Thema hoch zwei

Thema hoch zwei

Das Leistungsschutzrecht geht nach dem Schlusspfiff womöglich in eine Verlängerung und hinterlässt einigen Spielraum für Auslegungen. Außerdem: Ist der Journalismus als solcher gerade auffallend schlecht oder ziemlich gut? Ein Film über Heimerziehung wird gelobt. Und Personalien: Peter Limbourg, Jörg Pilawa, Eva Maria Michel, Franz Ferdinanz von und zu Donnersberg

Eines muss man dem Leistungsschutzrecht lassen: Selten in den vergangenen Jahren – oder ist das ein Trugschluss? – hat sich eine Öffentlichkeit, die zwar nicht groß sein mag, aber auch nicht nur aus Fachpublikum besteht, derart emotional auf einen Gesetzgebungsprozess eingelassen. Am Wochenende wurde, nachdem das Gesetz am Freitag den Bundestag passiert hatte (siehe Altpapier), der Punkt erreicht, an dem über Pairing, über die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes oder seine Einspruchsgesetzesartigkeit erregt und wahrnehmbar gestritten wurde, bei Carta etwa in den Kommentaren.

Für abschließende Beurteilungen zum Thema "Leistungsschutzrecht" ist es auch drei Tage nach der Verabschiedung des Gesetzes allerdings zu früh. Ob der Bundesrat es durchwinkt, ob er es vielleicht lässt und wie es dann weiterginge, selbst dazu gibt es verschiedene Positionen: "Kommen wird das Leistungsschutzrecht bei allem Bemühen der Verlage und bei all den heftigen Debatten, wie gesagt, nicht: Es muss den Bundesrat passieren, in dem es die rot-grün regierten Bundesländer mit ihrer Mehrheit ganz leicht stoppen können", schrieb die FAZ am Samstag. "Verhindern kann der Bundesrat das Leistungsschutzrecht zwar nicht, da es sich nur um ein sogenanntes Einspruchsgesetz handelt. Das Gesetz müsste nach einem Einspruch des Bundesrates allerdings zunächst in den Vermittlungsausschuss, wo häufig noch Änderungen beschlossen werden", schrieb Carta in einem weiteren Text am Samstag.

Entscheidende Punkte jedenfalls sind in der durchgewunkenen Fassung – ob mit kühlem Kopf, um Interpretationsfreiheit zu ermöglichen, oder aber aus brutaler Dämlichkeit der Bundesregierung, auch darüber herrscht keine Einigkeit – offengelassen worden. Ein Punkt, der einigermaßen konsensfähig ist: Rechtssicherheit ist derzeit nicht gegeben. Und auch das geht weitgehend unbestritten durch: dass Autoren wenig vom Leistungsschutzrecht haben dürften. Thomas Stadler schreibt im eben schon verlinkten Carta-Text:

"Wie es sich auswirkt, wenn ein Autor seinen Text an mehrere Verlage lizenziert hat, bleibt offen, zumal sich Schutzgegenstand und Schutzinhalt des Leistungsschutzrechts inhaltlich nicht von einzelnen Sprachwerken (Texten) abgrenzen lassen. Für Autoren/Journalisten bietet dieses Leistungsschutzrecht jedenfalls keine Vorteile."

Wie viel Verwirrung auch noch jetzt, nach der eigentlichen Klärung, vorhanden ist, kann man sehen, wenn man mal in die große weite Welt des Internets schaut (hier aus dem Englischen übersetzt):

"Bloomberg berichtet, dass 'Google die Verleger hinsichtlich des Netz-Copyrights in Deutschland besiege. GigaOm berichtet, dass ein Google-Tax-Gesetz das Parlament passiere, mit dem Lizenzgebühren für die Nutzung von Nachrichtenschnipseln fällig werden. Was so viel bedeutet wie: Niemand hat einen Schimmer."

Unterschiedliche Interpretationen eines Gesetzes sind freilich nicht unüblich, allerdings gehen die Differenzen in diesem Fall doch deutlich auseinander. Der Hauptdiskussionspunkt des Wochenendes – Freitag als Hauptdiskussionstag eingeschlossen – entzündet sich an der Frage, ob Snippets – und vor allem wie lange Snippets – nun noch ohne Lizenz verwendet werden können. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) (zitiert nach Stefan Niggemeier) jedenfalls sagt, dass "kleinste Textausschnitte" nicht vom Leistungsschutzrecht erfasst würden, bedeute, dass nicht kleinste Auszüge – also Snippets – sehr wohl erfasst würden.

