"Sie spüren diesen Ort und seine besondere Bedeutung"

Außenansicht der evangelischen Friedenskappele in Bochum-Stahlhausen
Foto: soan-architekten boländer.hülsmann
Außenansicht der evangelischen Friedenskappelle in Bochum-Stahlhausen.
"Sie spüren diesen Ort und seine besondere Bedeutung"
Schätzungsweise 50.000 evangelische und katholische Kirchen, Kapellen und Gemeindezentren gibt es in ganz Deutschland. Doch in dem Maße, wie die Mitgliederzahlen zurückgehen, müssen sich die Christen überlegen, welche Gotteshäuser sie nun behalten wollen und wie man sie weiter nutzen kann. Auf der Sommerakademie "Werkstatt Wittenberg", gefördert von der Wüstenrot-Stiftung, haben sich Fachleute dazu Gedanken gemacht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den Diözesen und Landeskirchen die Entscheidung, viele der zerstörten oder stark beschädigten Großkirchen nicht wieder aufzubauen. Stattdessen setzte man auf die wesentlich kleineren Gemeindezentren.

"Ich würde für's Gemeindezentrum eine Lanze brechen. Dahinter steht theologisch eine äußerst anspruchsvolle Idee. Die Gemeinden waren damals überzeugt, dass sie in ihrer säkularen profanen Form das beste Zeugnis für einen Gott abgeben, der in einer weltlichen Welt da ist", sagt der evangelische Theologe Thomas Erne, Leiter des Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart in Marburg.

Allerdings habe es gehörige Fehlentwicklungen gegeben. Zum Beispiel im hessischen Baunatal. Mit dem neuen VW-Werk kamen Anfang der 1970er Jahre viele neue Gemeindeglieder. Das 1973 erbaute ökumenische Gemeindezentrum sah aber aus wie eine Schwimm- oder Turnhalle. Das Problem war nur, dass sich in solch profanen Räumen auf Dauer schlecht beten ließ. Die Katholiken verließen schon nach fünf Jahren das Gemeindezentrum. Später dann verkauften die Evangelischen den reinen Funktionsbau. Heute dagegen würden viele Gemeinden wieder an alte Formate anknüpfen, etwa indem sie sich von einer lockeren Bestuhlung verabschieden und die gute alte Kirchenbank bevorzugen.

"Also wenn Sie die Bank nehmen, ist sie in einer durchindividualisierten Gesellschaft ein hohes Gut, dass ich mit Menschen, die ich nicht unbedingt mögen muss und die ich vielleicht gar nicht kenne, eine Bank teile. Das ist auch von der Sitzordnung her die Erfahrung, dass ich in meiner Besonderheit verbunden bin mit anderen", erklärt Thomas Erne.

Denn Kirchen müssten in ihrer Gestaltung immer etwas Heiliges, Unverfügbares ausdrücken, durch Leere, unbestimmte Lichtverhältnisse und durch Stille. Es ginge zukünftig um eine Re-Auratisierung ehemals nüchterner Gemeinderäume und Kirchen, wie sie noch vor 50 Jahren gewollt waren. Heute würde man bei Kirchenumbauten zum Beispiel mit Lichtschächten und indirekter Beleuchtung arbeiten, um so eine heilige Aura entstehen zu lassen. Dadurch entstehen transluzente Flächen, ohne dass die Lichtquelle selber wahrnehmbar sei. Im Grunde sei das ein Rückgriff auf längst bewährte Kirchenarchitektur.

"Transluzente Flächen haben wir in Alabaster-Fenstern seit dem Mittelalter, seit Byzanz. In Katalonien gibt es das in der romanischen Architektur. Es gibt viele Brücken, die von der Tradition in die Moderne zu bauen sind", weiß die Berliner Kunstgeschichtlerin Kerstin Wittmann-Englert.

