Wie sieht der Pfarrberuf 2030 aus?

Verwaltungsarbeit am Schreibtisch
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Gehen Pfarrerinnen und Pfarrer unter der Flut der Verwaltungsaufgaben bald unter? Damit es nicht so kommt, werden neue Konzepte erdacht.
Wie sieht der Pfarrberuf 2030 aus?
Sinkende Kirchengliederzahlen, weniger Geld, weniger Pastoren und trotzdem noch jede Menge Arbeit, die erledigt werden muss – aber wie? Das ist die große Herausforderung, vor der die Landeskirchen stehen. Einschätzungen, Strategien, Entwicklungen und Wünsche zur Zukunft des Pfarrberufs aus der Landeskirche Hannovers.

Der Anrufbeantworter im Pfarrhaus blinkt leuchtend rot, eine Nachricht reiht sich an die nächste: Die erste Anruferin fragt nach einem Termin für das Taufgespräch und ob es ein Problem sei, dass die Paten schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten seien, der nächste beschwert sich, weil er keinen Gemeindebrief bekommen hat, der Angestellter eines Beerdigungsinstituts möchte die Details für eine Beerdigung klären und wieder jemand anderes erkundigt sich nach der Anmeldefrist für den Konfirmandenunterricht. Und auch im Emailpostfach wird die Liste der Nachrichten immer länger: Einladungen zu Kirchenvorstandssitzungen der sechs Gemeinden, Vorbereitungstreffen für anstehenden Gemeindeaktivitäten und andere Termine müssen miteinander koordiniert werden. Einen Teil dieser Arbeit erledigen Mitarbeiter im Gemeindebüro für die Pfarrerinnen und Pfarrer, aber längst nicht alles.

"Es sind deutlich mehr Verwaltungsaufgaben hinzugekommen, die Pastoren und Pastorinnen erledigen müssen", bestätigt Dorothea Noordveld-Lorenz, Pfarrerin in der Evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers und Mitorganisatorin der Konferenz "Pfarrberuf 2030", bei der sich im Mai mehr als 200 Pastorinnen und Pastoren aus der hannoverschen Landeskirche über die zukünftige Gestaltung des Pfarrberufes ausgetauscht haben. Sie alle eint das Bedürfnis, die Veränderungen innerhalb der Kirche aktiv mitzugestalten, also nicht "zu jammern, sondern es auch als Chance zu begreifen und offen darauf zuzugehen", so Noordveld-Lorenz. "Da kann was schiefgehen, da kann aber auch viel Gutes bei rauskommen. Es besteht eine große Offenheit und Motivation bei vielen Kolleginnen und Kollegen, das zuzulassen." Denn dass es so wie bisher in zehn oder 20 Jahren nicht mehr weitergehen kann, darüber herrschte bei den Teilnehmern Konsens – nur wie es stattdessen sein wird, ist ungewiss. "Ich find's tatsächlich sehr schwierig vorherzusagen, wie der Pfarrberuf 2030 aussehen wird", gesteht Mathis Burfien, der in der hannoverschen Landeskirche für die theologische Nachwuchsgewinnung zuständig ist und von potentiellen Theologie-Studierenden mit dieser Frage konfrontiert wird. "Es wird sich etwas verändern müssen, denn wenn alles beim Alten bliebe, würden es die Menschen die Aufgaben nicht mehr schaffen."

Dabei wirken die Kernaufgaben eines evangelischen Pfarrers auf den ersten Blick beständig: seit der Reformation gehören die Verkündigung des Evangeliums, die Erteilung der Sakramente, die Seelsorge und die Lehre zum Aufgabenprofil. Doch sowohl innerkirchliche als auch gesellschaftliche Entwicklungen bringen immer mehr Menschen dazu, über das Selbstverständnis des Pfarrberufes nachzudenken: "Oft kommen die verschiedenen Tätigkeitsfelder im Pfarramt nur noch in einer Defizitperspektive in den Blick", stellte die Studie "Das Amt des Pfarrers und der Pfarrerin in der modernen Gesellschaft" der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck bereits im Jahr 2004 fest. "Die Pfarrerin unterrichtet, ohne Pädagogin zu sein; der Pfarrer ist Seelsorger, ohne Psychologe zu sein. Im Pfarramt werden Leitungsaufgaben wahrgenommen, ohne dass man Manager ist."