Es gäbe viele weitere Stimmen zum Leistungsschutzrecht nachzutragen. Nehmen wir hier stellvertretend die prominenten von Jeff Jarvis, Journalismusprofessor, Netz- und Google-Apologet, der bei Zeit Online eine "europäische Krankheit" ausmacht. Oder die von Frank Westphal, der über die Folgen für seinen eigenen Dienst Rivva schreibt: "Dass jetzt Google der deutlichste Profiteur und deutsche Startups die deutlichsten Verlierer des heutigen Beschlusses sind, ist der Geburtsfehler dieses Gesetzes" – der sich aber zumindest nicht zum Aufhören genötigt sieht. Und die von Karsten Wenzlaff, der in einem Blogpost darauf verweist, dass nicht nur Verleger und Google Interessen haben, sondern auch

"die digitale Zivilgesellschaft eben nicht ohne Eigeninteresse (ist) – das Interesse an Kampagnen und Mobilisierung und Polarisiering ist höher als das Interesse am Diskurs. Ausgehend von einem schlecht gemachten Gesetz werden allerhand Behauptungen aufgestellt, die oft so unreflektiert wirken, dass man fast den Kopf schütteln möchte."

Und kommen wir damit auch zur Frage, wie nun, nach Spielschluss, aber vor der bevorstehenden Verlängerung, die Gesamtrelevanz des Leistungsschutzrechts einzuschätzen ist. Nimmt sich eine digitale Öffentlichkeit hier selbst wahr und verwechselt das dann mit Wichtigkeit? Dass das Thema irrelevant wäre, wäre nicht meine Meinung, im Gegenteil – aber auffallend ist schon, wie viel zu diesem Thema gerade in Blogs erscheint. Dass die Diskussion über ein das Internet betreffendes Gesetz sich selbst verstärkt, liegt im Wesen des Teilens und Weiterverbreitens: Ein Thema nahm sich hier selbst hoch zwei. Eine "Differenz in der Wahrnehmung von Wichtigkeit", zieht Wolfgang Michal in einem Kommentar unter seinem eigenen Beitrag in Erwägung.

Womit wir bei einem weitere Dauerbrenner der derzeitigen Mediendebatten wären: Empörung, auch die potenziert sich. Als vorbildlichen Empörungstext erwähnen kann man Michael Seemanns Blog:

"Während beinahe alle Verbände, Aktivisten, Experten und Wissenschaftler kein gutes Haar an den Gesetzesentwürfen zum Leistungsschutzrecht ließen, ignorierte die Presse diese Stimmen eisern und hörte nicht auf, das Gegenteil zu verkünden. Und noch schlimmer als das journalistische Totalversagen: es gab nur wenige Politiker, die sich trauten, dieser interessengeleiteten Kampagne öffentlich zu widersprechen",

schreibt er über das Leistungsschutzrecht. Man kann darüber streiten, ob das stimmt, und da hülfe wohl, hallo Kommunikationswissenschaft, nur eine Archivauswertung – die Einseitigkeit nahm jedenfalls mit der Zeit spürbar ab. Außerdem fordert Seemann, über einen Journalismus für die Zukunft nachzudenken, der "(g)egen die Verlage, gegen die Öffentlich Rechtlichen, gegen die Rechteindustrie", die Bösen also?, durchgesetzt werden müsste,  und rechnet vor, was geschähe, wüde man die Haushaltsgebühr für die Öffentlich-Rechtlichen an alle in Deutschland arbeitenden Journalisten umverteilen: "Ich bin überzeugt, dass bei dieser Verwendung wesentlich mehr unabhängiger Qualitätsjournalismus herausfallen würde, als bei der derzeitigen Verwendung." Ich hätte da eine andere Ahnung: Wir hätten wahnsinnig viele schöne Reportagen und ausufernde Podcasts.

