HIPPY hilft Familien vor dem Schulstart

Zwei Frauen lernen zusammen
epd/Nancy Heusel
Hausbesucherin Elena Zaharkevich (li.) lernt mit Yuliia Shukiurova (re.) in ihrer Wohnung in Hannover.
Lernprogramm mit Hausbesuchen
HIPPY hilft Familien vor dem Schulstart
Emilia ist fünf, nächstes Jahr kommt sie in die Schule. Um den Start zu erleichtern, haben ihre Eltern Unterstützung gesucht, denn die Familie kommt aus der Ukraine. Elena Zaharkevich hilft mit Hausbesuchen - damit Sprachbarrieren wegfallen.

Elena Zaharkevich rollt im Wohnzimmer der Familie Shukiurova zwei Papierrollen über den Teppichboden aus. Die 53-Jährige ist eine von sechs sogenannten "Hausbesucherinnen", die im Auftrag des Diakonischen Werkes Hannover Eltern dabei helfen, ihre Kinder auf die Schule vorzubereiten. Mit Yuliia Shukiurova geht sie die Aufgaben durch, die diese dann mit ihrer Tochter Emilia üben will. Das deutsche Wort "Körperteile" schleicht sich in die Erläuterungen, die Zaharkevich auf Russisch gibt. "Malen Sie die Körperumrisse ihres Kindes auf", liest sie vor. 

HIPPY heißt das Hausbesuchs-Programm für Eltern mit Vorschulkindern, das vor allem migrantischen Familien wie die ukrainische Familie Shukiurova unterstützt. Es wird an rund 30 Orten bundesweit angeboten, zumeist unter dem Dach freier Träger. Die fünfjährige Emilia ist während des Besuchs noch im Kindergarten. Darum legt sich ihre Mutter kurzerhand selbst auf die Papierbahnen, die aber deutlich zu kurz sind. "Emilia ist ja nicht so groß wie du", sagt Zaharkevich lachend. Dann gehen beide die deutschen Bezeichnungen der Körperteile durch. "Das ist mein Kopf, das sind die Schultern, Auge, Nase, Mund."

Yuliia Shukiurova tippt sich an den Arm-Ansatz. "Schultern, das habe ich auch im Deutschkurs gelernt, aber da ging alles so schnell", sagt sie. Vor zwei Jahren ist die 33-Jährige auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen. In der Kita hat sie von HIPPY erfahren. "Das ist auch gut für mich, es ist interessant. Ich lerne viel", sagt sie. Neben Elena Zaharkevich, die aus Belarus stammt, arbeiten für HIPPY unter anderen arabische und türkische Muttersprachlerinnen. Sie alle bringen Anregungen zum spielerischen Lernen in die Familien angehender Schulkinder. 

Emilia liebt am meisten das Memory-Spiel, erzählt ihre Mutter. Yuliia Shukiurova hat selbst Spaß an dem Vorlesen, Tüfteln, Puzzeln und Üben mit ihrer Tochter, für das täglich 15 Minuten eingeplant sind. Schon seit 20 Jahren bietet das Diakonische Werk Hannover das Lernprogramm an - als damals erste Einrichtung in Niedersachsen. Erstmals in Deutschland hat 1991 das Deutsche Rote Kreuz in Bremen HIPPY umgesetzt, wie Sandra Schütz von der Bremer Stiftung "Impuls" erläutert, die bis vor Kurzem die deutschen Lizenzrechte verwaltete. Das Kürzel steht - aus dem Englischen übersetzt - für "Hausbesuchsprogramm für Eltern mit Vorschulkindern".

Positive Rückmeldungen auch von Schulärzten

Ursprünglich in Israel für Einwandererfamilien entwickelt, ist das Lern-Programm für Vier- bis Sechsjährige unter anderem in Australien, Österreich, Kanada, Italien, Südafrika und den USA eingeführt worden. Nicht nur Auszeichnungen wie der "Deutsche Lesepreis" zeigten die Wirksamkeit, sagt Natalja Letuschow, die HIPPY für die Diakonie in Hannover koordiniert. "Wir haben viele positive Rückmeldungen, zum Beispiel von Schulärzten."

Für Niedersachsen zeigen laut einem Bericht des Landesgesundheitsamts die Schuleingangsuntersuchungen aus vergangenen Jahren, dass insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund bei der Sprachentwicklung, dem Zahlen- und Mengenverständnis und der Feinmotorik trotz Kita-Besuchs Rückstände haben. Das stellt die Kinder, aber auch die Grundschul-Lehrkräfte vor große Herausforderungen.

Dem Sprachverständnis von Kindern kommt eine wichtige Rolle zu, auch bei der emotionalen Entwicklung, wie die Lüneburger Entwicklungspsychologin Marie von Salisch erläutert. Vor allem für jüngere Kinder in den ersten Klassen sei es wichtig, sich über Gefühle auszutauschen und ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, sagt die Professorin an der Leuphana Universität: "Schule ist eine sehr soziale Veranstaltung, deshalb ist Kommunikation von größter Bedeutung."

Ein gut ausgebildetes Emotionswissen führt nach ihren Forschungen zu größeren sozialen Kompetenzen, höherer Akzeptanz unter Gleichaltrigen, besseren schulischen Leistungen und einer positiveren Einstellung zur Schule.
Yuliia Shukiurova öffnet den Wohnzimmerschrank und holt eine Handvoll Bilderbücher hervor, die zu den HIPPY-Materialien gehören - zum Beispiel "Robbi regt sich auf", in dem es um große Gefühle wie Wut und Zorn und den Umgang damit geht. Ihre Wohnung in Hannover hat die Familie vor allem mit Fotos und Zeichnungen von Emilia dekoriert. Eines zeigt sie mit einer großen Erdbeertorte und einer Girlande an ihrem vierten Geburtstag. Yuliia Shukiurovas großer Wunsch für ihre Tochter ist, dass sie sich gut in der Schule einlebt.

Neue Perspektiven kann das Programm auch für die Hausbesucherinnen bringen, so hofft es zumindest Elena Zaharkevich. Sie ist wie die anderen Frauen für zwei Jahre als geringfügig Beschäftigte bei der Diakonie angestellt. Die 53-Jährige ist Grundschullehrerin, hat Zollamtsrecht studiert und auch eine Ausbildung zur Ergotherapeutin gemacht, wie sie erzählt. "Aber die Abschlüsse werden hier nicht anerkannt." Teils sind es auch ehemalige HIPPY-Mütter, die als Hausbesucherinnen arbeiten und sich dabei qualifizieren wollen, sagt Letuschow. Diplome bekommen zum Abschluss allerdings nur die Kinder wie Emilia, deren Erfolg dann noch einmal gefeiert wird.