Der Klimawandel im Fluss der Informationsflut

Der Klimawandel im Fluss der Informationsflut
Müssen Nachrichtensendungen wirklich regelmäßiger an die Frankfurter Börse schalten als über Umwelt- oder Kulturthemen berichten? Warum gibt es in deutschen Nachrichtenportalen mehr Auto- als Umweltressorts?

Vor einer Woche lief diese Kolumne auf die These von der "Falle der Facebook-Logik" zu, in der sich viele Medien verfangen haben, sodass sie komplizierte Themen, zu denen sich nicht schnell der Daumen heben lässt, im Zweifel nicht behandeln. Etwa gleichzeitig schrieb Dagmar Dehmer, Politikredakteurin beim Berliner "Tagesspiegel", von der

"[Journalisten-]Erfahrung ..., dass den Lesern oder Konsumenten von Medien eigentlich nur Nachrichten zuzumuten sind, in denen Probleme nicht nur benannt, sondern auch lösbar erscheinen. Denn offene Fragen oder unlösbare Probleme lösen beim Leser unangenehme Gefühle aus."

Da ging es um Existenzielleres als die Digital-Themen. Dehmers Schwerpunkte sind Klimawandel und Energiewende, ihr Artikel beklagte unter der Überschrift "Und nun zur Wetterkatastrophe", dass die Dramatik des Klimawandels im Medienalltag nicht durchdringt. Außer, es ist gerade Klimagipfel und es fällt sogar etwas von der deutschen Medien-Aufmerksamkeit, die die Bundeskanzlerin ständig begleitet, auf das Problem.

Beispiele für das, was Dehmer meint, fallen wahrscheinlich allen Mediennutzern schnell ein. Oft gab es Nachrichtensendungen, die am Anfang über fürchterliche Waldbrände und ihre Todesopfer berichteten, an deren Ende jedoch Wetterexperten "für die Jahreszeit zu warme" Temperaturen als gute Nachricht präsentierten.

Am liebsten für jeden etwas, aber kurz

Was keinesfalls einen Vorwurf darstellen soll: In der immer noch härter werdenden Konkurrenz um die begrenzte Aufmerksamkeit der Mediennutzer will niemand seine Zuschauer oder Leser mit schlechter Laune verabschieden. Am Ende wollen Nachrichtensendungen beim Publikum angenehme Gefühle auslösen. Zusammenhänge zwischen den ernsten Themen am Anfang einer Sendung und den leichten, unterhaltsamen am Ende herzustellen, ist im magazinigen Häppchen-Journalismus, der kaum etwas bietet, das länger als wenige Minuten dauert, aber dafür am liebsten für jeden etwas, nicht vorgesehen. Außer vielleicht, ein ernstes Thema ist in Hollywood mit Stars verfilmt worden und hat deutschen Kinostart.

Gibt es einen Tonfall, der angemessen ist für den Klimawandel als alles andere als überraschend kommende Katastrophe, die vielleicht noch nicht hundertprozentig wissenschaftlich bewiesen und vielleicht sogar noch abwendbar ist, deren größte Auswirkungen sich jedenfalls in Deutschland und seiner unmittelbaren Umgebung seltener zeigen als weiter weg?

Dagmer Dehmer ist auch etwas ratlos. "Hierzulande wird Journalisten ohnehin gerne vorgeworfen, Kampagnen zu machen, anstatt zu berichten. Und in der aufgeheizten Atmosphäre, in der die bürgerliche und nicht bürgerliche Rechte die Medien für einen Teil eines politischen Komplotts ... hält, wäre eine solche Klimaberichterstattung wenig wirkungsvoll", schreibt sie. Dass manche Themen Kampagnen-artige Formen annahmen, ist seit der Otto-Brenner-Stiftungs-Studie "Die 'Flüchtlingskrise' in den Medien – Tagesaktueller Journalismus zwischen Meinung und Information" relativ unstrittig, und nachhaltig geholfen hat es keinem.

Einen anderen Grund, aus dem der Klimawandel wenig in den Medien vorkommt, nennt Ralf Hutter im ebenfalls just erschienenen uebermedien.de-Essay über "Journalismus und Klimakrise": die "absurd[e] Jagd nach Neuigkeiten". Nachrichtenwert besitzt nur, was halbwegs neu ist, und neu ist der Klimawandel wirklich nicht. Wobei Hutter noch mehr Probleme benennt, darunter in wichtigen Teilen des Journalismus "falsches Dauerstarren auf Regierungen und große Parteien. Es gehört für viele Medien zum Selbstverständnis, ständig über sie zu berichten, egal was sie tun."

Auch dafür fallen Mediennutzern schnell Beispiele ein. Etwa im Radio, das die Deutschen derzeit durchschnittlich-statistisch 187 Minuten pro Tag nutzen. Wer es, wie die meisten, als Nebenbeimedium nutzt, hört in stündlich oder sogar 20-minütlich getakteten Nachrichten oft immer wieder dieselben Politiker-Aussagen aus einem morgens gegebenen Interview. Das ist das Gegenteil von Neuigkeitswert. Dass die Jamaika-Koalitions-Sondierungsgespräche schwierig, aber nicht aussichtslos waren und sind, haben Vertreter der beteiligten Parteien sowie beobachtende Journalisten sehr sehr oft gesagt, obwohl es von vornherein klar war. Das ist natürlich nur ein kleines Ärgernis. Größer wird es dadurch, dass in den streng formatierten, im Radio oft nicht mal fünfminütigen Nachrichtensendungen jede dieser Meldungen Platz für etwas anderes wegnahm. Zum Beispiel für den Klimawandel.

