Aufstand der Anständigen

Aufstand der Anständigen
"Wir helfen". Das ist der Slogan mit dem an diesem Wochenende Bundesligaspieler ihre Solidarität ausdrücken werden. Nur mit wem? Kai Diekmann? Einige Vereine wollen dabei nicht mitmachen. Die Medien halten das für ein relevantes Thema.

An diesem Wochenende ist wieder Fußball. Nach der Länderspielpause treffen sich die Protagonisten der wichtigsten deutschen Unterhaltungsbranche zu ihren regulären Bundesligaspielen. Angesichts der eskalierenden Flüchtlingskrise stellen sich für die Medien wichtige Fragen. Für die Landespolizeien und die Bundespolizei sind diese Spieltage Großkampftage. Es müssen tausende Polizisten in Deutschland eingesetzt werden, um die öffentliche Ordnung in diesem Land nicht randalierenden Fußballfans zu überlassen. Angesichts des faktischen Ausnahmezustands an den deutschen Außengrenzen hat aber die Bundespolizei praktisch keine Reserven mehr. Die Landespolizeien müssen mögliche Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im Auge behalten. Das könnten Medien diskutieren. Müssen diese Bundesligaspieltage angesichts dieser Umstände nicht abgesagt werden? Welche Schwerpunkte sollen die Innenminister setzen? Auf die Flüchtlingskrise oder die Fußball-Bundesliga?

++ Das könnte man diskutieren. Es ist aber zu unbequem. Jeder ist zwar mitfühlend mit den Flüchtlingen, aber an der gewohnten Freizeitgestaltung soll dann doch festgehalten werden. Es kann schließlich nicht sein, dass historische Ereignisse etwas an den überlieferten Formen der Freizeitgestaltung ändern. Das dachten sich auch Kai Diekmann und die Bild. Mit ihrer Aktion „Wir helfen“ setzen sie ein famoses Zeichen an die Welt. Wir schaffen das, wenigstens in der Unterhaltungsbranche Fußball. Die Vereine der beiden ersten Bundesligen werden in den kommenden Tagen mit diesem Logo am Trikot auflaufen! Aber hallo! Das werden die Polizeibeamten zu schätzen wissen, die wegen dieser Hilfsaktion zusätzliche Überstunden schieben müssen. Vielleicht sollten die Bundesligaprofis unter dem Flutlichtgewitter der Fotografen jedem Polizeibeamten einmal nett über den Kopf streicheln? Oder als Einlaufpolizisten mit den jungen Herren das Spielfeld betreten? In voller Einsatzausrüstung? Soviel praktische Solidarität dürfen die Männer und Frauen der Bundespolizei bestimmt erwarten. Das werden auch deren Familienangehörigen zu schätzen wissen, wenn ihnen Mama oder Papa wieder einmal erklären muss, warum sie nie zu Hause sind. Oder an der Grenze zu Österreich in Dauerschichten im Einsatz sind.

+++ Nun interessiert sich die Bild nicht für die Polizisten, die helfen müssen, damit Kai Diekmann überhaupt helfen kann. Ihn interessiert die Marketingwirkung dieser Aktion. Jeder, der die Bild gekauft hat, hat jetzt seinen Beitrag geleistet, mit der historischen Situation fertig zu werden. Die Fußballer liefern dazu die lächelnden Gesichter. Schließlich hat die Bild nur noch in der Fußball-Berichterstattung den früheren Einfluss. Wenn sie den Daumen über Spieler, Trainer und Vereine senkt, hat das Wirkung. Gleichzeitig ist sie immer noch eine wichtige Medienplattform für die Vermarktung des Fußballs. Der spöttische Satz frühere Jahrzehnte, man lese die Bild nur wegen des Fußballs und nicht wegen der barbusigen Damen, ist heute schnöde Wirklichkeit. Der Sportteil ist der wichtigste Kaufanreiz. Das wissen auch die Vereine, die in den vergangenen Jahrzehnten einen beispiellosen Wandel vom biederen Verein zu modernen Großunternehmen vollzogen haben. Für sie ist die Bild unverzichtbar, um ihr Produkt zu verkaufen. Der frühere Charakter der Vereine ist schon längst reines Marketing geworden. Oder glaubt wirklich jemand noch an den Malocher-Verein aus dem Ruhrgebiet?

