Wo Glaube und Politik sich treffen

Lange Nacht der Weltreligionen
Foto: Fabian Hammerl
Schauspieler vom Thalia Theater lesen eine Collage von Björn Bickers "Urban Prayers" in der Langen Nacht der Weltreligionen.
Wo Glaube und Politik sich treffen
Das Thalia Theater erkundet, wie viel Demokratie der Glaube verträgt
Die Frage nach Demokratie in den Religionen provoziert. Sie tastet danach, wer die Deutungshoheit im Glauben hat und wer welches Frauenbild vermittelt. Auf dem Podium des Hamburger Thalia Theaters diskutierten Christen und Muslime. Ausgemacht wurde dabei nicht nur eine Krise im Islam.

Eine schnell vorgetragene Wort-Collage liefert den Einstieg. Jeder fällt jedem ins Wort, in diesem Chor der Gläubigen. Weil jeder etwas anderes glaubt. "Wir segnen! – Wir nicht! - Wir kennen keine Zweifel – Wir nicht!" Das Stakkato der Sätze macht Björn Bickers Stück ebenso flüchtig wie rätselhaft. Der Dramaturg inszenierte schon vor Jahren die Verschiedenartigkeit im Glauben von Religionsanhängern. Das Hamburger Thalia Theater verband diese Sprachperformance mit Podiumsdiskussionen und der Frage nach Demokratie und Glaube. Mehr als 1000 Gäste folgten dem Spektakel in der Langen Nacht der Weltreligionen am vergangenen Wochenende.

Die türkischstämmige Menschenrechtsaktivistin Seyran Ates hatte, wie sie auf dem Podium sagte, "die Nase voll" von konservativen Muslimen. Sie habe lange beobachtet, dass die konservativen Islamverbände die Deutungshoheit des Islam an sich gerissen hätten mit ihrem alten Frauenbild. Seitdem sie 2017 in Berlin eine liberale Moschee gegründet hat mit dem Anspruch der Geschlechtergerechtigkeit, werde sie mit Kritik überschüttet. In der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee dürften Frauen und Männer zusammen beten und Frauen als Imamin predigen. Die Juristin selbst will auch Imamin werden, sie studiert bereits Islamwissenschaft. Deshalb bekommt sie Todesdrohungen. Dabei habe sie "nichts Neues erfunden", sagt Ates. Schon zu Mohammeds Zeiten hätten Frauen und Männer in einer Moschee gebetet. Aber in der patriarchalen Tradition sei das wieder zurückgedreht worden. Die Hadithe, die Aussprüche Mohammeds, würden diese patriarchale Tradition spiegeln, daher orientiere sie sich mehr am Koran, sagte Ates. 

Theologie braucht neues Denken

Die Frage nach der Deutungshoheit in der innerislamischen Diskussionsrunde auf der Thalia Bühne gewinnt schnell an Fahrt. Der islamische Theologe Abu Ahmed Jakobi kritisierte Seyran Ates, sie wolle mit der liberalen Moschee nur provozieren, liefere keinen Beitrag für eine substantielle Reformierung von innen. Zwar stimme er zu, dass es Probleme gebe: die islamische Tradition sei derzeit gebrochen. Er sprach, ohne den Namen zu nennen, die Rolle der Wahabiten aus Saudi Arabien an, die als eine Sekte aufgrund ihre Ölreichtums sehr an Einfluss gewonnen hätte. Die Krise im Islam sei aber keine Frage von Dominanz von Männern oder Dominanz von Frauen, erzählt er weiter. Das sei ihm zu einfach. Jakobi ist Dialogbeauftragter des muslimischen Dachverbands Schura, der Rat der muslimischen Gemeinden in Hamburg.

Die Islamwissenschaftlerin Prof. Katajun Amirpur von der Universität Hamburg hingegen sieht das Patriarchat schon als Teil des Problems. Der Islam war einmal liberaler und pluraler aufgestellt. Die islamische Theologie brauche daher ein neues Nachdenken mit Bezug auf den Islam und zwar für die Bereiche Gewalt und Frauen, sagte die Lehrbeauftragte für islamische Studien Amirpur. Einen Lacher hingegen provozierte Jakobis Vorwurf an Seyran Ates, sie sehe das Problem in der Mann-Frau-Geschichte. Sie solle erst einmal das Studium in Islamwissenschaft abschließen, bevor sie eine Moschee gründe. Der Vorwurf zielte darauf, dass Theologen im Islam die Deutungshoheit beanspruchen, nicht die Laien. Rechtsanwältin Ates beteuerte, dass sie sich acht Jahre auf die Moscheegründung vorbereitet hätte. Viele Vertreter der Rechtsschulen griffen aber die Gründung an, ohne theologisch zu argumentieren.

Von links: Seyran Ates, Christiane Florin, Andreas Antic, Katajun Amirpur, Thalia-Intendant Joachim Lux

Anders verlief die zweite Diskussionsrunde. Dort kam auch die Politikwissenschaftlerin und Katholikin Christiane Florin zu Wort, die im Deutschlandfunk Redakteurin ist. Thalia-Intendant Joachim Lux fragte nach dem Glauben der Podiumsgäste, ob sie an das Absolute als das Nicht-hinterfragbare glauben? Florin, kritisch und katholisch, stellt die Gegenfrage: Wer will, dass ich an was glaube? Auch Katajun Amirpur fand die Frage zu kurz gegriffen. Skeptiszismus gäbe es schließlich in allen Religionen, schon bei Hiob. Natürlich könne man beides gleichzeitig tun, an etwas Absolutes glauben, es aber auch hinterfragen.