Mathis Burfien ist in der hannoverschen Landeskirche für die theologische Nachwuchsgewinnung zuständig.

Auch die Arbeitsbelastung müsse sich den Kongressteilnehmern zufolge bis 2030 unbedingt verändern: "Durch sinkende Pastorenzahlen müssen immer häufiger Vakanz-Vertretungen übernommen werden, was dann zu einer höheren Arbeitsbelastung führt. Das geht auf Dauer nicht so weiter", erklärt Noordveld-Lorenz. Verantwortlich dafür sind unter anderem die demografischen Veränderungen innerhalb der hannoverschen Landeskirche: Mit der Babyboomer-Generation werden in den kommenden Jahren laut Mathis Burfien jedes Jahr zwischen 45 und 110 Pastoren pensioniert – dabei rücken im Augenblick aber "nur" 45 bis 60 Theologiestudierende von der sogenannten Landesliste nach, um die Plätze der pensionierten Pastoren zu füllen.

Dabei sind diese nur auf den ersten Blick eher geringen Studierendenzahlen für die Landeskirche eigentlich ein Grund zur Freude: So viele Theologiestudierende gab es Mathis Burfien zufolge auf der hannoverschen Landesliste seit dem Studienjahr 2000/01 nicht mehr. Das werde nicht reichen, um die zu erwartende Lücke, die durch die Pensionierungswelle entstehen wird, zu schließen.

Gleichzeitig sinken zwar auch die Zahlen der Kirchenmitglieder. Die Landeskirchen gehen davon aus, dass sie in 20 Jahren circa ein Drittel weniger Kirchenmitglieder haben werden. Doch in der hannoverschen Landeskirche erwartet man erst 2040 wieder ein ähnliches Pastoren-Gemeindeglieder-Verhältnis wie jetzt. Im Augenblick profitiere man Burfien zufolge vor allem finanziell trotz sinkender Kirchengliederzahlen noch von der starken Wirtschaft. Das würde jedoch nicht ewig anhalten und man müsse sich in "Strukturprozessen" an die neue Situation anpassen: sowohl geistig als auch ganz praktisch. "Vielleicht sind wir eine nicht mehr so große Zahl, wie wir es einmal waren, aber trotzdem sind wir ja immer noch eine Gemeinschaft, die von etwas Größerem redet" sagt Mathis Burfien und fügt hinzu, man müsse als Kirche lernen, Wachstum neu zu definieren, um auf gesunde Art und Weise mit der abnehmenden gesellschaftlichen Relevanz umzugehen. "Wenn ich mir einen Baum anschaue, wächst der zum Beispiel zu aller erst mal in die Tiefe. Der brauch ein starkes Wurzelwerk, um ein gesunder Baum zu sein", führt Burfien aus und schlägt vor: "Wir sollten uns auch mal überlegen: Wie können wir eigentlich in die Tiefe wachsen in unserem Leben, mit unserem Glauben?"

Praktisch bedeuten diese angestrebten "Strukturprozesse" wiederum: "Wir gehen davon aus, dass Pastorinnen und Pastoren im Jahr 2030 für einen größeren geografischen Bereich zuständig sein werden, aber für eine kleinere Gemeindegliederzahl", so Burfien. Er war selbst im Landkreis Holzminden, einer der strukturschwächsten Regionen des Bundeslandes, als Gemeindepfarrer tätig und kennt die Herausforderungen, vor die die Entfernung zwischen den kleinen Dörfern auf dem Land einen Pfarrer stellen. "Es ist großer Schwierigkeitsgrad, für mehrere Kirchen in einem so einen großen geografischen Bereich, für so eine heterogene Struktur zuständig zu sein", gibt Burfien zu.

Nach Vorstellung der Konferenzteilnehmer von "Pfarrberuf 2030" soll dieser Entwicklung die Zusammenarbeit in multi-professionellen Teams entgegenstehen. Man könne vielleicht mit Religionslehrern zusammenarbeiten, andere Interessierte ansprechen oder auch über komplett neue kirchliche Berufe nachdenken. "Teams von Ehrenamtlichen können einerseits möglicherweise für eine größere Region verantwortlich sein, andererseits kann jeder einzelne aber auch stärker nach seiner Leidenschaft schauen und selbst Schwerpunkte in der Zusammenarbeit mit der Gemeinde setzen", erzählt Mathis Burfien. Er ist überzeugt davon, dass sich im Team "auch schon sehr viel mehr von den Lasten aufteilen und vom Alltag organisieren lässt, als ich das als einzelne Person könnte".