+++ Offensichtlich. Es gibt nämlich an diesem Wochenende eine große Mediendebatte über den Aufstand der Anständigen. Der FC St. Pauli und Union Berlin machen an dieser Aktion nicht mit. Wahrscheinlich noch andere Betriebe aus der Branche. Dazu auch das Altpapier von gestern. Repräsentativ ist das, was Christian Bommarius in der Berliner Zeitung schreibt.

„Aber zu dieser Anerkennung sind nicht ausgerechnet diejenigen verpflichtet, die seit Jahr und Tag gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit kämpfen, für die also die Anerkennung der Menschenwürde ausnahmslos selbstverständlich ist – wie zum Beispiel der Fußballverein FC. St. Pauli.“

Nun wäre es dem Image dieses Vereins auch abträglich, wenn er an dieser Aktion mitmachen sollte. Schließlich läuft ein etwas durchgeknallter Kommissar nicht ohne Grund mit dem Trikot dieses Vereins durch den Satire-Tatort aus Münster. So formuliert die taz das Problem.

„Am Dienstag hatte die Bild noch siegesgewiss vermeldet, alle Bundesligaklubs würden sich ihre Trikots mit dem „Wir helfen“-Emblem beflocken und ein gemeinsames Zeichen für eine aktive Willkommenskultur in Deutschland setzen. Im Nachhinein eine Fehleinschätzung des Springer-Verlags, der dennoch wild entschlossen scheint, den Fußball als Marketingplattform zu nutzen.“

Der Fußball ist schon lange nichts anderes mehr als eine Marketing-Plattform. Das gilt auch die Vereine, die sich um gesellschaftspolitisches Engagement bemühen. Das ist wie die Spenden von Großkonzernen zur Flüchtlingshilfe zu beurteilen. Es dient der Imagebildung. Der Beitrag aller Profivereine am Umgang mit der Flüchtlingskrise tendiert gegen Null. Ob sie mit Flüchtlingskindern einlaufen, Plakate zur Willkommenskultur aufhängen oder den Slogan „Wir helfen“ an ihr Trikot nähen. Wenn der Fußball überhaupt etwas tut, dann sind es schon immer die unzähligen Amateurvereine gewesen. Dort fanden die jungen Einwandererkinder eine sportliche Heimat. Deren ehrenamtliche Trainer, Funktionäre und engagierte Eltern haben in den vergangenen Jahrzehnten die Integration betrieben, die sich alle Profivereine wie deren Marketing-Plattform Bild nur auf die Marketingfahne schreiben.

Davon ist aber in den Medien nicht die Rede. Auch nicht von den Bereitschafts- und Bundespolizisten, die das Medienspektakel um „Wir helfen“ erst möglich machen. Wahrscheinlich müssen erst die Polizisten mit den Fußballern einlaufen, damit auch die hochbezahlten Führungsetagen in dieser Branche merken, was ihre gesellschaftspolitische Verantwortung ist. Sicher nicht das Medienspektakel um ihre Marketing-Plattformen. Sie haben gefälligst ihre randalierenden Fans unter Kontrolle zu bringen. Dann haben auch die Polizeibeamten unter Umständen wieder freie Wochenenden. Aber die Bild kann natürlich auch Freiexemplare an diese Zielgruppe verteilen. Oder der FC St. Pauli ein Transparent aufhängen. Die Medien hätten dann etwas zu berichten. Es gibt ja sonst kein Thema.


Altpapierkorb

+++ Zuerst die Personalie des Tages. Thomas Bellut ist als Intendant des ZDF wiedergewählt worden. Der Personalabbau und die Verjüngung des Publikums sind in den kommenden Jahren seine wichtigsten Aufgaben, so ist zu lesen.

+++ Immerhin hat aber niemand an der Existenz von Thomas Bellut Zweifel. Die gibt es aber jetzt bei anderen Unternehmen, die Kommunikationsdienstleistungen zur Verfügung stellen. Frauen sind Fakes. Zum Glück gibt es noch einen strukturellen Unterschied zwischen Virtualität und Realität.

