"Sind Sie der Sohn des Vaters?" Berthold Schenk Graf von Stauffenberg hat sich diese unbeholfene Frage oft anhören müssen. Ja, er ist der älteste Sohn des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 im Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen eine Bombe detonieren ließ. Und der wenige Stunden nach dem gescheiterten Attentat zusammen mit anderen NS-Widerstandskämpfern des 20. Juli hingerichtet wurde. Sie wollten mit ihrem Umsturzversuch Krieg und Terrorherrschaft der Nazis beenden.
Der junge Berthold hatte gerade die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium in Bamberg bestanden, auf die er sich im Luftschutzkeller vorbereitet hatte. Während der Sommerferien, die er mit Mutter und Geschwistern bei der Großmutter in Lautlingen auf der Schwäbischen Alb verbrachte, hörte er am 21. Juli im Radio von "einem verbrecherischen Anschlag auf den Führer". Auf seine Fragen hätten die Erwachsenen ausweichend geantwortet und ihn erst einmal auf einen Spaziergang geschickt, erzählt er.
Die Mutter Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg, die mit dem fünften Kind schwanger war, nahm ihre beiden Ältesten dann zur Seite: "Es war der Papi", erfuhren die entsetzten Jungen. Er habe geglaubt, dass er es für Deutschland tun müsse, erklärte sie den Kindern.
"Das war natürlich für meinen Bruder und mich ein Schock", erzählt der mittlerweile 91-Jährige, der in seinem Wohnzimmer im baden-württembergischen Oppenweiler im Rems-Murr-Kreis in einem samtbezogenen Sessel in der Nähe des Kamins sitzt. Weil die Eltern Sorge hatten, dass die Kinder sich verplappern könnten, wussten sie nichts von der kritischen Haltung der Eltern gegenüber dem NS-Regime.
Rechts neben dem Kamin stehen auf einem hölzernen Tischchen eine Bronze-Büste seines Vaters und Schwarzweiß-Fotos, die den jungen Berthold mit seinem Vater und seinen Geschwistern zeigen. Auf einem weiteren Foto sieht man eine nachdenklich lächelnde, schick gekleidete junge Frau - seine Mutter. Es sind Erinnerungen an die ersten zehn Jahre seines Lebens, vor dem Ereignis, das alles veränderte.
Galten als "Verräterkinder"
Kurz nach der Hinrichtung des Vaters wurde in der Nacht vom 21. auf den 22. Juli seine Mutter verhaftet. Berthold, seine drei jüngeren Geschwister und weitere Jungen und Mädchen aus der Verwandtschaft galten als "Verräterkinder". Sie kamen auf Veranlassung von Heinrich Himmler zusammen mit den Kindern anderer Widerstandskämpfer des 20. Juli ins niedersächsische Bad Sachsa, wo sie in einem Heim untergebracht wurden.
Von August 1944 bis Juni 1945 blieben er und seine Geschwister dort unter anderem Familiennamen, Erzieherinnen betreuten sie und schirmten sie völlig von ihrer Umwelt ab. Anfang April 1945, kurz vor Kriegsende, wurden die Kinder von Bad Sachsa aus in die nächstgelegene Stadt Nordhausen zum Bahnhof gefahren und sollten dort mit dem Zug ins KZ Buchenwald gebracht werden.
Doch der Plan der Nazis ging nicht auf: "Es gab einen Bombenangriff auf Nordhausen, daher fuhren von dort keine Züge mehr. So beschloss die Heimleiterin, dass wir wieder nach Bad Sachsa zurückfahren", erzählt Stauffenberg. Im Juli 1945, nach einem Jahr Trennung, wurden er und seine Geschwister wieder mit der Mutter vereint - und lernten ihre jüngste Schwester kennen, die in der Haft geboren war.
"Meine Mutter wusste, dass mein Vater im Widerstand war und etwas vorbereitet." Aber dass er der Mann gewesen sei, der das Attentat auf Hitler begehen würde, sei ihr nicht bekannt gewesen, habe sie ihrem Sohn nach dem Krieg erzählt. Ein Grund für seinen Vater, sich am Umsturzversuch zu beteiligen, sei sicherlich gewesen, "dass er gesehen hat, dass Hitler dieses Deutschland immer mehr ins Verderben führt", sagt Berthold Schenk Graf von Stauffenberg.
Nach dem Krieg reifte in ihm selbst der Entschluss, Offizier zu werden, obwohl noch nicht klar war, wann es in der Bundesrepublik wieder Streitkräfte geben würde. Im Mai 1956 wurde er dann ins Lehrbataillon der Bundeswehr aufgenommen, stieg auf bis zum Generalmajor. Er heiratete, drei Söhne kamen zur Welt. Seit 1965 ist Oppenweiler, die Heimat seiner Frau, der Hauptwohnsitz der Familie.
Er habe sich nicht wegen seines Vaters, sondern trotz seines Vaters entschieden, Soldat zu werden, sagt er. Denn: "Viele der älteren Offiziere hatten meinen Vater noch selbst gekannt und erlebt. Und ich fühlte mich natürlich immer verglichen."
Noch einmal ein Blick auf die Kupferbüste: Ist sein Vater für ihn ein Held? "Ja, das würde ich schon sagen. Ich könnte nicht sagen, ob ich den Mut und die Entschlusskraft aufgebracht hätte, dies zu tun."
Und trotzdem sei es für ihn nicht leicht gewesen, ohne Vater aufzuwachsen, sagt der gläubige Katholik, oft habe er sich den Vater herbei gewünscht. "Und doch habe ich das große Glück, dass ich einen Vater habe, den wir nicht nur geliebt haben, sondern auf den man stolz sein konnte."
Sein Rat für die heutige junge Generation: "Letzten Endes kommt es darauf an, was man selber tut." Es sei wichtig, dass man möglichst früh bereit sei, sich für das Wohl der Gesellschaft einzusetzen, selbst vieles in die Hand nehme und Verantwortung übernehme, auch im Blick auf die Demokratie: "Nur so kann eine Demokratie leben."