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Johannes Kuhn von der SZ ist in seinem Blog weniger pessimistisch, im Gegenteil, er sei "für den Journalismus 'post Leistungsschutzrecht' optimistisch" – trotz des, frei zusammengefasst, Imageverlusts, den er durch die zeitweise, aber nicht durchgehend einseitige Berichterstattung und die Lobbyarbeit einiger Verlage erlitten haben könnte:

"Weil ein Großteil der Menschen differenzieren kann zwischen dem, was 'ein Verlag', was 'eine Marke', was 'eine Redaktion', was 'ein Autor' ist. Weil es irrational wäre, den Journalismus für dieses Gesetz in Sippenhaft zu nehmen. Weil es genügend Journalisten gibt, die sich weiterhin den Hintern aufreißen, um ihre gesellschaftliche Rolle zu erfüllen und dabei den höchsten Qualitätsstandards zu genügen. Weil viele von uns gerade schuften wie einst die Heizer im Bauch eines Schiffes, um den Wettlauf mit der Zeit zu gewinnen, das Metier zukunftsfähig zu machen."

Vielleicht ist es auch, Zermürbungen hin oder her, genau so: Der Journalismus ist gar nicht herausragend schlecht, sondern sogar ziemlich gut – nur fallen seine Mängel schnell auf. Für gutes Handwerk wurde am Wochenende in den Social Media etwa Sebastian Heisers Beitrag über die Auseinandersetzung über die Berliner East Side Gallery bei taz.de gelobt. Er beginnt:

"Wer tausende Menschen zu einer Demonstration mobilisieren will, der muss eine zündende Botschaft haben. Und diese Botschaft lautet: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben Bauarbeiter am Freitag damit begonnen, einen der letzten Mauerreste niederzureißen, damit dort Luxuswohnungen entstehen können. An dieser Botschaft stimmt so gut wie nichts. Aber sie zündet. Und sie wird von Journalisten inzwischen weltweit weiterverbreitet."

Und dass auch sonst von Medienmachern – auch Fernsehmachern – nicht alles so idiotisch ist, wie es von außen manchmal aussieht, lässt Frank Potente im SZ-Interview erahnen. Potente spielt in der US-Serie "Copper" (Sky, Rezension bei Spiegel Online) und sagt über das deutsche Fernsehen nicht nur nette Sachen; den ewigen Vergleich deutscher mit US-Serien aber könnte man wegen der mangelnden Vergleichbarkeit der Produktionsbedingungen vielleicht doch irgendwann mal ad acta legen. Potente:

"Es ist zuerst einmal ein Geschäft, das dann die Qualität hervorbringt. Für jede TV-Saison planen und produzieren die Networks hier zwölf Pilotfilme für neue Serien, von denen überhaupt nur fünf gezeigt werden. Der Rest geht direkt in die Tonne, bevor ihn überhaupt irgendjemandem gesehen hat."

Man stelle sich vor, die ARD würde jedes Jahr 15 nicht so gelungene "Tatorte" einfach wegwerfen. Könnte auch eine lustige Diskussion werden.

Wobei: Die Funkkorrespondenz, die ihre anspruchsvolle Leserschaft regelmäßig daran erinnert, dass man die medialen Dinge besser genau betrachtet, kritisch, aber fair, hat da einen Punkt, der vielleicht am deutschen Fernsehen doch verbesserbar wäre – und auch gar nichts kosten würde: Man könnte statt eines auch mal schlechten Fernsehfilms, soll es ja geben, auch etwas zeigen, was ebenfalls mit öffentlich-rechtlichen Geldern mitfinanziert wurde und das erwiesenermaßen gut ist, wenn auch kein Quotengarant. Zum Beispiel Michael Hanekes soeben oscarprämierten Film "Liebe". Theoretisch. Die Funkkorrespondenz:

"Was (...) gar nicht so sicher sein dürfte, ist, ob die ARD es schaffen wird, 'Liebe' im Fernsehen auf einem zuschauerfreundlichen und dem Film angemessenen Sendeplatz auszustrahlen. Wir würden uns jedenfalls nicht wundern, wenn dieser Oscar-gekrönte Film irgendwann sonntags in der Nacht gegen 0.45 Uhr auf dem in der Regel für solche Qualitätsproduktionen vorgesehenen Programmplatz des sogenannten 'Kinofestivals im Ersten' versendet wird."


