Müssen Talkshowkönige auch twittern?

Müssen Talkshowkönige auch twittern?
Nur, wenn sie den Eindruck erwecken wollen, vor allem an medialer Selbstdarstellung interessiert zu sein. Immerhin sind Robert Habeck gleich mehrere gute Diskussionsanstöße gelungen. Und sogenannte soziale Medien "triggern" tatsächlich.

Eine viel beachtete Medien-Meldung, initiiert vom Netzwerk der Madsack-Zeitungen, machte unter der Überschrift "Robert Habeck ist Talkshowkönig" die Runde: Der Vorsitzende der Grünen war 2018 dreizehnmal in politischen Talkshows von ARD und ZDF zu Gast. Die Auszählung ist aufschlussreich, auch was die nächsten Plätze angeht: Da folgen mit je zehn Talkshow-Auftritten Christian Lindner (FDP), Peter Altmaier (CDU) – und Habecks Co-Vorsitzende Annalena Baerbock. Positionen der Grünen werden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen also breit vertreten.

Eine noch mehr beachtete Medien-Meldung der letzten Wochen hing ebenfalls mit Habeck zusammen. Sein Rückzug aus den sogenannten sozialen Medien brachte es zur Titel-Schlagzeile gedruckter Zeitungen und löste eine Menge Diskussionen aus. Habecks in mehreren Formen verkündeter Rückzug hatte auch mehrere Anlässe: einerseits den spektakulären "Datenklau", andererseits Ärger, den der Grüne oder sein Team sich eher selbst eingebrockt hatten, Habeck aber Twitter in die Schuhe schob:

"Twitter ist, wie kein anderes digitales Medium so aggressiv und in keinem anderen Medium gibt es so viel Hass, Böswilligkeit und Hetze. Offenbar triggert Twitter in mir etwas an: aggressiver, lauter, polemischer und zugespitzter zu sein – und das alles in einer Schnelligkeit, die es schwer macht, dem Nachdenken Raum zu lassen."

Damit ist ihm jedenfalls ein Diskussionsanstoß gelungen, wie er im Buche steht (hätten zumindest frühere Generationen gesagt, in denen noch das als Leitmedium galt, was schwarz auf weiß zur nachhaltigen Aufbewahrung gedruckt war). Diskutiert wird auch hier nebenan: "Gerade Twitter ist ein Raum der Begegnung wie kaum ein anderer im Netz", entgegnete evangelisch.de-Redaktionsleiter Hanno Terbuyken, nachdem der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber "Vorsicht, Twitter-Falle" getwittert hatte.

"Politiker, Journalisten, Psychopathen"

Das Meinungsspektrum ist schön breit. Habecks "Entscheidung ist falsch" hieß es etwa bei zeit.de und sueddeutsche.de. Dass sie richtig oder zumindest konsequent ist, meinten, nur z.B., Stimmen bei sueddeutsche.de und zeit.de. Ich hatte im Altpapier auch schon eine Meinung geäußert: Habecks Argumentation mit Twitters "Triggern" überzeugt nicht, doch auf einer Ebene hat er recht. Im Internet muss wirklich nicht jeder alles Mögliche machen, bloß weil es vermeintlich einfach geht.

Natürlich muss jede Organisation, die viele Menschen erreichen will, ob politische Partei oder Kirche, auf allen wichtigen Plattformen adäquat vertreten sein und ihre Positionen in passenden Formen in die Diskurse einspeisen. Die Öffentlichkeit hat sich in den letzten Jahren enorm dynamisch verändert und wird es weiter tun. Bloß, daraus abzuleiten, dass das genauso für alle einzelnen Vertreter dieser Organisationen gelten müsse, ist absurd.

Twitter als das wohl radikalste Echtzeit-Medium besitzt den Charme, dass man sich ein- und ausklinken kann, ohne alles, was zwischendurch passierte, rekapitulieren zu müssen (und: zu können). Natürlich hat es viele Nachteile. "Auf Twitter sind ohnehin nur Politiker, Journalisten und Psychopathen unterwegs", lautet ein bekannter Spruch der CSU-Politikerin Dorothee Bär (die vielleicht auch ihrer Twitter-Präsenz wegen unter Journalisten zeitweise überschätzt wurde). Es gibt immer wieder Hasskommentare und -kampagnen. Und jeder muss aufpassen, dass er nichts in die (potenziell: ganze) Welt posaunt, was sogleich oder in vielen Jahren gegen ihn oder sie verwendet werden kann. Zwar gibt es die Funktion, Tweets zu löschen. Mit der sollten aber insbesondere Politiker vorsichtig umgehen, weil es ein Portal, das "alle gelöschten Tweets von Politikern" aufzulisten beansprucht, auch gibt.

Machen soziale Medien abhängig?

