Anders ist besser als besser

Anders ist besser als besser

Klischees über Holländer, Polen, Türken, Österreicher, Frauen, Dicke und Schwule: Das neue "Wetten, dass..?" mit Markus Lanz ist endlich da. Mit ungefähr 5768 "Wetten, dass..?"-Texten im Schlepptau – und die meisten Kritiker sind tatsächlich mit ein- und derselben Sendung nicht warm geworden.

"Wetten, dass..?" war am Samstagabend ein Mittelpunkt der Welt: Der Hashtag #wettendass war bei Twitter vorübergehend weltweit unter den Trending Topics. Die Sendung wurde von unzähligen Online-Livetickern begleitet, jede Bewegung der fahrbaren Couch wurde irgendwo festgehalten, jeder Witz des Witzbuchbesitzers Markus Lanz auf Auswendiggelerntheit abgeklopft; es wurde manches gut und alles ganz furchtbar gefunden, es wurde überhöht, geschmäht und parodiert, Loriot herbeizitiert und Hannelore Krafts Kleid kommentiert. Und alles live und unmittelbar. Mit dem Abspann war damit am Samstagabend schon alles Geschehene für die Zukunft festgehalten – wenn auch aus rechtlichen Gründen nicht in der Mediathek, wie das @zdf am Sonntag twitterte.

Das alles bedeutet für Journalisten: erstens die Möglichkeit, die 100 besten Tweets zu #wettendass zum Durchklicken zu veranstalten (berliner-zeitung.de), hurra! Zweitens, dass Sendungsprotokolle eigentlich schon am Sonntagmorgen kein Mensch mehr so richtig brauchte. Nur wenige Zeitungen klappern heute, am Montag, noch mit 1:0-Berichterstattung à la "Wer hat wann was gesagt und wer hat dann wie reagiert" hinterher. Gibt es auch. Andere nehmen die Echtzeit-Sendungsrezeption in ihre Kritik gleich mit auf oder finden einen anderen sog. Nachdreh.

Holger Gertz in der Süddeutschen Zeitung, zum Beispiel, schreibt: All "(d)as Aufhebens, das um das sogenannte neue Wetten, dass..? mit Markus Lanz gemacht wurde, die ewigen Interviews vorab, die Livetickerei während der Sendung", könne man "einerseits ein bisschen irre" finden. Andererseits findet er es auch selbst irgendwie nachvollziehbar, denn "(e)s ist spannend, einem Dinosaurier dabei zuzusehen, ob er sich noch einmal gegen das Aussterben wehren kann".

Immerhin wäre das Aussterben diesmal bestens dokumentiert. Als Dinosaurier wird "Wetten, dass..?" heute auch in anderen Texten beschrieben, wenn auch nicht unter Gebrauch dieses Begriffs. Dinosaurier bedeutet, dass es um eine wirklich mächtige Sache geht, die sich aber eher langsam bewegt. Passendes Bild. Endkrasse 13,62 Millionen Zuschauer schalteten erwartungsgemäß zeitweise und sicher auch aus alter Verbundenheit ein, um mal zu gucken, wie der Neue ist; da gratulierte dem ZDF selbst @prosieben. "Wetten, dass..?" gehört zur kulturellen Statik des deutschen Fernsehens.

Aber drum herum ist halt dann doch Dynamik, und jetzt kommt die Sache mit dem Aussterben. Gertz benennt mit seinem Dinosaurier-Bild einen Aspekt, der sich auch in anderen Kritiken findet: "Wetten, dass..?" wird demnach – keine übertrieben steile These – mittelfristig eine aus der Zeit gefallene Show sein. Diese Behauptung steht, vertreten von Michael Hanfeld, in der FAZ: "Hier geht es um eine in die Jahre gekommene Unterhaltungsshow und nicht um das Himmelreich."

Sie steht im Tagesspiegel vom Sonntag: "Die deutsche Fernsehunterhaltung ist bereits weiter. Sie ist besser", wiederholt Matthias Kalle dort seine These, die er jüngst im Zeit-Magazin vertrat; "'Wetten, dass..?' ist nicht mehr die Referenzgröße – sie ist jetzt nur noch eine Erinnerung an das, was Fernsehen einmal war."