ALTPAPIERKORB

+++ Die Nachrichtenagentur dapd, die gerade gerettet schien, ist wieder insolvent – siehe etwa nachrichtenagenturen-inside, Tagesspiegel, taz +++ "Wie sich dapd ändern muss", dreht newsroom die eigene Geschichte weiter +++

+++ Personal-Geschichten: Peter Limbourg von ProSiebenSat.1 sei als Intendant der Deutschen Welle im Gespräch, berichtet der Spiegel +++ Thema ist auch heute der Wechsel von Jörg Pilawa vom ZDF zurück zur ARD und die Frage, ob er daher nun auch nicht für das ZDF Specials zum 50. Geburtstag moderieren darf (BamS, TSP, SpOn, sz.de). Update: darf er nicht +++ Und: "Eva Maria Michel, die Justitiarin und stellvertretende Intendantin des Westdeutschen Rundfunks, soll den Sender kommissarisch vom 1. Mai an führen" (FAZ) +++

+++ Im Fernsehen heute und vielerorts besprochen: der ZDF-Film "Und alle haben geschwiegen" (20.15 Uhr): "Dieser Film kann mehr zum gesellschaftlichen Verständnis von Heimerziehung 'vor 1968' beitragen als ein halber Meter im heimischen Bücherregal", schreibt der Tagesspiegel +++  Auch die taz hebt auf die folgende Diskussion ab: "Die Kinder- und Erziehungsheime, meistens von den beiden Kirchen in Westdeutschland betrieben, waren Lager, Zwangsanstalten, sogar ein Arbeitslager gab es, das man sich eher in Sibirien vorstellen kann als im Deutschland der 1960er Jahre. Der Film 'Und alle haben geschwiegen' von Dror Zahavi bringt die Geschichte nun an ein Millionenpublikum, und man darf gespannt sein auf die politischen Folgen" +++ Die SZ: "Das Schicksal der – fiktiven – Luisa Keller steht in dem Film 'Und alle haben geschwiegen' für mehr als 800000 Kinder und Jugendliche, die nach Kriegsende bis in die Siebziger in westdeutschen Erziehungsheimen leiden mussten. Regisseur Dror Zahavi hat sich an das düstere Thema gewagt: das Versagen der deutschen Nachkriegspädagogik. Er beschönigt nichts, kommt ohne Voyeurismus aus: Nicht alle Schwestern sind Unmenschen, aber das System begünstigt die, denen das Quälen Spaß bereitet. Ein sehenswerter Film" +++ Und die FAZ findet: "ein stiller Film, eindrucksvoll, lang nachwirkend, weil er jede wohlfeile Entrüstung und populistisches Brandmarken vermeidet", allerdings auch ein Film, der "– man schämt sich fast, es niederzuschreiben – als Werk der Fiktion unter der Last seines ehrenwerten Anliegens verschwindet" +++

+++ Die SZ beschäftigt sich auf der Medienseite mit Börsen-, Handels- und Unternehmensjournalismus und hat drei Macher zu neuen Strategien befragt: Hans-Jürgen Jakobs, Ex-SZ, vom Handelsblatt, Frank B. Werner von Börse Online und Wolfram Weimer +++

+++ Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung bespricht die am 12. März laufenden Sat.1-Politsatire "Der Minister" über Franz Ferdinand von und zu Donnersberg, der von einem Schulfreund nach oben gehievt und anschließend wieder eingefangen wird. Und findet ihn letztlich gelungen: "Dieser Film traut seinen Zuschauern mehr zu als viele Politiker ihren Wählern" +++ Ebenfalls für die FAS hat Tobias Rüther die Reste des ZDF-Fußballstrands auf Usedom begutachtet +++

+++ Laut einer Studie, von der in der New York Times die Rede ist, beeinflusst der Ton von Diskussionen im Internet die Wahrnehmung des Themas: "Comments from some readers, our research shows, can significantly distort what other readers think was reported in the first place. But here, it’s not the content of the comments that matters. It’s the tone" – Kommentare, in denen jemand selbstsicher die Vertreter anderer Meinungen als Idioten beschimpft, tun ihre Wirkung +++

+++ Nachdem das SZ-Feuilleton kürzlich Frank Schirrmachers Buch gelobt hat (siehe Altpapier), findet es der Wirtschaftsteil nicht weniger als "Monster-Unsinn" +++

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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