"Ich wollte einen Helden für schwarze Kinder schaffen"

Joe Bullet
Foto: Gravelroad Entertainment
Ungewöhnlich für die 1970er Jahre: Ken Gampus körperliche Präsenz und Lässigkeit lassen an James Bond denken.
"Ich wollte einen Helden für schwarze Kinder schaffen"
In den 70er Jahren sorgte in Südafrika ein Film für Furore. "Joe Bullet", der schwarze James Bond, kam in die Kinos. Nach nur zwei Vorstellungen wurde der Film verboten, weil er schwarze Menschen in den Augen des Apartheid-Regimes zu positiv darstellte. Über 40 Jahre war der Film verschollen, nun läuft er erfolgreich auf deutschen Festivals.

Es ist noch eine Woche bis zum großen Finale zweier Fußballteams, da wird der Trainer der "Eagles" umgebracht. Gangster nötigen außerdem die zwei besten Spieler der Mannschaft, sich dem gegnerischen Verein anzuschließen. Um die Chancen auf einen Sieg zu wahren, kann nur einer helfen – Joe Bullet. Der Held des Films ist Kampfsport erprobt und am Ende auch dem Oberschurken überlegen. So verbannt er die Korruption aus dem Sport.

Am Samstag läuft der Actionthriller auf dem Fußballfilm-Festival "11mm" in Berlin. Erstmals wurde er auf der diesjährigen Berlinale außerhalb Afrikas gezeigt. Nach der Aufführung trat Tonie van der Merwe gerührt vor den bis auf den letzten Platz gefüllten Kinosaal: "Das ist ein bewegender Moment. Ich habe ein leeres Kino erwartet", gestand der Drehbuchautor und Produzent des Films. "Joe Bullet" ist der erste Film des heute Mitte 70-Jährigen. Entstanden ist er vor über 40 Jahren in Südafrika. In den 70er Jahren war van der Merwe einer der beliebtesten Filmemacher das Landes, danach gerieten er und seine Filme in Vergessenheit.

Aus dem Trubel des Filmgeschäfts macht er sich nicht viel. Auf die große Berlinale-Eröffnungsfeier für geladene Gäste verzichtete er, weil er laut Einladung eine Krawatte hätte tragen müssen. Stattdessen ging er mit Freunden und Kollegen essen. Auch dort machte er sich wenig aus Konventionen – damit der teure Rotwein auch seinen Geschmack traf, streckte er ihn kurzerhand mit Coca Cola und Eiswürfeln.

"Ich wollte den schwarzen James Bond schaffen"

Auch Tonie van der Merwes Erstlingswerk zeigt, wie wenig er sich aus gesellschaftlichen Normen macht. "Joe Bullet" ist einer der ersten südafrikanischen Filme, in dem nur schwarze Schauspieler mitspielen. "In den meisten Filmen spielten sie nur Hausmädchen oder Gärtner", erinnert sich der Filmemacher. In "Joe Bullet" sind sie sowohl Helden als auch Bösewichter mit Masterplänen. Seine Beweggründe für die Besetzung der Rollen hatten keine politischen Gründe, sondern waren ganz pragmatisch: "Ich habe wirtschaftlich gedacht. Ich konnte einen Film für vier Millionen Weiße machen oder einen für über 30 Millionen Schwarze", erklärt er. Allerdings habe er es auch wichtig gefunden, dass die schwarzen Kinder einen Helden haben, mit dem sie sich identifizieren können. "Ich wollte den schwarzen James Bond schaffen", sagt van der Merwe und verwendete daher für seinen Joe Bullet die Initialen des britischen Geheimagenten.