Aber Twitter-spezifisch ist all das nicht. Ein Datensatz, ein Foto, überhaupt alles ist spätestens dann nie mehr aus der Welt zu kriegen, wenn die Betroffenen es möchten. Das ist eine inzwischen alte Binse der Digitalära – und aus meiner persönlichen Sicht ein Grund, auf Facebook, einen der sowohl übleren als auch missbrauchbareren Datenkraken, zu verzichten. Was das Filmchen angeht, in dem Habeck sich verplappert hatte ("Wir versuchen alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird"), haben er und sein Team einen Fehler gemacht. So schnell und leicht, wie das Video gepostet wurde, hätte ein neues mit "bleibt" statt "wird" aufgenommen werden können. Und klar haben längst alle Spitzenpolitiker, mehr oder minder transparent, Social-media-Teams. Kürzlich zeigte das schön ein Tweet, in dem nicht etwa Talkshow-Vizekönig Christian Lindner sich selbst zum Geburtstag gratulierte, wie es für flüchtige Nutzer scheinen mochte, sondern das "Team (TL)" seines Twitter-Auftritts ihm:

###extern|twitter|c_lindner/status/1082212305851613189###

Wie geschickt das war, ließe sich diskutieren. Dass Twitter-Nutzer häufig flüchtig lesen und schnell bis zu schnell reagieren, ist bekannt (und hatte Robert Habeck spektakulär bewiesen). Ob darüber lange zu streiten lohnt, muss wissen, wer genug Zeit haben könnte. Der Zeit-Aspekt ist ein anderer, der häufig unterschätzt wird.

"Die Idee, dass der Vertreter einer Medienmarke rein privat twittern oder auf Facebook posten kann, ist absurd. Kein Mensch kann das unterscheiden. ... Am Ende dienen diese Aktivitäten allenfalls der Person, sehr selten dem von ihr vertretenen Medium. Ich empfehle allergrößte Zurückhaltung, wenn nicht gar vollkommene Enthaltsamkeit. Außerdem haben Journalisten doch eine gute Plattform, um sich auszudrücken. Ihr Medium. Warum sollten sie Ihr wertvollstes Gut – ihre Erkenntnisse und Gedanken, ihre Inhalte – verschenken, um Twitter zu Exklusivnachrichten oder Kurzkommentaren zu verhelfen?",

sagte gerade Mathias Döpfner, Chef des Springer-Konzerns und des Zeitungsverleger-Verbands. Auch darüber ließe sich lange streiten. Jedenfalls frisst Twitter wie alle erfolgreichen Medienformen viel Zeit, die zur Nutzung anderer Medien dann fehlt. Für Organisationen und Menschen, die vor allem ihrer Zielgruppe begegnen wollen, ist das kein Problem. Für Medien, die online Einnahmen erzielen müssen, ist es eins. "Wer sich viel mit Facebook beschäftige, habe meist keine Zeit mehr für Zeitungen", sagte Ulrike Herrmann von der "taz" gerade im Deutschlandfunk. "Die Anbieter wollen unsere Zeit und Aufmerksamkeit und bekommen sie in unglaublichen Mengen", heißt es am Ende der gestern leider nur im WDR gesendeten, sehenswerten Dokumentation "Wie uns Soziale Medien abhängig machen", die tatsächlich von "Triggern" berichtet.

Gestern bei Maischberger ...

Idealerweise müssen sowohl Parteien und Organisation als auch die Gesellschaft ein Konzept haben, wie sie mit der dynamischen Entwicklung umgehen – ohne neue Kanäle zu unterschätzen und ohne sie wichtiger zu machen als nötig (schon weil es sich ja um um profitorienierte Firmen handelt). Über die mediale Grundversorgung auf immer mehr vielen Kanälen müsste noch viel mehr gestritten werden, gerade anhand der öffentlich-rechtlichen Medien, die sich ja nicht auf dem schwierigen Markt finanzieren müssen.

Es kann und sollte aber nicht Aufgabe jedes einzelnen Politikers sein, auch noch individuell sämtliche Kanäle zu bespielen. Eher sollten sie sich auf das konzentrieren, was sie gut können. Wenn es Auftritte sind wie bei Habeck, ist das für ihre Parteien sinnvoller, als wenn sie sich mit Twitter abquälen, obwohl ihnen das Medium nicht behagt.

Was auch ein alter Hut, aber nicht überholt ist: die Gefahr der Personalisierung, die sowohl neue Medienformen wie Twitter und erst recht Instagram als auch ältere Talkshows befördern. Gut performende Politiker scheinen immer wichtiger; spröde oder weniger eloquente Kollegen, die bloß ihr (vielleicht nicht mal selbst attraktives ) Fachgebiet beherrschen, haben es umso schwerer. Wenn Robert Habeck ein Zeichen in die Richtung setzten wollte, hat er alles richtig gemacht. Wenn er eher an seine Karriere dachte, auch: Bei Twitter schwingt immer der Verdacht mit, dass, wer viel Zeit damit verbringt, sonst wenig zu tun hat. Und twitternde "Talkshowkönige" müssen spätestens mittelfristig den Eindruck erzeugen, vor allem Medienstars und für schwierige politische Ämter eher nicht geeignet zu sein.

(Gestern nacht, als die erwähnte WDR-Doku endete, saßen Habeck und sein Vizekönig Lindner übrigens bei Sandra Maischberger und absolvierten ihre ersten Talkshow-Auftritte 2019 ...)

 

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