Sodom reformieren!

Sodom reformieren!
Foto: Michael Wolgemut, Wilhelm Pleydenwurff (Text: Hartmann Schedel), Wikimedia Commons
500 Jahre Reformation - können die auch an Sodom nicht spurlos vorübergehen? Überraschende Einsichten bei einer Tagung in den USA.

500 Jahre Reformation - da kommt natürlich auch der weltgrößte Kongress von Theolog*innen und Religionswissenschaftler*innen nicht dran vorbei. Also gab es bei der Jahrestagung der American Academy of Religion vom 18.-21. November in Boston auch zu diesem Thema einiges zu hören.

Überrascht war ich dann aber doch, als ich im Programm den Titel las "Sodom reformieren". Wie soll das denn gehen? "Sodomie" war ja über Jahrhunderte die Umschreibung für homosexuellen Geschlechtsverkehr, der angeblich der Grund für die Vernichtung der Städte Sodom und Gomorrha durch Gott war (Gen/1.Mose 19). In den USA wird der Hinweis auf die Sodom-Geschichte bis heute von evangelikalen Christ*innen und der extremen politischen Rechten bemüht, um gegen queere Menschenrechte zu kämpfen.

"Sodom reformieren", das ist der Titel eines Buches von Heather White, die an der Puget Sound Universität in Tacoma Religionswissenschaften und Queer Studies lehrt (Reforming Sodom. Protestants and the Rise of Gay Rights, University of North Carolina Press 2015). White untersucht darin das Verhältnis von protestantischen Kirchen zu homosexuellen Männern und der Gay Rights Bewegung in den USA von den 1920er bis 1970er Jahre. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es von liberalen Pastor*innen und ihren Gemeinden immer wieder ausdrückliche Unterstützung der Schwulenbewegung gegeben habe. "Die Beweggründe", so erläutert sie während der Tagung, "waren dabei durchaus unterschiedlich. Manche sahen schlicht und einfach den homosexuellen Nächsten, dem ein ganzheitliches Leben ermöglicht werden sollte, andere lehnten zwar homosexuellen Geschlechtsverkehr mit dem Verweis auf die Sodom-Geschichte ab, aber verstanden es als Christenpflicht, sich auch für diese unterdrückte Minderheit zu engagieren." Umgekehrt ließe sich beobachten, dass wichtige Personen der Schwulenbewegung dieser Zeiten die Kraft für ihren Kampf aus einem liberalen christlichen Glauben empfingen. Wenn heutige queere Aktionsgruppen sich immer wieder als strikt antichristlich verstünden, dann würden sie dieser Geschichte der Gay Rights Bewegung nicht gerecht. Der (verständliche) Kampf gegen die evangelikalen und extrem-rechten Gegner führe dann dazu, die eigene Geschichte zu vergessen.

Tatsächlich habe ich auch in Deutschland manchmal den Eindruck, als schwuler Christ doppelt marginalisiert zu sein: Ich gehöre zu der queeren Minderheit, die für manche immer noch nicht selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft ist - und innerhalb dieser Minderheit muss ich mich immer wieder dafür verantworten, warum ich in einer Kirche lebe und arbeite, deren Tradition für die Diskriminierung von sexuellen Minderheiten mitverantwortlich ist.

Dass wir heute in den protestantischen Kirchen Deutschlands als Queers offen und akzeptiert leben können, zeigt, dass bei uns wirklich eine "Reformation Sodoms" stattgefunden hat: Bibelwissenschaftler*innen haben schon seit langem erkannt, dass es bei der Sodom-Geschichte nicht um einvernehmlichen Geschlechtsverkehr oder gar gelebte Partnerschaft geht, sondern darum, dass hier das Recht des Gastes (Fremde stehen in der Bibel unter besonderem Schutz!) verletzt und Menschen unter Gewaltanwendung missbraucht werden.

Diese Erkenntnis hat - zusammen mit der humanwissenschaftlichen Einsicht, dass Homosexualität auch keine Krankheit ist - dazu geführt, dass die protestantischen Kirchen Deutschlands in den letzten dreißig Jahren Sodom reformiert haben. In der neuen, reformatorischen Freiheit haben auch Queers ihren gleichberechtigten Platz in den Kirchen.

Ähnlich wie in den USA der 20er bis 70er Jahre hat es dabei übrigens auch bei uns trotz mancher Vorbehalte Unterstützung für die queere Emanzipationsbewegung gegeben: In der Diskussion um eine rechtliche Gleichstellung mit der Ehe haben verschiedene Gliedkirchen der EKD und auch der Rat der EKD in den 90er Jahren immer wieder betont, dass sie eine rechtliche Absicherung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften für geboten halten - auch wenn manche kirchenleitende Personen damals zum Beispiel der Mitarbeit von Queers als Pfarrer*innen durchaus noch skeptisch gegenüber standen. Als dann das Lebenspartnerschaftengesetz nach seiner Verabschiedung im Jahr 2001 von den römisch-katholischen Bischöfen sofort scharf kritisiert wird und diese eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erwägen, weist ein internes Gutachten der Rechtsabteilung der EKD die evangelischen Kirchenleitungen darauf hin, dass dieser Weg für eine evangelische Kirche aufgrund des bisherigen Engagement führender Persönlichkeiten der EKD für eine rechtliche Besserstellung gleichgeschlechtlicher Paare nicht möglich sei. Das Lebenspartnerschaftengesetz setze ja genau diese Forderungen um.

Gar nicht so dumm, was Heather White da schreibt - ja, auch Sodom wurde reformiert!

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