Innerhalb einer Religion stehen eben liberale Tendenzen neben autoritären. Wie man man mit autoritären Vertretern umgeht? Florin sagt: "Manche Päpste und Bischöfe einfach ignorieren! - Indem sie sich eigene Gedanken machen." Jede Religion habe sich ja im Laufe der Zeit verändert, es bleibe nicht alles gleich.

Ein Gott, eine Wahrheit?

Christiane Florin sieht in den Religionen schon eine Form der Relativität angelegt: "Ich möchte auch Jesus nicht als Bundeskanzler haben". Warum nicht? Jesus sei zu radikal für eine Demokratie, in der es um Kompromisse geht. Wer nur einen Weg zu Gott kenne, die eine Wahrheit und keine anderen Wahrheiten daneben dulde, der sei jedoch totalitär. Auch Menschenrechtlerin Ates glaube an eine absolute Kraft, wolle das aber nicht für allgemeinverbindlich erklären. Man könne sich dem Absoluten nur im Spirituellen annähern. Demut brachte Katajun Amirpur dabei ins Spiel. Die brauche man, um zu erkennen, dass man die göttliche Wahrheit nicht fassen könne.

Der Moderator der langen Nacht der Weltreligionen versuchte zu provozieren, indem er fragte, ob es in den Religionen auch Regeln gibt, die nicht verhandelbar seien. Und was, wenn wer dem nicht anhänge: sei er dann nicht mehr dieser Religion verbunden? Für den Islam waren sich Amirpur und Ates schnell einig: das Glaubensbekenntnis sei eine solche Regel. Sonst aber könne in den islamischen Traditionen alles verschieden sein.

Einmischen in die Politik

Soll sich die Kirche nun einmischen in die Politik oder nicht? Die Politikwissenschaftlerin  Florin konterte: Die Frage sei nicht ob, sondern wie sie sich einmischt und wie sie die Einmischung begründet. Wozu riefen denn die Evangelien auf?

Blick in die lange Nacht der Weltreligionen.
Doch nicht Fremde draußen zu lassen und die Mauern höher zu ziehen. Bislang gäbe es nämlich keine fremdenfeindliche oder neoliberale Lesart dieser Texte. Und wenn Kirchenvertreter meinten, hier laufe etwas schief, dann müssten sie sich einmischen - aber sie sollten es anders als Attac oder Amnesty International begründen. Kirchenleute könnten das aus ihrem Glauben begründen, aus ihrer Beziehung zum Absoluten. Das sei eine Perspektive in einer pluralen Gesellschaft, die andere nicht hätten. Rechtsanwältin Seyran Ates zeigte sich begeistert: "So erlebe ich Europa". Mit der Aufklärung, mit allem, was in den letzten hundert Jahren an Zivilgesellschaft und Rechtsstaat geschaffen wurde. Einige dieser religiösen Institutionen seien mittlerweile zu Garanten der Demokratie geworden. Und es gäbe auch eine negative Religionsfreiheit. Wer nicht an Gott glaube, dürfe das auch vertreten – das sei ein Menschenrecht.

Es scheint, dass einige Absolutheitsansprüche in den Religionen inzwischen als überholt angesehen werden dürfen. Jan Philipp Reemtsma wird zitiert: "Für einen religiösen Menschen ist eigentlich eine säkulare Gesellschaft eine Gesellschaft des Irrtums." Diese Ansicht teile die Geistlichkeit Teherans mit der orthodoxen Geistlichkeit Jerusalems und der Geistlichkeit Roms. Das heißt, Religion vollende sich nur, wenn sie auch staatlich wirksam werde.

Der Philosoph Andreas Antic stimmte dem nicht zu. Das sei eine "Zuschreibung von außen", die die gesamte Religion auf eine Interpretation verdichte. Die Pluralität werde so nicht mehr wahrgenommen, sondern verenge sich auf die unterstellte Aussage. Auch Katajun Amirpur lehnte diese  Aussage für den Iran ab. Es gäbe zwei geistliche Richtungen. Die machthabende Geistlichkeit im Gottesstaat sehe das vielleicht so. Aber die eigentliche Geistlichkeit sei quietistisch, also weltabgewandt und lehne die Vermischung von Staat und Religion ab. Was die katholische Geistlichkeit heute angeht, sagte Florin, stimme das auch nicht mehr: "Von einem christlichen oder katholischen Gottesstaat träumen eigentlich nur noch die Piusbrüder."

Warum aber bleiben Frauen trotz aller Benachteiligungen ihrer Religion treu? "Angeborener Widerspruchsgeist? Irgendjemand muss doch dann mal was tun dagegen", antwortert Katajun Amirpur. Und Seyran Ates glaubt nach einem Nahtoderlebnis, dass es "einen barmherzigen Gott gibt". Christiane Florin richtet ihren Blick auf die katholische Kirche. Sie kritisiert, dass in ihr Männer den Frauen ihren Platz zuweisen. Trotzdem möchte sie "den Laden nicht diesen Kirchenmännern überlassen", wie sie selbst sagt. Deshalb habe sie auch das Buch "Weiberaufstand" geschrieben.