Die Bibel wörtlich nehmen

Die Bibel wörtlich nehmen

 Was es doch für abstruse Bestimmungen in der Bibel gibt. An den orthodoxen Juden kann man es ja beobachten: Die Gewänder, in denen sie herumlaufen. Die Speisevorschriften, die sie penibelst beachten. Und noch viele weitere Dinge. Man müsste mal ein Jahr lang alle, wirklich alle Vorschriften der Bibel buchstabengetreu befolgen. Nur um zu zeigen, was für ein Quatsch das alles ist. Dass das überhaupt nicht funktionieren kann. Und dann natürlich ein Buch darüber schreiben.

So ungefähr war die Motivation von A. J. Jacobs, einem US-amerikanischen Autor, der es immerhin schon geschafft hatte, die komplette Encyclpaedia Britannica (33000 Seiten!) von A bis Z zu lesen und nebenbei ein amüsantes Buch darüber zu schreiben. Und wer könnte besser für ein solches Projekt geeignet sein als er: Von seiner Herkunft Jude, aber eigentlich ohne jeden Bezug zur Religion. „Im Grunde bin ich so jüdisch, wie McDonald's ein Gourmettempel ist“, schreibt er von sich selbst. Ein Agnostiker also, der sich aufmacht, jede Vorschrift der Bibel zu befolgen: Das könnte spannend werden.

Und es wird es auch. Denn Jacobs verfolgt sein Ziel mit geradezu „heiligem Ernst“. Er beschreibt seine Probleme mit dem regelmäßigen Beten – wo er doch gar nicht an einen Gott glaubt! Er entdeckt die Vielfalt der Bibelübersetzungen – welche ist die richtige? Er legt sich einen schillernden „Beraterstab“ zu: Menschen der unterschiedlichsten Glaubensrichtungen, die er besucht, mit denen er über die Interpretation der einen oder anderen Bibelstelle diskutiert.

Er schreibt sich eine Liste der unverständlichsten Regeln, die er unbedingt wenigstens einmal befolgt haben will. Er steinigt einen Ehebrecher (nun ja – so ähnlich. Sehr amüsant zu lesen.) Und er teilt sich sein Projekt ein: Alle Regeln auf einmal befolgen – das geht gar nicht. Zumal sich insbesondere Altes und Neues Testament in diversen Aussagen widersprechen. Also: Acht Monate Altes, vier Monate Neues Testament, so nimmt er sich vor.

Mit bewundernswerter Offenheit besucht Jacobs die ausgefallensten Glaubensgemeinschaften. Er lädt die Zeugen Jehovas zu sich nach Hause und diskutiert stundenlang mit ihnen. Er besucht die Amish, die ihm unverständliche Witze über Amish erzählen. Er hütet Schafe in Israel. Er besucht eine kleine Gruppierung, die in ihren Gottesdiensten Giftschlangen hochhebt (ja, auch das steht in der Bibel, und es wird von einigen wirklich befolgt!). Er spendet den zehnten Teil seines Einkommens – eine sehr schwere und doch sehr erhebende Erfahrung. Er lässt sich einen Bart wachsen und läuft in weißen Kleidern herum und vieles mehr.

Vielleicht kann tatsächlich nur ein Agnostiker auf die abstrusesten Glaubensgemeinschaften so unvoreingenommen zugehen wie er. Ich glaube, das hätte ich nicht geschafft. Ganz egal, wohin er kommt: Er nimmt die Menschen ernst. Er erkennt und beschreibt, was sie bewegt, wie sie zu ihren Überzeugungen gekommen sind. Und langsam, aber merklich verändert die Beschäftigung mit der Bibel auch ihn selbst. Er wird bedächtiger, vorsichtiger in seinen Äußerungen. Mitfühlender. Man könnte es fast so ausdrücken: Er wird ein besserer Mensch.

Ja: Das Buch hat auch Schwächen. Dadurch, dass sich Jacobs auf die wörtliche Befolgung der biblischen Vorschriften konzentriert, gibt er naturgemäß den extrem biblizistischen und konservativen Gruppierungen im Judentum und Christentum sehr viel Raum. Auch wenn er sich genauso mit den anderen Positionen beschäftigt: Man könnte fast meinen, in den USA gebe es ausschließlich Kreationisten und Evangelikale (was, im Vergleich zu Deutschland, ja auch eine gewisse Berechtigung hat).

Schade finde ich als Christ auch, dass die Auseinandersetzung mit Jesus ein wenig kurz kommt. Doch sei es ihm als agnostischem Juden verziehen, dass er hier auch an seine persönlichen Grenzen gerät – die er wiederum auch in seiner eigenen, humorvollen und doch ernsthaften Weise beschreibt.

Kurz: Ein wagemutiges Experiment. Ein intelligentes, tief schürfendes, sehr persönliches und sehr amüsantes Buch. Empfehlenswert für alle, die sich mit Glaubensfragen beschäftigen – vom interessierten Agnostiker über liberale Christen bis zu den Evangelikalen, Kreationisten und den noch extremeren Gruppierungen.

A. J Jacobs: Die Bibel & ich: Von einem, der auszog, das Buch der Bücher wörtlich zu nehmen. Aus dem Amerikanischen von Thomas Mohr. (Originaltitel: „The Year of Living Biblically“) 432 Seiten, List Taschenbuch, Berlin 2009, ISBN 978-3548609393, 9,95 Euro

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