Und sie steht in der Süddeutschen Zeitung, bei Gertz:

"Früher waren Kandidaten, die sich trauten, vor Millionenpublikum komische und sehr sinnlose Dinge zu tun, ein kleines Ereignis. (...) Inzwischen machen die Menschen im Billigfernsehen viel wildere Sachen, aber sie wirken nicht mehr mutig, sondern dummdreist. Außerdem sind die spannenden Wetten längst gewettet, die Inflation derer, die sich ausstellen, führt zu Überdruss, manchmal zu Überdruss gegenüber dem Menschen als solchem."

Was heute von einigen Kritikern also infrage gestellt wird, ist das ganze Konzept von "Wetten, dass..?" Selbst Markus Lanz wird heute, vom Tagesspiegel, mit einer erstaunlich destruktiven Erkenntnis zitiert: "Es geht nicht immer darum, alles besser machen zu wollen. Manchmal ist es klüger, es einfach nur anders zu machen." Anders ist besser als besser – Lanz, muss man wissen, ist eigentlich ein progressiver Geist, der das Alte um der Überwindung willen überwinden will. Schade, dass man das bei seinen Siebzigerjahre-Österreicher- und Türkenstammtischwitzen nicht merkt. Oder waren es frühe Sechzigerjahre?

"Jahrelang von Gottschalks improvisierten Moderationen, seinem heimeligen Sofa-Geplauder und Gästen-aufs-Knie-Gelange übertüncht, liegt der Kern des Show-Konzepts nun frei. Und jeder Zuschauer kann sich überzeugen: 'Wetten, dass..?' ist ein Show-Format ohne Dramaturgie und Spannungsbogen, bei dem nicht einmal das elementarste Spielprinzip funktioniert",

schreibt Bernhard Hübner von der FTD.

####LINKS####

Für zweitrangig erklärt wird so insgesamt im Nachhinein die in den vergangenen Wochen durchgekaute Frage, was sich bei "Wetten, dass..?" alles geändert haben wird; ob sich eine Couch dreht, ob alle Prominenten auf einen Haufen einlaufen oder ob es fünf oder sechs Wetten gibt. Entscheidend ist, was sich alles nicht geändert hat: nämlich zu viel, das ist der Tenor vieler Kritiken. "Wetten, dass..?" sei das alte geblieben, bereinigt um den alten Moderator, mit dem die Show bislang verwechselt wurde. Der neue Moderator wird demnach auch als größte Neuerung beschrieben; der Moderator und vor allem "das durch diesen verkörperte Menschenbild des ehrgeizigen Arbeiters", schreibt Stefan Kuzmany bei Spiegel Online:

"Fast automatisch rutscht man in den Tonfall der Sportberichterstattung, will man die erste Ausgabe von 'Wetten, dass..?' unter der Leitung des neuen Moderators beschreiben. Da waren zwar auch prominente Gäste, da waren Wetten, da war sogar eine angeblich fahrbare Talk-Couch, aber zu beobachten war vor allem Markus Lanz, ein Showmaster, der eine Unterhaltungssendung moderiert, als würde er einen Wettkampf absolvieren."

Und er leitet keinen Misserfolg daraus ab, jedenfalls keinen wirtschaftlichen:

"(W)ahrscheinlich gibt es eine große Zahl von Menschen, die sich mit seinen Tugenden identifizieren können, sind es doch die Tugenden all jener, die vorankommen wollen im Leben".

Nur, wenn man einen fleißigen Witzbuchleser statt eines manchmal ebenfalls biederen, aber doch zweifellos humorbegabten Schrägvogels wie Thomas Gottschalk in die erste Reihe stellt, kann das schon heißen, dass die Show zur Gegenwart nicht mehr viel beiträgt. "Es war wie in Lanz’ Talkshow", schreibt Ralf Mielke in Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau, was ja eigentlich dasselbe heißt – manche finden es interessant, aber relevant ist es nicht.

"Und genau wie dort ging er mit seiner nassforschen Art des Fragens, die sich investigativ geriert, und verrutschten Witzen hin und wieder auf die Nerven. Und ein paar Worte und Sätze hat Lanz definitiv überstrapaziert: 'Sensationell' – das waren die gewonnenen Wetten. 'Meine Damen und Herren' – als Nachsatz nach allem Möglichen. 'Darüber wird zu reden sein' – das ist sein Standardspruch, wenn er eben nicht darüber reden will."

