Die Frage der Woche, Folge 106: Kann die Kirche vom Silicon Valley lernen?

Die Frage der Woche, Folge 106: Kann die Kirche vom Silicon Valley lernen?
Drei Lehren bringen Menschen mit, die das Silicon Valley besuchen: Beweg dich schnell, scheiter oft und mach deine Nutzer zum Maßstab. Was das für die Kirche bedeutet - von Medienarbeit bis Verkündigung - ist noch offen. 2018 ist die Chance, das rauszukriegen.

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

es ist nicht ungewöhnlich, dass Kirchenvertreter ins Silicon Valley fahren, um sich dort die Marktführer der digitalen Welt anzuschauen. Auf so einer "Learning Journey" war in diesem Jahr unter anderem mit EKHN-Kirchenpräsident Volker Jung auch Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, der seine Erfahrung nach der Rückkehr schon verbloggt hatte.

Nun steht die EKD-Synode in Bonn kurz bevor, die sich mit der Zukunft der Kirche nach dem Reformationsjubiläum beschäftigen wird, und die Frage ist immer noch: Was kann Kirche denn vom Silicon Valley lernen?

Ich hatte inzwischen dreimal Gelegenheit, mit Menschen zu sprechen, die auf solchen "Learning Journeys" im Silicon Valley waren. Und alle brachten die gleichen drei Lehren mit, die dort wie ein Mantra durch die Startup-Kultur getragen werden: "Move fast, fail often, look at the user" - beweg dich schnell, scheiter oft und mach deine Nutzer zum Maßstab.

Aber wie lassen sich diese drei Kernsätze in der Kirche umsetzen? Das ist nicht so klar. Mir jedenfalls nicht.

Ein paar Gedanken und Beobachtungen.

Die drei Silicon-Valley-Sätze lassen sich durchaus vergleichen mit der ecclesia semper reformanda. In ihnen steckt die Aufforderung zur immerwährenden Veränderung, zur stetigen Disruption von innen und außen. Dazu kommt natürlich auch, dass das Silicon Valley sich nie mit dem Status Quo zufrieden gibt. Es muss immer mehr, anders, größer, schneller, besser sein.

Ecclesia semper reformanda - aber schneller

Aber trotz des Willens zur Binnenreformation fällt es der (evangelischen) Kirche schwer, eine eigene Übersetzung für die Silicon-Valley-Sprüche zu finden, jedenfalls in ihren eigenen Instutitionen. Denn ecclesia semper reformanda ist nicht auf den Drei-Monats-Takt gemünzt, der für die Berufsdisruptoren aus dem Valley schon eine Ewigkeit ist.

"Move fast", beweg dich schnell, ist in einer Kirche, die zwischen Gemeinde, Kirchenkreis, Landeskirchen und EKD mindestens vier Ebenen mit eigenem Geld, eigenen Wünschen, eigenen Gremien und eigenen Hierarchien hat, schon mal nicht einfach. Zusätzlich haben die vielen kreativen Menschen in den Werken, Arbeitsgruppen, Dezernaten, Vereinigungen und sonstigen Zusammenschlüssen ihre eigenen Ideen, Ziele und Projekte. Wenn wir über #DigitaleKirche und Digitalisierung reden, gibt es für Kirchenmitglieder meiner Erfahrung nach aber nur zwei Wahrnehmungsebenen: "meine Gemeinde" und "die Kirche". Wer genau hinter einem guten Projekt, einem viel geteilten Shareable, einem guten Video oder der Termindatenbank für die Gemeinde steckt ist, ist den Nutzern letztlich egal.

Außerdem profitieren Digital-Anstrengungen von größeren Kontexten. Die gleichen Ideen muss man nicht ein Dutzend Mal gleichzeitig wiederholen – im Gegenteil. Das klappt schon ziemlich gut und hat sich in den acht Jahren, in denen ich inzwischen bei evangelisch.de bin, deutlich verbessert. Trotzdem führt die breit gestreute Verteilung von Ressourcen oft dazu, dass Ideen nicht einfach mal umgesetzt werden können. Je größer die Organisation ist, je mehr Ebenen und je mehr Beteiligte dabei sind, umso langsamer werden Projekte. Der Entscheidungsrhythmus zwischen Synoden und Kirchenämtern macht Digitalisierung auch nicht einfacher oder schneller.

