Dienstleistungskirche aus Versehen

Dienstleistungskirche aus Versehen
Ein Pfarrer spielte vor kurzem unfreiwillig Hotline für eine Fluggesellschaft …

50 Anrufe auf dem Handy während der Sonntagsmesse? Diözesanjugendseelsorger Markus Scheifele von der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart staunte nach dem Gottesdienst nicht schlecht über dieses Interesse an seiner Person. Doch auch die Anrufer, die er etwas später persönlich begrüßte, waren eher verwirrt, manche legten gleich wieder auf. Schließlich gelang es Scheifele, den Grund für die vielen Anrufe herauszufinden: Air Canada hatte irgendwie versehentlich eine Rufumleitung der Service-Nummer auf seine Handynummer geschaltet. Genauer gesagt: Die eingegebene Nummer dort war richtig, aber trotzdem kamen die Anrufe auf dem Pfarrerhandy an.

Kann passieren – Fehler gibt es überall. Zunächst gelang es nicht, diesen Fehler zu korrigieren. Und so nahm Scheifele das Ganze gelassen, machte es sich auf dem Sofa bequem und spielte Anrufbeantworter für Air Canada. Auch, wenn er deren Anliegen natürlich nicht bearbeiten konnte: Was für eine Gelegenheit, mit Menschen in Kontakt zu kommen! 

"Ich habe schnell erkannt, was meine Aufgabe in dem Moment ist: Den Anrufern ein freundliches Bild von Kirche vermitteln,", so Scheifele. Eine einmalige Gelegenheit, die er offenbar souverän nutzte.

Genial, finde ich! Danke, lieber katholischer Kollege. So muss Kirche heute sein.

Leider gibt es ja nach wie vor einige, die sich eher als „Amt“ verstehen. Egal, ob Pfarrer/in oder Pfarramtssekretärin: Bei einigen wären die Anruferinnen und Anrufer ziemlich barsch abgewimmelt worden. Zum Glück nach meinem Erleben nicht mehr bei vielen. Die Erkenntnis setzt sich langsam, aber sicher durch: Kirche, das hat etwas mit Dienen zu tun. Und Dienen mit Freundlichkeit. Menschenfreundlichkeit. „Du menschenfreundlicher Gott“, so wird Gott manchmal in Gebeten angeredet. Als Kirche sollten wir uns daran messen lassen, ob wir selbst auch so menschenfreundlich sind. 

Was mir Pfarrer Scheifele darüber hinaus noch mehr sympathisch macht: Er machte keine große Sache aus diesem Erlebnis. Postete es zwar sehr belustigt auf Facebook, lehnte aber diverse Interview-Anfragen ab – und wies auf die Projekte hin, die ihm viel mehr am Herzen liegen. Auf  Angebote der Kirchen für obdachlose Kinder, auf die Präsenz der katholischen Jugend auf dem Stuttgarter CSD oder auf Initiativen seines Bistums gegen Populismus. Seufz. Ja, Herr Scheifele. Wie kenne ich das: Die lustigen Sachen bekommen viel mehr Aufmerksamkeit als die Dinge, die uns wirklich am Herzen liegen. Aber wir tun diese Dinge ja auch nicht, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Sondern, um den Menschen vom menschenfreundlichen Gott zu erzählen. Danke dafür und alles Gute für Ihre Arbeit, Herr Kollege.
 

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.