Runder Geburtstag für "Neue Sachlichkeit"

Pressefoto Gemaelde von Alexander Kanoldt: Stillleben IV, 1925, Kunsthalle Mannheim.
Kunsthalle Mannheim/Cem Yücetas
Die Mannheimer Ausstellung "Neue Sachlichkeit" löste am 14. Juni 1925 den Überschwang des Expressionismus ab.
Kunstrichtung feiert Geburtstag
Runder Geburtstag für "Neue Sachlichkeit"
Vor 100 Jahren erhielt eine bis heute weltweit bedeutende Kunstrichtung ihren Namen: Die Mannheimer Ausstellung "Neue Sachlichkeit" löste am 14. Juni 1925 den Überschwang des Expressionismus ab.

Das muss einem erst einmal gelingen: mit einem Begriff eine ganze Kunstrichtung zu prägen. Dem zweiten Direktor der Kunsthalle Mannheim, Gustav F. Hartlaub (1864-1963), glückte dies vor 100 Jahren mit einer Ausstellung, der er den Titel gab: "Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus". Eröffnet wurde sie am 14. Juni 1925, mit Werken unter anderen von Max Beckmann, Otto Dix und George Grosz - eine Künstlerin war nicht vertreten.

"Malen, was ist", war das Anliegen der Künstlergeneration, die in den 1920er Jahren auf den Expressionismus folgte. Gerade Linien und ein kühler Blick auf die Wirklichkeit kennzeichnen die Kunst der "Neuen Sachlichkeit". In wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich schwieriger Zeit war es Hartlaub gelungen, 32 Künstler des seinerzeit neuen Stilempfindens auszustellen und sehr unterschiedliche Werke unter einem Begriff zu einen.

Der Name "Die Neue Sachlichkeit" bezeichnet bis heute weltweit eine Strömung innerhalb der Malerei des 20. Jahrhunderts, für die Rationalität, klare, gerade Linien und Präzision kennzeichnend waren. Gleichzeitig steht der Begriff auch für eine literarische Strömung und allgemein für den kulturellen Aufbruch der 1920er Jahre.

Eine multimediale Rekonstruktion im Altbau der Kunsthalle Mannheim erlaubt noch bis Ende des Jahres einen Blick auf die Ausstellung vor 100 Jahren. Mit der großen Schau "Die Neue Sachlichkeit - Ein Jahrhundertjubiläum" würdigte die Kunsthalle bereits zwischen November 2024 und März 2025 die - so das Museum - "bekannteste und bedeutendste" Ausstellung in der Geschichte des Hauses.

Goldene 20er Jahre waren nicht für alle golden

Zu sehen waren 233 Werke von Max Beckmann, Kate Diehn-Bitt, Otto Dix, Dodo, Karl Hubbuch, Lotte Laserstein und Pablo Picasso. Auch 30 Werke aus der Schau von 1925 waren vertreten. Die Arbeiten der Retrospektive zeigten, erklärt Holten, dass die "goldenen 20er Jahre nicht für alle golden waren". So stehen etwa soziale Missstände, die Verlorenheit des Individuums in der Großstadt, apokalyptische Szenen für die Zeit zwischen zwei Weltkriegen.

Die Menschen auf den Bildern der 124 Künstlerinnen und Künstlern schauen ernst und streng, geradezu melancholisch. Sie strahlen eine Sehnsucht nach Ruhe, Ordnung und Klarheit aus. Die Künstler damals suchten Antworten auf unsichere, gefährliche Umstände, sagte Holten dem Evangelischen Pressedienst (epd). Viele Bilder spiegeln Kriegserfahrungen und Armut. Hauptmotive sind das Zeitgeschehen, der Alltag der Menschen, die Industrialisierung, eine neue Art von Mobilität, die Rolle der Frau, hinzu kommen Stillleben.

Mit der Zeit kristallisierten sich zwei Hauptrichtungen heraus: der "rechte", idyllische, klassizistische Stil und der "veristische", zeitkritische, anprangernde Stil. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 bedeutete einen tiefen Einschnitt in Leben und Werk der Künstler. Viele - insbesondere jüdische Kunstschaffende - mussten fliehen oder wurden ermordet, ihre Werke als "entartet" diffamiert. Während die "veristische" Kunstrichtung im Nationalsozialismus verurteilt wurde, war der idyllische Stil geduldet.

Im Kubus 0 der Kunsthalle Mannheim sind seit Anfang Mai 50 Werke zur "Neuen Sachlichkeit" ausgestellt, unter anderen von Max Beckmann, George Grosz, Otto Dix, Alexander Kanoldt oder Georg Schrimpf. Die meisten Werke stammen aus der eigenen Sammlung der Kunsthalle, ergänzt um eine Leihgabe aus der Silard Isaak Collection: die 1927 entstandene "Jazz-Symphonie" von Sascha Wiederhold (1904-1962), einem lange vergessenen Künstler der 1920er-Jahre.