+++ Oder doch nicht? In der Süddeutschen Zeitung wird deutlich, wie Digitalisierung Überwachung möglich macht. Daniel Moßbrucker hat das an einem Selbstversuch deutlich gemacht. „Das Ergebnis des Experiments hat ihn ernüchtert: "Das Netz der Daten ist viel enger, als ich erwartet hatte." Sein Rechercheweg sei sehr leicht nachzuvollziehen gewesen. Die aufgezeichneten Daten hätten den Kontakt zum Informanten sichtbar gemacht. "An einem Tag habe ich meinen Informanten zum Beispiel angerufen, aber nicht erreicht. Danach habe ich innerhalb von 20 Minuten drei SMS geschrieben, und kurz darauf ist die Datenmenge in meiner Internetleitung stark angestiegen", sagt Daniel Moßbrucker. "Über die konkreten Kanäle, die sogenannten Ports, können Experten sehen, dass ich in dieser Zeit vermutlich geskypt habe." Strafermittler müssten dann nur noch beim Telekommunikationsanbieter abfragen, wem die IP-Adresse am anderen Ende gehört. Und schon hätten sie den Namen eines möglichen Informanten. Die Standortdaten ließen außerdem Rückschlüsse auf persönliche Treffen zu.“ Das alles nur mit Verbindungsdaten, ohne überhaupt auf Inhalte dieser Kommunikation zurückzugreifen.

+++ Der Stern ist nicht die Bild. Zum Glück, muss man sagen. Er will auf andere Weise den Flüchtlingen helfen. Tue Gutes und rede darüber, ist zwar auch hier nicht zu übersehen. Aber das ist völlig in Ordnung. Stern-Mitarbeiter sind bisher nicht wie Fußballfans dadurch aufgefallen, dass sie die Bereitschaftspolizei auf den Plan riefen.

+++ Der Axel Springer Verlag plant nicht, den Mitarbeitern des Business Insider ein „Wir helfen“ Sticker auf die Kleidung zu nähen. Was der Verlag ansonsten plant, ist hier zu lesen.

+++ Einreiseverbote für Journalisten kommen offenbar groß in Mode. Jetzt auch in der Ukraine.

+++ Welche Folgen Berichterstattung haben kann? Karl Doemens hatte über eine Konferenz der SPD mit Kommunalpolitikern berichtet. Darunter auch eine Aussage des Duisburger Oberbürgermeisters zitiert. Sören Link musste jetzt diesen Satz zurücknehmen. So schilderte Doemens die Situation: „Darüber müsse offen gesprochen werden, fordern die Kommunalvertreter. Nicht jeder freilich ist so hemmungslos wie der Duisburger SPD-Oberbürgermeister Sören Link, dessen Stadt neben 4000 Flüchtlingen auch 12.500 Rumänen und Bulgaren beheimatet. „Ich hätte gerne das Doppelte an Syrern, wenn ich dafür ein paar Osteuropäer abgeben könnte“, sagt Link. Da guckt selbst Gabriel für einen Augenblick erschrocken.“

+++ Facebook ist ein großes Thema. Jetzt hat der SWR einen sinnvollen Beitrag zu der dort zu findenden Debattenkultur geleistet. „Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat gegen den Verfasser eines Facebook-Kommentars Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. Auslöser ist eine Strafanzeige des Südwestrundfunks (SWR). Auf der Facebook-Seite des ARD-Weltspiegels hatte Anfang September ein Zuschauer einen Beitrag zur Flüchtlingssituation an der serbisch-ungarischen Grenze mit den Worten kommentiert: "Dreckiges Viehzeug, wenn ich nur 24 Stunden und ein scharfes Messer kriegen würde ...." Auf dem Profilfoto des Absender stand zudem geschrieben: "Araber sind keine Menschen!!!!! Tod den Eselfickern." Daraufhin hatte die Weltspiegelredaktion des SWR Strafanzeige wegen "Volksverhetzung" gestellt. Dies war auch auf der Facebookseite des ARD-Weltspiegels angekündigt worden.“

+++ In der ursprünglichen Fassung war beim Artikel aus der Berliner Zeitung von Brigitte Fehrle als Autorin die Rede gewesen. Es ist aber Christian Bommarius. Wir bitten das Versehen zu entschuldigen.

Das Altpapier gibt es wieder am Montag.

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