Ihre Fragen, unsere Antworten - Folge 45: "Allgemeine Russland-Kritik"?

Ihre Fragen, unsere Antworten - Folge 45: "Allgemeine Russland-Kritik"?
Was wird eigentlich von Journalisten erwartet?

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

in dieser Woche gab es einen Nutzerkommentar, über den ich länger nachgedacht habe. Er stand unter dieser Meldung vom vergangenen Wochenende, in der sowohl ein CDU- als auch ein SPD-Verteidigungsexperte damit zitiert wird, dass Russland auf einem Waffenstillstand in Syrien hinwirken müsse. Henning Otte von der CDU macht dabei den Gegensatz auf, dass Russland zeigen müsse, ob es auf der Seite des syrischen Volkes und einer friedlichen Entwicklung steht, oder die Kämpfe weiter unterstützt.

Das brachte eine*n Kommentator*in namens "gAST" dazu, folgende Unterstellung zu formulieren:

von: gAST
14. Februar 2016 - 18:05
Russland

War ja klar, dass irgendwann auch auf evangelisch.de die allgemeine Russland-Kritik Einzug hält. Warum sind vor geraumer Zeit Tornado-Aufklärungsflugzeuge der Bundeswehr nach Syrien geschickt worden? Um nur Russland bei der Bombardierung zu unterstützen? Der Schlüssel liegt in Ankara und Riad. Man kann sich einmal fragen, warum zur Sicherheitskonferenz in München keine Vertreter der Kurden eingeladen wurden. Und man kann sich auch fragen, ob Ankara zwei Mio Flüchtlinge allein aus humanitären Gründen aufgenommen hat oder ob das ein jederzeit einsetzbares Druckmittel gegenüber Europa ist?

Die Frage, wie die Türkei und die aktuelle Füchtlingslage von Europa aus gesehen werden und wie sich das lösen soll, ist eine berechtigte Frage - wer Frieden will, muss alle Parteien daran beteiligen, denn einseitige Friedensgelöbnisse funktionieren in der Regel nicht auf Dauer. Aber beschäftigt hat mich die "allgemeine Russland-Kritik" im ersten Satz. Denn dahinter steckt die Unterstellung, dass wir als Journalisten diese Meldung deswegen ausgewählt hätten, weil darin Russland kritisiert wird. Das stimmt aber nicht.

Es ist uns völlig egal, ob die beiden Abgeordneten, die in der epd-Meldung zitiert werden, Russland kritisieren oder loben. Das spielt für die Veröffentlichung keine Rolle. Der Grund für die Auswahl dieser Nachricht war, dass sich zwei Verteidigungsexperten von Regierungsparteien zur syrischen Friedenskonferenz äußern, die für uns auf evangelisch.de ein Nachrichtenthema ist. Der epd macht daraus eine Meldung, wie eine Nachrichtenagentur das so macht, und wir übernehmen diese Meldung. Ob die beiden Politiker dabei pro oder contra Russland sprechen, ist egal! Wir bringen die Meldung, weil sie zum Syrien-Gipfel kam, nicht auf der Basis der darin vertretenen Meinungen.

Was mich daran irritiert, ist der Gedanke, dass Journalisten prinzipiell solche inhaltlichen Kriterien an ihre Nachrichtenauswahl anlegen. Denn die allermeisten Entscheidungen zur Frage: Berichten wir darüber? werden auf der Basis von drei Fragen getroffen:

a) Ist das Thema für unser inhaltliches Profil ein Thema?

b) Interessiert es unsere Nutzerinnen und Nutzer, basierend auf den vergangenen Klickzahlen und unserer persönlichen Einschätzung?

c) Ist diese Nachricht, das Ereignis oder das Thema der Geschichte so wichtig, dass wir darüber berichten wollen?

Eine persönliche Haltung zum Nachrichtenthema beeinflusst diesen letzten Punkt, aber selbst dabei macht es keinen Unterschied, ob sich die Sicherheitsexperten in dieser Meldung pro oder contra Russland äußern - wichtig ist, dass sie sich überhaupt äußern. Anderes Beispiel: Wenn sich der Papst zum Thema Verhütung in Sachen Zika äußert, hätten wir das auch berichtet, wenn er gesagt hätte: Ja, Zika gibt's, aber Kondome sollt ihr trotzdem nicht benutzen. Der letzte Punkt ist auch der Grund, warum wir (aus Sicht mancher Nutzer überproportional) über die Themen Homosexualität und Transsexualität berichten: Wir halten diese Themen im Rahmen der Diskussion innerhalb der Kirche für wichtig genug, um sie regelmäßig aufzunehmen. Und: An der Stelle haben wir als Redaktion eine klare Haltung, die sich aus unserem Glauben ergibt und die wir in mehreren redaktionellen Kommentaren schon deutlich gemacht haben.

Zu Russland gibt es in der Redaktion von evangelisch.de aber keine "allgemeine Russlandfeindlichkeit", die ganz bewusst zur Steuerung der Nachrichten eingesetzt würde. Aus dem Wunsch nach Frieden heraus, der Teil der christlichen Botschaft ist, ist der Syrienkonflikt grundsätzlich ein Thema. Wenn Russland jetzt nach Einschätzung der Sicherheitsexperten der Bundesregierung ein Grund dafür würde, dass der Konflikt endet und die Menschen in Syrien wieder ohne Angst um Leib und Leben zusammenleben könnten, würden wir darüber auch berichten. Warum auch nicht?

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


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