Auch von offenen Glasfronten habe man sich nach 50 Jahren verabschiedet. Wichtig sei heute wieder die Abgeschlossenheit zur Außenwelt, um Stille, Ruhe und die Möglichkeit zur Einkehr zu schaffen. Nur könne man die Gemeinden mit dem Erhalt der Kirchen nicht alleine lassen. Es brauche ein gesamtgesellschaftliches Engagement, um solche religiösen Räume zu erhalten oder gar neu zu schaffen, meint Stefan Krämer, stellvertretender Geschäftsführer der Wüstenrot-Stiftung: "Menschen, die in eine Kirche gehen, ändern ihr Verhalten, ob sie nun religiös orientiert sind oder nur aus touristischen Gründen hinein gehen. Sie spüren diesen Ort und seine besondere Bedeutung und das würden wir als Gesellschaft auch verlieren, wenn wir die Kirchen verlieren."

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Daher engagiere sich die Wüstenrot-Stiftung auch für den Erhalt religiöser Räume. Besonders gelungene Architektenentwürfe werden von der Stiftung regelmäßig prämiert. Allerdings verlassen jeden Tag umgerechnet so viele Menschen ihre Kirche wie in einem vollbesetzten ICE Platz finden. Das tue aber der Attraktivität der sakralen Räume keinen Abbruch, meint der evangelische Theologe Thomas Erne. Kirchgebäude seien eben deshalb erhaltenswert, weil sie eine der wenigen Schnittstellen darstellen, an denen sich Gläubige und Nichtgläubige noch begegnen könnten.

"Jeder Tag kommt auch ein vollbesetzter ICE zurück in die Kirchen. Nicht als Gottesdienstgemeinde, sondern als Besucher und Suchende. Es ist jedenfalls bemerkenswert, dass die Kirchen gebraucht werden", erklärt Erne.

Natürlich könne man auf Dauer nicht an jeder Kirche festhalten. Also gelte es eine kluge Auswahl zu treffen. Falsch sei es, wenn jetzt nur noch historisierende Gebäude erhalten werden, als sei je älter immer auch besser.

"Momentan ist es so, wenn vier Kirchen zu einer Gemeinde gehören, dann ist da eine aus dem 19. Jahrhundert, vielleicht noch eine aus den 1950er Jahren, schlimmstenfalls noch zwei aus den 1970er Jahren. Dann ist doch ganz klar, dass die aus dem 19. Jahrhundert siegt und erhalten bleibt. Ich würde aber nicht so kurz springen und sagen, weil uns heute Geschichte gefällt, erhalten wir die, die historisch anmuten. Wenn wir 50 Jahre weiter gehen, sind die, die vor 50 Jahren entstanden sind auch schon Geschichte", meint Kunstgeschichtlerin Wittmann-Englert.

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Eine Idee, Kirchengebäude zu erhalten, sind hybride Nutzungskonzepte. Zum Beispiel in der evangelischen Kirche Bochum-Stahlhausen, die Ende der 1960er Jahre errichtet wurde. Nach dem Umbau wird nur noch ein kleinerer Teil des Kirchengebäudes von der christlichen Gemeinde für Gottesdienste gebraucht. Der Rest aber wird von der Bevölkerung für Lesungen, Konzerte oder eben als Bürgertreffpunkt genutzt. Längst besuchen mehr Muslime als Christen das Gemeindezentrum. Nur könnte man da Kirchen nicht gleich in Moscheen umwandeln?

Die Kunstgeschichtlerin Kerstin Wittmann-Englert kann sich das nur schwer vorstellen: "Ist es das richtige, wenn wir den Muslimen ein Haus als Protestanten geben, was wir nicht mehr wollen? Möchten Sie denn einen evangelischen Gottesdienstraum in eine Moschee setzen?"

Denn jede Religion brauche ihr je eigenes Raumkonzept. Für Muslime gelte etwa die Ausrichtung nach Mekka oder das Beten nebeneinander statt in Bankreihung hintereinander.

Religiöse Typologien sollten nicht vermischt werden, meint auch der evangelische Theologe Thomas Erne: "Man müsste viel mehr dafür werben, dass Moscheen eine zeitgemäße Form für einen modernen Islam auch gebäudetypologisch ausprägen. Wie sieht moderner Moscheebau aus, der den europäischen Islam repräsentiert? Und nicht jetzt kriegen sie die übrig gebliebenen evangelischen Kirchen auf dem Land!"