Kirchenwahl hinter Gittern

Mitgefangene in der Jugendanstalt Hameln nehmen an Kirchenvorstandswahlen teil.
Jugendanstalt Hameln
Andreas und seine Mitgefangenen in der Jugendanstalt Hameln können erstmals per Briefwahl an den niedersächsischen Kirchenvorstandswahlen teilnehmen.
Kirchenwahl hinter Gittern
Kirchenvorsteher stellen sich erstmals jungen Häftlingen in Deutschlands größtem Jugendknast vor.
10.03.2018
epd
Charlotte Morgenthal

Wegen mehrfacher Brandstiftung sitzt der 18-jährige Andreas seit einem Jahr in der Jugendanstalt Hameln ein. Jetzt steht er mit den Händen in den Hosentaschen noch etwas unschlüssig neben dem Altar im Andachtsraum. "Auch vor meiner Haftzeit hatte ich mal mit der Kirche zu tun und war auch im Konfirmandenunterricht", erzählt er etwas schüchtern. In der Haft besucht er ab und an den Gottesdienst.

An diesem Nachmittag findet hier etwas Besonderes statt: Erstmals sind fünf der insgesamt zehn Kandidaten der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde Tündern in die bundesweit größte Jugendstrafvollzugseinrichtung gekommen, um sich vorzustellen. Denn am Sonntag, 11. März, sind in Niedersachsen Kirchenvorstandswahlen und Andreas und seine Mitgefangenen können per Briefwahl teilnehmen.

Zugang zum Glauben in der Haft

Fünf jugendliche Häftlinge verteilen im Andachtsraum Kaffee und Kuchen an die Gäste und sitzen schließlich im Stuhlkreis zwischen ihnen. Die meisten der ehrenamtlichen Vorstandskandidaten kommen wie Bestatter Thomas Rust direkt von der Arbeit in die Haftanstalt. Er trägt noch seinen schwarzen Anzug. Schnell ist er mit den jungen Häftlingen in einem intensiven Austausch über Tod und Sterben.

Ein Team von Kirchenvorstandskandidaten stellt sich im Andachtsraum der Jugendanstalt Hameln den Inhaftierten vor: Landwirt Karl-Friedrich Meyer (59), Altenpflegerin Sandra Oberheide (50),  Postzustellerin Leonore Bartels (58), Rechtspfleger i.R.  Juergen Habinicht (66) und Bestatter Thomas Rust (49).

Der 22-jährige David, der vor drei Jahren wegen einer Schlägerei mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurde, hat unter anderem mal in einem Pflegeheim gearbeitet. Er erinnert sich daran, wie schwierig der Umgang mit dem Thema ist. "Man muss dabei auch immer ein Stück die Distanz wahren", sind sich David und der Bestatter einig.

Der 21-jährige Markus, der in zwei Tagen entlassen wird, erzählt, dass er erst während der Haft einen Zugang zum Glauben gefunden hat. Ein Team von Seelsorgern bietet in der Anstalt für die 410 Insassen regelmäßig Gespräche, Gottesdienste oder Workshops an. Kontakt zur Kirchengemeinde hatte Markus bisher nicht. Nach seiner Entlassung werde er sich aber taufen lassen, sagt der junge Mann im grauen Kapuzzenpulli. "Lass mich ich selbst sein" steht in schwarzer Schrift auf der Rückseite seines Sweatshirts.

Ihm gegenüber sitzt Dominik, der in der Jugendanstalt als Maler- und Lackierergeselle arbeit. Der 21-jährige, vor dem noch rund anderthalb Haftjahre liegen, wünscht sich von den Kirchenvertretern einen stärkeren Austausch mit den Menschen von "draußen": "Besonders um Vorurteile über den Knast abzubauen, denn die meisten kennen das ja nur aus amerikanischen Filmen", sagt er mit einem gewissen Selbstbewusstsein. Auch David stimmt dem Vorschlag begeistert zu. "Einfach Zusammensitzen und Quatschen, das finde ich gut. Wir erleben hier dann mal etwas anderes."

Der Gefängnisseelsorger Matthias Weiss teilt gemeinsam mit der evangelischen Pastorin Margot Haffke Wahlunterlagen an die jungen Häftlinge aus.

Gemeinsam mit der evangelischen Pastorin Margot Haffke wird überlegt, wie sich die Gemeinde im etwa zwei Kilometer entfernten Ort künftig mit Gottesdiensten, Sportveranstaltungen oder Besuchsgruppen einbringen kann. Schließlich händigt Haffke jedem der Häftlinge einen Wahlzettel aus. Die ersten machen ihre Kreuze direkt am Tisch, andere nehmen die Papiere erst noch mal mit in ihre etwa neun Quadratmeter großen Zellen. Denn die Zeit der besonderen Wahlveranstaltung an diesem Abend ist begrenzt: Um 19 Uhr muss jeder Häftling wieder in seinem Wohnbereich zum "Einschluss" sein.

Andreas will sich nach seiner Entlassung in rund anderthalb Jahren auch wieder in der Kirchengemeinde in seinem Heimatort engagieren und sich dort auch konfirmieren lassen. "Vielleicht werde ich auch Pastor", sagt der junge Mann und lächelt leicht: "Dann kann ich auch anderen Menschen mit ähnlichen Problemen helfen."