Das Interesse an Religion in einer zunehmend säkularen Gesellschaft sinkt. Das merken auch die Schulen: Nur etwa drei Viertel aller Kinder in Bayern nimmt noch am konfessionell gebundenen Religionsunterricht teil - bereits zehn Prozent der Teilnehmenden gehören keiner Kirche mehr an.
In dieser Situation stellt sich für den evangelischen Theologen Michael Fricke (Universität Regensburg) die Frage, wie die Zukunft des Religionsunterrichts aussehen soll. Deutlich werden müsse, dass Religionsunterricht "auch einen Mehrwert hat für Menschen, die nicht religiös sind", sagte er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Herr Fricke, Sie haben in diesem Zusammenhang den Begriff der Zweisprachigkeit geprägt. Im Religionsunterricht soll es Ihnen zufolge ein religiöses und ein säkulares Sprechen geben. Wie meinen Sie das?
Michael Fricke: Es ist eine Metapher dafür, dass man in zwei Welten zuhause sein kann, ohne diese gegeneinander auszuspielen. Das heißt, wir müssen auch ein Angebot machen für Leute, die sich nicht als religiös verstehen und ihnen die Erfahrung vermitteln, dass es trotzdem relevant und interessant sein kann. Das geht nur, wenn wir das, was Religion transportiert, auch säkular sagen können.
Ein Beispiel: Es gibt in vielen Religionen die Geste, dass man sich hinkniet und mit dem Gesicht oder der Stirn den Boden berührt. Das ist ein religiöser Ritus, den man aber auch ganz säkular deuten kann. Was bedeutet es, wenn ich mich mit Gesicht oder Kopf dem schmutzigen Boden nähere? Dass wir an die Erde gebunden, also sterblich sind. So kann man viele religiöse Akte in die säkulare Welt übersetzen und eine Orientierung daraus gewinnen.
Das bedeutet für den Religionsunterricht eine neue Form von Übersetzungsarbeit. Wie groß ist die Herausforderung?
Fricke: Das ist für die Zukunft eine Herausforderung, weil wir es noch nicht für alles durchbuchstabiert haben. Wir brauchen kreative Ideen, um auch das Persönlich-Existenzielle im religiösen Ritus sichtbar zu machen. Diese Arbeit liegt vor uns. Entweder wir ziehen uns in eine Nische zurück oder wir bieten attraktive Arrangements an, bei denen Schülerinnen und Schüler etwas entdecken können.
Wir zeigen ihnen, dass Religion auch für Menschen einen Mehrwert hat, die nicht religiös sind, aber die erkennen können: Religion transportiert auch etwas, was mich selbst über mein eigenes Leben nachdenken lässt, auch ohne die Annahme, dass da ein Gott ist.
Was entgegnen Sie Kritikern, die sagen, dass es auf eine weltanschaulich neutrale Religionskunde hinausläuft?
Fricke: Die Zweisprachigkeit muss gewahrt werden. Ich sage ja als Anbieter von einem evangelischen Religionsunterricht, dass ich etwas aus meiner Perspektive präsentiere, und die ist religiös. Der Vorwurf trifft also nicht. Es handelt sich um eine öffentliche Bildungsveranstaltung im Kontext der Schule, und deshalb reicht es nicht zu sagen: Wir haben da eine religiöse Sonderwelt mit Glaubensbekenntnis. Das kann man in einem kirchlichen Unterricht machen.
In der Schule hat man eine Bildungsverantwortung, zu der sich die Evangelisch-lutherische Kirche in Bayern bekennt. Das heißt, sie verpflichtet sich, Religionsunterricht unter den Bedingungen der öffentlichen Schule anzubieten. Damit ist klar, dass man die religiösen Inhalte immer danach durchsieben muss, ob sie eine öffentliche Bildungsbedeutung haben oder nicht. Wenn wir das plausibel machen können, dass Religionsunterricht ein Angebot ist, das bei den Konsumenten auf Interesse stößt, ergibt sich daraus eine Berechtigung.
Am 21.11.2025 findet ein religionspädagogischer Tag am Institut für Evangelische Theologie der Universität Regensburg statt. Thema "Religionsunterricht zweisprachig - religiös und säkular".