Auch sonst hat sich die Lanz-Talkshow schon stark auf "Wetten, dass..?" übertragen: Es gab, statt der vollmundig angekündigten Gespräche, Gelaber und Deppenklischees über Holländer, Türken, Waldorfschüler, Frauen, Köln, Schwule, Türken, Polen und Dicke. Blogger Herm hat die besten Witze gesammelt. Ich möchte noch Österreicher ergänzen.

Was Lanz' Anwesenheit auf der "Wetten, dass..?"-Bühne menschheitsgeschichtlich bedeutet, muss fürs Erste bei all der Kritik aber noch offen bleiben, das wird sich frühestens bei der zweiten Sendung zeigen. Ein urplötzlicher Bedeutungsverfall der Show, der sich an Kritikverweigerung und Nichtbeachtung messen ließe, ist jedenfalls nicht eingetreten. Man kann die Dinge also auch positiv sehen, wenn man mag, und zum Beispiel Arno Frank zitieren, der, ebenfalls bei Spiegel Online, schreibt:

"Noch fühlt sich das alles an wie Queen mit Paul Rodgers statt mit Freddie Mercury – irgendwie falsch. Aber auch nicht nennenswert öder als früher."

Was will man denn mehr.


ALTPAPIERKORB

+++ Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf sollen für "Wetten, dass..?" im Gespräch gewesen sein.  Peer Schader und Daniel Bouhs schreiben über sie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in ihrer Liste von 20 Moderatoren unter 40, und bringen dort den korrekten Hinweis unter, "dass maximale Aufmerksamkeit nicht automatisch maximale Quote bedeutet". Womöglich wäre es "Wetten, dass..?" mit ihnen ergangen wie "Verstehen Sie Spaß?" seinerzeit mit Harald Schmidt +++

+++ Nochmal Peer Schader stellt dem ZDF nach dem neuen "Wetten, dass..?" noch elf Fragen. "Wird die Show bald in "Wetten dass..? - Der Talk' umbenannt und können wir irgendwie helfen, die störenden Wetten zu beseitigen?" +++

+++ Über Youtube-Fernsehen, auch für und aus Deutschland, berichten Welt Online, Spiegel Online und FAZ.net +++

+++ Jörg und Miriam Kachelmann geben dem Spiegel ein großes Interview, in dem sie ihr Buch vorstellen dürfen und von einer "Opferindustrie" sprechen. Medienkritik, nicht nur an Bild feat. Alice Schwarzer, sondern auch an Stern und SZ-Magazin, findet auch statt, ist aber nicht das vorrangige Thema (online eine Zusammenfassung) +++

+++ Die junge Welt ist in der Existenz als Tageszeitung gefährdet und ruft zum Abonnieren auf; siehe auch taz-Meldung +++

+++ Ein Film mit Veronica Ferres: "Lena Fauch und die Tochter des Amokläufers" läuft heute um 20.15 Uhr im ZDF. Die FAZ findet ihn mäßig gelungen bis nervig: "Pro Quartal mindestens zwei Massaker-Dramen, zuletzt bei Arte, mit einer Sechzehnjährigen als Schulkillerin (...). Was ist das für eine Fixierung? Eine Art magischen Denkens, das Befürchtete in Bildern zu bannen?" Und am schlimmsten – dies: "Ferres darf gar nicht richtig spielen, sie muss immer solche grenzdämlichen, in ihrer Korrektheit schiefen Sätze sagen und betroffen schauen. Diese Betroffenheitsregie macht einen mit der Zeit ebenso fertig wie Frau Ferres, man hat richtig Mitleid mit ihr" +++ Die taz dagegen meint: "Einzig die Klischees stören" +++

Das Altpapier stapelt sich wieder am Dienstag.

weitere Blogs

Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten - und wieder einmal die Kirche. Über drei Monate nach der ForuM-Studie.
Traupaar während der Zeremonie in St. Johannis
Am schönen Datum 24.4.24 standen in ganz Bayern Kirchen offen für spontane Segnungen und Trauungen
Lesbisches Paar
Was hat der 01. Mai mit queerer Theologie zu tun? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Queerness immer schon Teil der Arbeiter*innenbewegung war. Und weil die Lesbian Visibility Week erst gestern zu Ende gegangen ist, nimmt der Beitrag ein Beispiel aus der lesbischen Geschichte auf.