Der Filmemacher investierte viel, steckte eigenes Geld, Autos, Traktoren und ein Flugzeug in das Projekt. 18 Monate dauerten die Dreharbeiten, weil die Auflagen so streng waren – denn eigentlich mussten weiße und schwarze Menschen in unterschiedlichen Gebieten leben und arbeiten. Das ließ die Kosten für den Dreh explodieren. Der Schock folgte für Merwe nach der Fertigstellung. Nach nur zwei Vorführungen wurde "Joe Bullet" zensiert und verschwand in der Versenkung. Die Gründe dafür sind heute nur schwer nachzuvollziehen, ist doch die Handlung auf Action und Spaß ausgelegt. "Im Film fahren schwarze Menschen im Sportwagen, haben Pistolen und wohnen in schönen Wohnungen. Das hat der Behörde gereicht", stellt Tonie van der Merwe nüchtern fest. "Es waren dumme Gründe. Aber ich glaube, man wollte den schwarzen Menschen nicht zeigen, dass ein anderes Leben möglich ist." Für van der Merwe war das ein persönliches Fiasko – emotional und finanziell.

Geburt des afrikanischen Kinos

Für Tonie van der Merwe war das kein Grund aufzuhören. Zusammen mit anderen Filmemachern brachte er die Regierung dazu, Filme zu fördern, die extra für die schwarze Bevölkerung gemacht wurden. In nur zwei Jahrzehnten entstanden so mehr als 1.600 Filme. "200 oder 300 davon hab ich gemacht", schätzt van der Merwe. Und im Gegensatz zu vielen anderen Regisseuren blieb er seiner Linie treu, schwarze Schauspieler in allen Rollen zu besetzen. Auch deshalb galt er früh als der "Vater der schwarzen Filmindustrie". Gleichzeitig war das "Afrikanische Kino" im südlichsten Land des Kontinents geboren.

Mit dem Ende der Apartheid hörte auch die Blütezeit des südafrikanischen Films auf – die Regierung zahlte kaum noch Subventionen. Nicht nur die vielen Filme gerieten in Vergessenheit, auch die Filmemacher kannte bald niemand mehr. Einige Schauspieler wie Ken Gampu, der Darsteller von Joe Bullet, schafften es nach Hollywood, die meisten mussten jedoch wieder normale Arbeiten annehmen. Viele von ihnen landeten auf der Straße. Tonie van der Merwe verlor viel Geld beim Pferderennen und begann, in der Hotelindustrie zu arbeiten. Das Filmemachen vermisste er schmerzlich, erzählt er.

"Das ist Teil unserer Geschichte"

Deshalb versuchte er 2013 auf eigene Faust an Geld für einen Film zu kommen. Er verschickte Mails, in denen er sein Projekt erklärte und um Unterstützung bat. Zufällig landete die Mail auch bei Benjamin Cowley, der heute als Produzent in Südafrika arbeitet. Schnell hatte er sie vergessen, doch als Cowley Wochen später sein Postfach aufräumte, stolperte er wieder über die Nachricht und beschloss, Tonie van der Marwe zu treffen. "Als wir uns das erste mal sahen, erzählte mir Tonie von den vielen Filmen, die er in den 70ern und 80ern produziert hatte", erinnert sich Cowley. Obwohl er Film studiert hat, schien diese Ära in der Geschichte des afrikanischen Films nicht vorzukommen. "Ich hab mich gewundert, dass niemand darüber spricht", sagt er. Kurz darauf brachte Tonie van der Merwe "Joe Bullet" in Form von fünf schwere Filmrollen in die Firma von Ben Cowley. 16 Wochen restaurierten der und seine Mitarbeiter das Material.

Für Cowley war das der Beginn einer neuen Ära – ab sofort spezialisierten sich seine Firma Gravel Road Entertainment darauf, die alten Filme aufzuspüren und zu restaurieren. "Das ist Teil unserer Geschichte", davon ist der junge Produzent überzeugt. "Für die schwarze Bevölkerungsschicht waren das wichtige Filme – es ging um sie", sagt Cowley. Auch er war bewegt, nachdem er auf der Berlinale den vollen Kinosaal erlebte: "Es ist schön zu sehen, dass Tonie für seine Leistungen gefeiert wird." Denn auch wenn es niemals die Welt verändern wollte, zeigte Tonie van der Merwe zur Zeit der Apartheit in seinen Filmen eine Welt, wie sie für schwarze Menschen ohne die Rassentrennung hätte aussehen können.

Joe Bullet wird in Deutschland von Rushlake Media herausgegeben. Der Film wird am Samstag, 21. März, um 22.30 Uhr auf dem 11mm-Festival in Berlin gezeigt.