Kirchenasyl: "Dem Recht eine Chance"

Ein iranisches Ehepaar im Kirchenasyl in Essen
Foto: epd-bild/Stefan Arend
Ein iranisches Ehepaar im Kirchenasyl in Essen (Februar 2015)
Kirchenasyl: "Dem Recht eine Chance"
Ist Kirchenasyl ein Akt der Barmherzigkeit oder politisches Instrument der Gemeinden? Wahrscheinlich beides, lautete eine Antwort bei der Podiumsdiskussion "Letzte Zuflucht Kirchenasyl" auf dem evangelischen Kirchentag in Stuttgart.

Knapp 460 Menschen, davon ein Drittel Kinder, leben momentan in Deutschland in 251 Kirchenasylen, diese aktuellen Zahlen brachte die Hamburger Pfarrerin Dietlind Jochims mit, sie ist Vorsitzende der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche. Die meisten kommen aus Afghanistan, Iran, Eritrea, Äthiopien und Syrien. Die Dublin-Fälle unter ihnen müssen eigentlich zurück in das europäische Land, wo sie zuerst angekommen sind – doch ist das immer zumutbar? Bei drohender Abschiebung öffnen Gemeinden ihre Kirchen und Gemeindehäuser, um Flüchtlinge zu schützen und um Zeit zu gewinnen. Denn nach einer Frist von sechs Monaten dürfen sie zusätzlich in Deutschland Asyl beantragen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière gab zu: "Ich hab da zwei Seelen in meiner Brust." Eine als Hüter der Verfassung, die andere als Christ. Die Prinzipien "gleiches Recht für alle" und "Barmherzigkeit im Einzelfall" träfen aufeinander. "Darf eine Gruppe – auch eine hochgeschätzte Einrichtung, meine Kirche – sagen: Ich setze mich über das Recht? Das hatten wir ganz gut gelöst, indem wir gesagt haben: Wir akzeptieren das Kirchenasyl in Einzelfällen und finden eine Lösung", sagte de Maizière. Doch in letzter Zeit sei eine "übermäßig Inanspruchnahme" entstanden, "und das geht zu weit".  

Auf dem Podium: Dietlind Jochims, Weihbischof Dieter Geerlings, Amaliel Petros Habte, Thomas de Maizière, Katrin Göring-Eckardt, Hans Michael Heinig, Moderator Johannes Weiß.

Ist das Kirchenasyl also ein Rechtsbruch? Der Verfassungs- und Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig musste auf diese Frage hin lange überlegen und entschied sich dann für die Antwort "Es kommt darauf an." Es gehe eben nicht um schwarz und weiß, "sondern um Grauzonen", sagte Heinig. "Die Kirche ist hier nicht der weiße Ritter und der Staat der böse Bube." Kirchenasyl sei "mehr ziviler Ungehorsam als Dienst am Recht", die kleine Grauzone solle doch am besten so belassen werden. Dennoch stand die Frage weiterhin im Raum: Ist das Kirchenasyl ein politisches Instrument, mit dem die Gemeinden eigentlich gegen Flüchtlingspolitik protestieren wollen? Oder jeweils ein aufrichtiger Akt der Barmherzigkeit? Für Dietlind Jochims steht fest: Es ist ein "Prüfstein in christlicher Glaubwürdigkeit".

"Für mich die beste Erfahrung in Europa"

"Natürlich ist es ziviler Ungehorsam und ich bin stolz darauf dass es den gibt", sagte die grüne Bundestagsabgeordnete Katrin Göring-Eckardt, die wie de Maizière Mitglied im Kirchentagspräsidium ist. Sie sei sehr froh, "dass sich auch Kirchgemeinden politisch Gedanken machen und politisch Position beziehen." Von Ausnutzen könne keine Rede sein, ihr sei kein einziger Fall bekannt, in dem eine Gemeinde leichtfertig gehandelt habe. "Ich finde den Vorwurf an die Kirchengemeinden absurd", sagte Göring-Eckardt. "Das Kirchenasyl ist kein Rechtsbruch und man stellt sich auch nicht über das Recht", sagte Göring Eckardt, "sondern ich würde sagen: Kirchenasyl gibt dem Recht eine Chance wirksam zu werden." 95 Prozent der Fälle werden hinterher anerkannt, die Menschen bekommen ein ordentliches Asylverfahren in Deutschland.

Einer dieser "Fälle" saß zwischen den hochrangingen Vertretern von Kirche und Politik auf der Bühne, der 20jährige Asylbewerber Amaliel Petros Habte aus Eritrea, der schnell zum Publikumsliebling wurde. Sein Vater wurde als Feind des Regimes getötet, seine Mutter floh mit den jüngeren Geschwistern, während Petros krank bei der Oma zurückblieb. Als er zum Militär eingezogen werden sollte – häufiger Fluchtgrund für junge Menschen aus Eritrea – floh Petros über den Sudan nach Ungarn, wofür er ein Visum besaß. Das Flüchtlingslager dort sei überfüllt gewesen, berichtete Petros. Er hätte zwar in dem Land bleiben dürfen, doch niemand habe sich um ihn gekümmert. "In Ungarn auf der Straße zu leben ist unmöglich", sagte er.

Der junge Mann floh weiter nach Deutschland und wurde in Frankfurt am Main von der evangelischen Kirchengemeinde am Bügel aufgenommen. "Das Kirchenasyl war für mich die beste Erfahrung in Europa, die ich gemacht habe", sagte er. "Dort habe ich viele Leute kennengelernt, die mich bis heute unterstützen. Ich habe ein Gefühl von Familie bekommen." Nach zwei Jahren in Deutschland befindet sich Petros jetzt in einem regulären Asylverfahren, er hat den Hauptschulabschluss und strebt die Mittlere Reife an, für sein gutes Deutsch bekam er extra Applaus vom Kirchentagspublikum. Ein Fall, der zum Kirchenasyl ermutigt.