Public Crying auf der Domplatte

Foto: dpa/Oliver Berg
Kerzen bei der Trauerfeier im Kölner Dom.
Public Crying auf der Domplatte
Der offizielle Trauerakt für die Opfer des Germanwings-Absturzes im Kölner Dom wurde auch nach außen auf die Domplatte übertragen. Ein bewegender Moment, den unsere Chefredakteurin Ursula Ott zufällig erlebte.

Wann habe ich zuletzt auf offener Straße geweint? Ich kann mich nicht daran erinnern. Öffentlich gesungen – ja klar, letzten Sonntag im Stadion, als unser 1. FC Köln die Hoffenheimer weggehauen hat. Öffentlich gelacht und getanzt – ja klar, am Rosenmontag. Aber Tränen? Wenn mir das passiert, gehe ich normalerweise aufs Klo.

Ich war wegen eines geschäftlichen Termins in der Kölner Innenstadt, gleich beim Dom, und eigentlich war ich wild entschlossen, mich zu ärgern über die polnischen Radiokollegen, die holländischen Kameraleute und die US-News-Crews, die sich im Café am Nebentisch einen Tick zu laut auf ihren Einsatz vorbereiteten. Und als ich um halb zwölf eigentlich nach Hause radeln wollte, fand ich es grotesk, dass vor dem Gaffel-Brauhaus am Hauptbahnhof die ersten rüstigen Rentner ihren rheinischen Sauerbraten und ihr Kölsch bestellten und jeden Touristen wegscheuchten, der ihnen den Blick aufs Public Viewing des Trauerakts verstellen wollte. "Ich fliege ja selber nächsten Donnerstag mit German Wings", sagt eine Rentnerin in der ersten Reihe. "Mallorca. Wird schon gut gehen."

Dann bleibe ich doch stehen, selber neugierig. Es ist kurz vor 12, die Glocken des Kölner Doms läuten, der Bus Nummer 132 bleibt stehen, mit dem ich sonst hier abfahre. Schweigeminute, das haben die Kölner Verkehrsbetriebe so vereinbart. Aus der großen Anwaltskanzlei am Dom kommen Männer in blauen Anzügen, ein Jogger bleibt stehen, Polizisten halten inne, Johanniter in Uniform.

Fast allen laufen die Tränen und keinem ist es peinlich

Die Kameras übertragen den Einzug von Angela Merkel und Joachim Gauck, und dann spricht Präses Annette Kurschus von den Tränen, die Gott sammelt in seinem Krug. Schon da wird es still, wirklich ungewöhnlich still auf dem sonst so wimmeligen Platz zwischen Bahnhof und Dom. Als die Opernsängerin anstimmt, deren Kolleginnen in der Unglücksmaschine saßen, fließen die ersten Tränen. Und als der Notfallseelsorger seinen Holzengel einer Angehörigen überreicht, die sofort in Tränen ausbricht, ist es um diese mittägliche Trauergemeinde mitten in der City endgültig geschehen. Fast allen laufen die Tränen herunter, Tempotaschentücher machen die Runde, und keinem ist es peinlich.

Nie ist die menschliche Würde sichtbarer und verletzlicher, als wenn man selber weint – das sagt Frau Kurschus. Richtig laut und hemmungslos schluchzt nur ein Obdachloser, der sich ganz vorne an die Leinwand gedrängt hat. Wir anderen sind für uns. Aber nicht alleine. Und ich bin dankbar, dass es das gibt: Einen Gottesdienst, eine Glocke, eine Präses, einen Kardinal, ein Vaterunser. Dankbar, für ein Ritual, das die Tränen fließen lässt.

"Nicht alle können mehr beten", sagt Kardinal Woelki, und das stimmt: Nur wenige auf dem Platz sprechen das Vaterunser mit. Aber fast alle falten die Hände. Und alle behalten die Würde, obwohl ihnen die Tränen herunter laufen, Freitag in der Mittagspause, bevor sie wieder in ihre Büros gehen, in ihre Züge steigen oder in ihren Ferienflieger nach Mallorca.