Man müsse schauen, so Dorothea Noordveld-Lorenz, welche Fähigkeiten die Menschen vor Ort mitbrächten und dann müsse man mit ihnen zusammenarbeiten, um das Evangelium zu verkünden und die Kirche im gesellschaftlichen Kontext gemeinsam breit aufzustellen. "Es ist ganz deutlich geworden: Wir als Pastoren können und wollen eigentlich auch nicht mehr dieses Alleinstellungsmerkmal haben", sagt Noordveld-Lorenz und betont dabei, dass ja nicht "die Pastoren die Gemeinde sind, sondern die Menschen in der Gemeinde".

"Es sind deutlich mehr Verwaltungsaufgaben hinzugekommen, die Pastoren und Pastorinnen so quasi nebenbei erledigen müssen", sagt Dorothea Noordveld-Lorenz.

Ob diese neue Arbeitsweise 2030 schon Einzug in alle Gemeinden der Landeskirche gehalten haben wird und nicht nur in einzelnen Pilotprojekten, bezweifelt Mathis Burfien jedoch: "Kirche ist langsam und ein großer Tanker, der sich nur schwer bewegt. Aber dass es in diese Richtung gehen wird, das glaube ich schon." Er selbst kann sich die Arbeit in einem so bunt gemischten, lebendigen Team sehr gut vorstellen und sieht darin auch etwas  Bereicherndes. Außerdem ist er Realist: das jahrhundertealte Prinzip des Dorfpfarrers, der immer ansprechbar ist, mit den Anwohnern des Dorfes den gleichen Rhythmus hat und alle Wege mit seinen Schäfchen geht, sei zwar ein tolles, bewährtes Prinzip, aber in der heutigen Zeit könne man es nicht mehr beibehalten. "Wie soll das auch gehen, wenn das Dorf nicht mehr da ist und die Menschen nicht mehr da sind, die diese Leistungen auch mitfinanzieren wollen", so Mathis Burfien.

Pfarrzentrierung überwinden

Bei all diesen neuen Ideen gibt es jedoch auch noch ein weiteres Hindernis: die gerade bei vielen älteren Gemeindegliedern immer noch stark verankerte Pfarrzentrierung. Dieses jahrhundertealte Phänomen lasse sich nicht eben mal von einem Tag auf den anderen beseitigen, so Burfien. Er merke jedoch, dass gerade die jüngeren Leute aus ihren eigenen Berufserfahrungen ein anderes Verständnis dafür mitbringen würden, wie kirchliche Teams funktionieren. "Ich glaube, das ist tatsächlich ein Lernprozess", sagt auch Dorothea Noordveld-Lorenz. "Wenn Gruppen einmal gemerkt haben: Es geht auch ohne die Pastorin, es geht ohne den Pastor. Dann ist da ja auch ein Erfolgserlebnis. Und ich glaube, davon braucht es einfach mehr eigene Erfahrung und Beispiele."

Insgesamt seien die inhaltlichen Wünsche auf der Konferenz über die Zukunft des Pfarrberufes recht einheitlich gewesen, so Noordveld-Lorenz. Und vermutlich gelte dies auch für viele andere Pfarrerinnen und Pfarrer in den Landeskirchen. "Es ging ganz stark darum, dass die Menschen weniger Verwaltungsaufgaben bewältigen möchten und stattdessen mehr Zeit für Besuche und für die Menschen vor Ort haben wollen. Sie wollen stärker mit Ehrenamtlichen zusammenarbeiten und wieder eine stärkere Fokussierung auf Verkündigung, Seelsorge, eigentlich auf das eigentliche Geschäft des Pfarrers." Auf diese Entwicklung müsse die Kirche reagieren, um den Pfarrberuf weiterhin attraktiv und zukunftsfähig zu gestalten, sagt Mathis Burfien: "Wenn Menschen das Gefühl haben, sie können nicht mehr ihren Dienst ausüben oder es führt sie in eine Art von Erschöpfung, die nicht mehr tragbar ist, dann muss sich etwas ändern."