben sich tief ins weiche Lindenholz der Figur gefressen. Über Jahrhunderte hing die Darstellung des Gekreuzigten hoch oben am Hauptaltar des Klosters Lüne in Lüneburg. Jetzt liegt sie mit einem weißen Stützkissen unter den Schultern auf einem Tisch in der Restaurierungswerkstatt der Klosterkammer Hannover. Restauratorin Kirsten Schröder (42) betrachtet die Oberfläche des Kunstwerks durch ein riesiges weißes Operationsmikroskop in bis zu 40-facher Vergrößerung: "Manchmal guckt noch ein Käfer aus einem Ausflugloch, der es nicht mehr rechtzeitig heraus geschafft hat."

Durch akribische Feinarbeit sorgen Schröder und ihre Kolleginnen und Kollegen dafür, dass die manchmal arg angegriffenen Kunstschätze aus niedersächsischen Klöstern für die Nachwelt erhalten bleiben. Rund 12.000 Kunstgegenstände werden in den 17 Klöstern, Stiften und anderen Gebäuden der Klosterkammer in Niedersachsen verwahrt: Bilder und Skulpturen, kostbare Möbel oder vergoldete Kelche und Teller. Haben "Anobium punctatum" oder schlichtweg die Zeit allzu heftig an einem von ihnen genagt, kommt das Kunstwerk in die Restaurierungswerkstatt im Hauptgebäude der Klosterkammer in der hannoverschen Oststadt.

Ende gut, alles gut

So wie die Jesusfigur aus Lüneburg: Das Werk eines unbekannten Schnitzers aus dem Renaissance-Zeitalter ist nicht nur von Insekten zerfressen, die im Volksmund Holzwürmer heißen, sondern wurde auch unfachmännisch aufgehängt. Dabei hat jemand ein Stück Draht in den nackten Rücken der Figur gebohrt, erzählt Schröder, die sich zum Schutz vor Chemikalien und Farben einen weißen Kittel und türkisfarbene Plastikhandschuhe übergestreift hat.

Die Restauratorin und ihre Kollegin Christiane Adolf (39) haben den Draht entfernt, das zerbrechliche Holz mit dem Pinsel gereinigt und mit Skalpell und Pinzette alte Verklebungen und Farbschichten abgelöst. Nach einer Behandlung gegen Holzschädlinge wurden Verbindungen an Armen und Beinen neu verleimt. "Jetzt geht es ihm wieder blendend."

Für die Ausstellung "Schatzhüterin. 200 Jahre Klosterkammer Hannover", die im noch bis zum 12. August im Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover zu sehen ist, sind etwa 170 Kunstwerke durch die Hände der Restauratoren gegangen. Jetzt sind andere Werke an der Reihe - so wie das großflächige Gemälde, das auf dem Nachbartisch ausgerollt ist.

Äbtissin Catharina-Margaretha von Estorff (1590-1659) aus dem Kloster Lüne hat sich für das Bild auf dem Totenbett porträtieren lassen - aufgebahrt im weißen Hemd, verziert mit schwarzen Schleifen. "Das war nicht unüblich im 17. Jahrhundert", erzählt Schröder. "Sie ließ sich malen für die Ewigkeit." Der Künstler ist unbekannt.

###galerie|146025|Notre-Dame bröckelt###

Die Restauratorin fand das vergessene Bild auf dem Dachboden des Klosters. "Es war in einem verheerenden Zustand." Das Gemälde war stellenweise gerissen, von Schimmelpilzen befallen und musste sorgfältig vom Kot von Tauben und Fledermäusen gereinigt werden. Doch der Zufallsfund ermöglicht spannende Blicke in die Vergangenheit: Denn einige Zeit zuvor war für Restaurierungsarbeiten die Gruft des Klosters geöffnet worden. Und zum Vorschein kam dabei unter anderen der mumifizierte Leichnam eben jener Äbtissin.

Die Fachleute konnten nun das Kunstwerk von 1659 mit den sterblichen Überresten der Adeligen vergleichen. "Vom Kleid ist fast gar nichts mehr erhalten, man sah noch die Reste der Schleifen." Allerdings war eine der Schleifen über die Jahrhunderte vom Handgelenk zum Ellenbogen gerutscht.

Die Restauratorin hat die alte Leinwand vorsichtig ausgebessert und mit Hilfe von Fischleim stabilisiert, so dass das Bild wieder auf einen Rahmen gespannt werden kann. Wohin es einmal kommt? Das wird sich später klären: "Erst einmal geht es darum, das Bild zu retten."