"Fail often" ist noch viel schwieriger. Das fängt schon dabei an, was Scheitern eigentlich ist. Denn Scheitern kann man nur, wenn man definierte Ziele verfehlt. Aber wer definiert Ziele? Für viele Bereiche in der Kirche glaubt man, das ginge nicht – Verkündigung allen voran, denn die Kirche hat schließlich Verantwortung für jedes ihrer Schäfchen. Auch dort, wo Zahlen messbar werden, wird oft genug mit unklaren Zielen gearbeitet. Im Extremfall ist es Schönreden statt Scheitern. Anders als im Silicon Valley wird Erfolg in der Kirche allerdings auch nicht allein über Zahlen und über persönlichen Reichtum definiert, und das ist auch gut so. Über die Frage der Messbarkeit von Erfolg von Kirche haben andere schon jahrelang gestritten. Aber Scheitern, wie sich die Upstarts im Silicon Valley das vorstellen: Alles verlieren, zwei Wochen Uber fahren, neu aufbauen, bis man irgendwann an Google verkauft hat – das geht in der Kirche nicht. Es wäre auch nicht gut. Aber Erfolg und Scheitern zu definieren, ohne das Scheitern zu verurteilen, fällt Kirchens auch oft schwer.

Und der letzte Satz aus dem Valley – Orientierung an den Nutzern? Für Medien-, Informations- und Kommunikationsangebote geht das. Es kostet aber auch Geld und Energie, die nicht immer mit eingeplant werden. Und es braucht das Bewusstsein, dass keine Lösung ewig ist. Und eine Ewigkeit kann eben auch schon drei Monate sein.

Für die Botschaft der Kirche selbst geht das dagegen nicht. Die Botschaft von Rechtfertigung, Erlösung, ewigem Leben lässt sich nicht ändern. Auch wenn man sie unterschiedlich vermittelt, kann man die Botschaft nicht so weit ändern, dass Menschen, die nichts damit anfangen können oder nicht daran glauben, auf einmal anders denken.

Die Silicon-Valley-Antwort auf leere Kirchen wäre vermutlich diese: Feiert und predigt anders! Wenn das nicht mehr Leute anzieht: Feiert und predigt was anderes! Wenn das nicht mehr Menschen anzieht: Ändert das Produkt! Die unbedingte Flexibilität der Ideen, die schnelles Scheitern, Verändern, Neuaufbau im Silicon Valley ausmacht, ist der kirchlichen Botschaft nicht gegeben.

Die Reformation als ultimative Disruption

Oder doch? Luther hat das vor 500 Jahren mit der katholischen Kirche gemacht. Die ultimative Disruption! Er und die andren Reformatoren haben sogar ganz klassisch im Sinne des Silicon Valley die Mittelsmänner überflüssig gemacht, jedenfalls die in der Beziehung zwischen Gott und den Menschen.

Der große Widerspruch des jetzt vergangenen Reformationsjubiläumsjahres ist für mich, dass die Aktionen und Aktivitäten in diesem Jahr keine Zeit und Energie gelassen haben, sich selbst zu reformieren. Das gilt für die Kirche im Allgemeinen ebenso wie für evangelisch.de im Besonderen.

Deswegen ist 2018 ist die Chance, die Erinnerung an die ecclesia semper reformanda in reformierende Aktion umzusetzen. Vielleicht kann das nicht die ganze Kirche. Aber einzelne Menschen mit Lust und Initiative, denen zumindest ein kleiner Freiraum gegeben wird, sind in Sachen Digitalisierung ja schon längst unterwegs. Bestes aktuelles Beispiel dafür ist das Barcamp Digitale Kirche #bckirche. Die Diskussion um #DigitaleKirche bilden wir auch auf digitale-kirche.evangelisch.de ab.

Ich bin gespannt, was die EKD-Synode in den kommenden Wochen ergeben wird. Wo geht die Reise hin? Wollen wir wirklich sein wie im Silicon Valley? Was lernen wir aus den "Learning Journeys"? Das wichtigste ist für mich: Auch wenn wir nicht handeln müssen wie die Disruptoren im Silicon Valley, müssen wir zumindest Digitalisierung die gleiche Wichtigkeit zumessen wie sie es tun. Sonst werden wir auch keine kirchengemäßen und christlichen Antworten auf die Herausforderung der Gegenwart finden.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


Wenn Sie Fragen zu evangelisch.de oder unseren Themen haben, sind die Redaktion und ich auf vielen verschiedenen Kanälen erreichbar:

- unter diesem Blogeintrag in der Kommentarfunktion

- evangelisch.de auf Twitter als @evangelisch_de, auf Instagram als evangelisch.de, auf YouTube als EvangelischDE.

- ich selbst auf Twitter als @dailybug

- evangelisch.de auf Facebook

Alle Fragen zu Kirche und Glauben beantwortet Ihnen unser Pastor Frank Muchlinsky auf fragen.evangelisch.de.

Ich werfe an dieser Stelle mehr oder weniger regelmäßig einen Blick auf die vergangene Woche und beantworte außerdem Ihre Fragen zu evangelisch.de, so gut ich kann. Ich wünsche euch und Ihnen einen gesegneten Start ins Wochenende!

weitere Blogs

Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein spätes, unerwartetes Ostererlebnis der besonderen Art
Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.