Die Frage der Woche, Folge 64: Warum lässt die Kirche diese Leute rein?

Die Frage der Woche, Folge 64: Warum lässt die Kirche diese Leute rein?
Frau Meier möchte wissen, was die Kirche gegen muslimische Flüchtlinge tut. Sonst, droht sie, tritt sie aus der Kirche aus.

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

in der vergangenen Woche hatten wir - was selten vorkommt - einen Anruf von einer von Ihnen. Frau Meier (oder Meyer, Maier oder Mayer) hat zum Telefon gegriffen, um uns folgende Fragen zu stellen:

"Wie steht die Kirche zu muslimischen Flüchtlingen? Wie steht die Kirche nach den Anschlägen in Nizza und der Kirche in Nordfrankreich zur Aufnahme muslimischer Flüchtlinge? Müsste man jetzt nicht die Aufnahme muslimischer Flüchtlinge stoppen? Warum gibt die Kirche solchen Leuten noch Kirchenasyl? Ich trete aus, wenn die Kirche nichts dagegen tut!"

Ach, Frau Meier/Meyer/Mayer, jetzt holen Sie erstmal Luft und geben uns ein paar Sekunden, damit wir überhaupt antworten können. Und weil Sie unsere Antwort am Telefon offenbar nicht wirklich hören wollten, schreibe ich das hier alles nochmal auf.

Ich gehe davon aus, dass ihre Frage sich auf die evangelische Kirche bezieht (sonst hätten Sie sicherlich bei den Kolleg*innen von katholisch.de angerufen). Da hat sich meinem Wissen nach die offizielle Position der EKD seit Januar nicht geändert. Damals schrieb der Rat der EKD:

"Die enormen Anstrengungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen, die bereits geleistet wurden, sind Ausdruck einer Gesellschaft, deren Werte in ihren Wurzeln tief in der christlichen Tradition verankert sind. Der Satz Jesu 'Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihnen auch' (Matthäus 7, 12) aus der Bergpredigt formuliert einen Grundsatz der Empathie, der weit über die christliche Tradition hinaus anerkannt wird. Empathie darf nicht unter dem Eindruck einer belastenden Situation zur Disposition gestellt werden. Geben wir die Empathie auf, geben wir die Menschlichkeit auf."

Oder in weniger Worten: Wenn wir unseren Willen zur Nächstenliebe aufgeben, können wir direkt damit aufhören, zu behaupten, wir lebten in einer christlich geprägten Gesellschaft.

Deswegen können und wollen wir nicht sagen: "Ihr dürft hier nicht rein!" Vor allem nicht beim Kirchenasyl. Und außerdem: Jemand, der im Kirchenasyl aufgenommen wird, erlebt eine solche Welle an Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe, dass er nicht zum Terroristen wird.

Die 303 Menschen im Kirchenasyl sind natürlich ganz besondere Fälle, sonst wären sie gar nicht im Kirchenasyl. Sie fragen aber auch ganz allgemein nach "muslimischen Flüchtlingen". Für die gilt auch, was der Rat der EKD im Januar schrieb: "Entscheidend ist, die Kontrolle über die Durchsetzung des Rechts und der Werte des Grundgesetzes zu bewahren. Jede Bürgerin und jeder Bürger unseres Landes muss sich überall sicher fühlen können. […] Integration bedeutet die Anerkennung des Rechts und der Grundwerte unseres Landes, aber auch die Anerkennung unseres Verständnisses von einer offenen Gesellschaft, der Religionsfreiheit und der Gleichberechtigung von Frauen und Männern."

Wer hier leben möchte, muss sich an unsere Regeln halten und es ist die Aufgabe von Politik, Kirche und Gesellschaft, klar zu sagen, was diese Regeln sind. Wir können aber nicht erwarten, dass sich Geflüchtete einfach so an diese Regeln halten, wenn sie sich abgelehnt fühlen. Das heißt: Wir müssen sie einladen, Deutsche zu werden, und sie einladen, von uns zu lernen, was das heißt. Das kann instabilen Menschen, die an der Schwelle zur Radikalisierung stehen, den Halt geben, den sie brauchen. Wir können damit keine überzeugten Terroristen davon abhalten, zu bomben und zu morden. Das kann man nur, indem man sie physisch daran hindert (ermitteln und der Rechtslage entsprechend verhaften). Aber wir können die Menschen, die an der Schwelle zum Hass stehen, noch einfangen.

Ich höre ihren Einwand: Man sollte sie gar nicht erst reinlassen! Natürlich wollen wir keine Terroristen reinlassen. Nur leider lassen sich diese Radikalen bei allen Bemühungen von Polizei und Geheimdiensten nicht einfach ausfiltern. Potentiell Radikale erst recht nicht. Die große Mehrheit der Flüchtlinge ist nicht kriminell oder radikal, sondern sucht nach Sicherheit. Einfach niemanden reinzulassen ist auch deswegen ein klarer Verstoß gegen das Christ-Sein - das steht weiter oben schon: "Geben wir die Empathie auf, geben wir die Menschlichkeit auf."

Was können wir also tun? Wir können hierzulande klarer sagen, was wir von Zuwanderern erwarten: Respekt gegenüber Mann und Frau, Deutsch lernen, Anerkennung des Grundgesetzes, kein Lärm nach 23 Uhr und so weiter. Wir können Flüchtlingen klar sagen, dass wir sie gerne als Zuwanderer hier haben möchten und nicht als zeitweilige Gäste, und dass da Verantwortung dazu gehört. Denn im Hotel muss man sein eigenes Bett nicht machen, in der eigenen Wohnung aber schon. Wir können so genannte Hassprediger zur Rede stellen und sie entsprechend unserer Rechtslage ausweisen oder verhaften. Wir können deutsche Imame dabei unterstützen, muslimische Flüchtlinge in Deutschland zu integrieren, damit sie nicht in abgeschlossenen Kultur-Enklaven wohnen.

Aber wenn Sie das alles nicht wollen, liebe Frau Maier/Meier/Meyer, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen. Eine andere Antwort habe ich nicht. Aus einer evangelischen Kirche, die sich aktiv gegen die Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen einsetzt, würde ich dann allerdings ziemlich bald selbst austreten.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gesegnetes Wochenende!


Wenn Sie weitere, andere oder neue Fragen zu evangelisch.de oder unseren Themen haben, sind die Redaktion und ich auf vielen verschiedenen Kanälen erreichbar:

- unter diesem Blogeintrag in der Kommentarfunktion

- evangelisch.de auf Twitter als @evangelisch_de und auf Instagram als evangelisch.de

- ich selbst auf Twitter unter @dailybug

evangelisch.de auf Facebook

E-Mail für alle inhaltlichen Fragen und Anregungen

Alle Fragen zu Kirche und Glauben beantwortet Ihnen unser Pastor Frank Muchlinsky auf fragen.evangelisch.de.

Ich werfe immer am Samstag an dieser Stelle einen Blick auf die vergangene Woche und beantworte außerdem Ihre Fragen zu evangelisch.de, so gut ich kann. Ich wünsche euch und Ihnen einen gesegneten Start ins Wochenende!

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.