Alles relativiert einander

Doch bedeutet Kritik von gegensätzlichen Seiten – dass Nachrichten unter Neuigkeitszwang leiden, aber auch darunter, dass inhaltlich nicht neue Politiker-Aussagen viel Raum erhalten – häufig, dass Kritisierten etwas richtig machen. Noch ein Beispiel: Kaum sendet die ARD außerplanmäßig einen "Brennpunkt", entstehen Diskussionen darüber, ob sie zu viele solcher Sondersendungen ins Programm schiebt oder zu wenige. Und sollte sie auch dann eine Sondersendung programmieren, wenn noch gar keine relevanten Bilder vorliegen und fundierte Analysen kaum möglich sind? Vielleicht weil, wenn fundierte möglich sind, das Thema schon zu alt erscheint?

Das Tempo und oft auch die Themen geben großenteils die – sogenannten – sozialen Medien vor, die in Echtzeit "Trends" spiegeln  (und das, was aus interessengeleiteter Sicht welche werden sollen). Ob seriöse oder "Qualitäts-" Medien die dort kursierenden "Trends" schnell auf Glaubwürdigkeit überprüfen sollen, damit falsche oder halbrichtige nicht um sich greifen, oder ob sie sie dadurch erst aufwerten, ist noch so eine unbeantwortbare Frage.

Jedenfalls relativiert im Fluss der Informationsflut alles einander. Im kuratierten Mix der Journalisten, die lineare Fernsehsendungen gestalten, ist es üblich, eher am Anfang aufrütteln zu wollen, und dann mit einem netten Beiklang auszusteigen. Im zufälligeren Timeline-Mix der sozialen Medien wechseln sich auch meistens, ganz individuell nach Filterblase, ernste Nachrichten (mit Links zu längeren Texten) und kurze, heitere vom "Postillon", mit Fußballern, Musikvideos oder Tieren ab. Auch wer selber keinen Katzen-Content postet, bekommt relativ regelmäßig geteilten zu sehen.

Ansätze und Ideen, die natürlich nichts lösen, sondern höchstens sich weniger relativieren lassen (oder anderes stärker relativieren), gibt's jedoch. Zum Beispiel den Wundertüten-Charakter, den gedruckte Medien entfalten können, wie es die Wochenzeitung "Die Zeit" mit ihrer Titelseite zum "großen Insektensterben" tat. (Und dass die "Zeit"-Grafik dazu außerdem die Bundeskanzlerin und einen Anklang an einen Hollywood-Film in dasselbe Bild einbrachte, ist natürlich große Kunst). Gedruckte Wochenmedien liegen, wenn sie ihre Leser erreichen, länger im Haushalt herum und können ins Auge springen. Sie könnten öfter damit spielen, die Top-Themen, die derzeit meistens in allen nachrichtlichen Medien identisch sind, hintan zu stellen.

Im linearen Fernsehen wäre möglich und ohnehin dringend nötig, die starren Ressort- und Formatgrenzen zu variieren. So etwas wird auch in anderen Zusammenhängen häufiger gefordert wird (so plädierten "Zeit"-Kolumnistin Mely Kiyak und Heiko Hilker in seinem dimbb.de-Blog kürzlich für mehr Fernseh-Nachrichten-Raum für die Kultur). Warum nicht in den täglichen Nachrichtenmagazinen "Tagesthemen" und "heute-journal" wenigstens einmal pro Woche einen Nachrichtenblock mit Kulturthemen (jenseits der Kinostarts) und einen mit Klimaforschungs-Themen? Letzterer könnte ja zum Schluss vorm Wetterbericht platziert werden. Dann wäre auch für die den Moderatoren wichtige Überleitung gesorgt. Im Austausch könnte die rituelle Schalte zur Frankfurter Börse bloß noch einmal wöchentlich erfolgen. Um den DAX-Kurs zu erfahren, brauchen schließlich auch medienabgewandteste Zuschauer das lineare Fernsehen nicht mehr.

Und für Nachrichtenportale im Netz wäre ein eigenes Ressort wie das "Environment"-Ressort des britischen "Guardian", das Dagmar Dehmer nennt, durchaus eine Lösung. Dort sind die (schöner klingenden) Unterressorts "wildlife" und "energy" eingerahmt zwischen dem leider wichtigsten, "climate change", und "pollution". Dass auf beliebten und renommierten deutschen Nachrichten-Portalen zwar die Rubriken spiegel.de/auto und sueddeutsche.de/auto vorhanden sind, spiegel.de/umwelt und sueddeutsche.de/umwelt jedoch nicht, sagt schließlich auch etwas aus.
 

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