De Faetismus

De Faetismus

Verleger und Öffentlich-Rechtliche einigen sich ein wenig, im ZDF wurde eine Rundmail zum Thema Defätismus verschickt, "Interview" ist ungefähr so gut wie Jon Stewart, und eine Spiegel-Meldung landet fast wortgleich auch anderswo

Wie es so ist mit Mitteilungen, die man mit großen Teilen der Belegschaft teilt: "Die Zahnpasta, die einmal aus der Tube ist, die kriegen Sie nicht wieder zurück!"

So hat es sich die Branche dieser Tage in anderer Angelegenheit von Stefan Aust beibringen lassen. Diesmal hat die Zahnpastatube der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen in einer Rundmail an die Seinen ausgequetscht, und Der Spiegel wienert sich damit heute sozusagen die Zähne: Theveßen beklagt laut letzterem einen "zermürbenden Defätismus" und ruft dazu auf, das einander entgegengebrachte Misstrauen aufzugeben, und beschwört "Mut" und "Kampfeslust".

Ob die Notwendigkeit von Personalkürzungen, die beim ZDF ja bekanntlich besteht, unbedingt zu einer Dauer-Polonaise durch die ehrwürdigen Hallen motivieren muss, sei einmal dahingestellt. Wenn man einen Aufruf von ZDF-Mitarbeitern liest, der bei Carta steht, könnte man jedenfalls meinen: eher nicht. Eine "senderinterne Opposition" (Carta) wendet sich darin vor allem gegen die Verflechtung von Politik und öffentlich-rechtlichem Rundfunk (siehe hierzu auch Altpapierkorb, Stichwort Sabine Adler). Vorbild ist das seit einiger Zeit kreisende ORF-Protestvideo; dessen Eindeutigkeit erreicht die bislang noch etwas zahme Auflehnung freilich nicht. In der Passage mit den "(meist befristeten/wackligen) Verträgen" steckt aber schon auch ein bisschen Defätismus Sinn fürs Ökonomische.

Es gäbe dazu sicher noch einiges zu sagen, etwa dass sich der scheidende ZDF-Intendant Markus Schächter und vielleicht auch ZDF-Verwaltungsdirektor Hans-Joachim Suchan bislang nicht besonders ausführlich zu den Kürzungen äußern mussten, etwa zur Frage nach dem Verhältnis von Kürzungen im redaktionellen und im Verwaltungsbereich.

Es drängt sich aber nach Lektüre von Spiegel und Tagesspiegel auch auf, einmal die Meldungen beider miteinander zu vergleichen: Der Tagesspiegel zitiert den Spiegel (S. 129, in der Spiegel-Online-Version etwas länger) in knapp zwei Dritteln der Meldung praktisch formulierungsgleich. Schon klar, dass auch an nachrichtenarmen Sonntagen ein Loch auf einer Medienseite voll werden muss, ich habe selbst schon Spiegel-Meldungen zitiert – aber man kann es echt übertreiben mit der Nutzung des Spiegels als Nachrichtenagentur. Anbei im Vergleich:

Spiegel:
"Theveßen schreibt von einem 'zermürbenden Defätismus'. Die Fernsehleute ließen sich 'von allem Negativen beeindrucken'. Bei manchen keimten Zweifel auf, 'ob der Weg richtig ist', den der Sender eingeschlagen habe. Theveßen vermisst 'Mut' und 'Kampfeslust'. Auch 'stehen wir uns manchmal selbst im Weg'. Manche ZDF-Leute glaubten 'den ARD-Intendanten mehr als den eigenen Führungskräften'. Die Mitarbeiter sollen ihre Kräfte nicht in gegenseitigem Misstrauen verschwenden, dieses Misstrauen 'sollte sich eher gegen Stimmungsmacher von außen wenden, die nichts anderes im Sinn haben, als uns im Wettbewerb zu schwächen'. In seiner Mail kritisiert Theveßen auch, dass jahrelang der Mut zur Veränderung gefehlt habe – ein Seitenhieb auf den scheidenden Intendanten Markus Schächter. Man arbeite jetzt 'Konzepte ab, die schon vor Jahren entworfen, aber nicht umgesetzt wurden'. An und für sich mangelt es dem ZDF nicht an Geld. Angesichts eines Zwei-Milliarden-Euro-Haushalts habe es in der Vergangenheit wohl auch das Gefühl gegeben, 'man könne es weiterhin allen rechtmachen'. Zum Ende schreibt Theveßen: 'Uff, das musste alles mal raus!'"

Tagesspiegel:
"Theveßen schreibt von einem 'zermürbenden Defätismus'. Die Fernsehleute ließen sich 'von allem Negativen beeindrucken'. Bei manchen keimten Zweifel auf, 'ob der Weg richtig ist', den der Sender eingeschlagen habe. Theveßen vermisse 'Mut' und 'Kampfeslust'. Auch 'stehen wir uns manchmal selbst im Weg'. Manche ZDF-Leute glaubten 'den ARD-Intendanten mehr als den eigenen Führungskräften'. Die Mitarbeiter sollten ihre Kräfte nicht in gegenseitigem Misstrauen verschwenden, dieses Misstrauen 'sollte sich eher gegen Stimmungsmacher von außen wenden, die nichts anderes im Sinn haben, als uns im Wettbewerb zu schwächen'. Theveßen kritisierte auch, dass jahrelang der Mut zur Veränderung gefehlt habe – der 'Spiegel' wertet dies als Seitenhieb gegen den scheidenden Intendanten Markus Schächter. Man arbeite jetzt 'Konzepte ab, die schon vor Jahren entworfen, aber nicht umgesetzt wurden'. Angesichts eines Zwei-Milliarden-Euro-Haushalts habe es in der Vergangenheit auch das Gefühl gegeben, 'man könne es weiterhin allen recht machen'. Zum Ende schreibt Theveßen, der die Zitate gegenüber dem Tagesspiegel am Sonntag bestätigte: 'Uff, das musste alles mal raus!'"

Wer Überraschungen hasst, kann ohne Sorge auch noch den Mittelteil des DWDL-Textes damit abgleichen.

[+++] Und wo wir schon dabei sind, dass man Online und Print nicht zwangsläufig getrennt voneinander verstehen darf: Ein anderes hot topic des Wochenendes unter twitteraffinen Journalisten war "Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus” von Wolf Schneider und Paul-Josef Raue, eine um den "Online-Journalismus" ergänzte Version des seit Sonntag vielleicht nur noch in Anführungszeichen erhältlichen "Klassikers", das zur Kenntnis genommen zu haben dem Blogger (und v.a. Journalistikprofessor in Darmstadt) Peter Schumacher zu einem Achtungserfolg auf dem Aufmerksamkeitsmarkt verhalf. Natürlich auch deshalb, weil immer wieder Achtungserfolge einfahren kann, wer das Internet im Internet verteidigt. Vor allem aber, weil man sich von speziell Wolf Schneider, dessen Sprachkritik schon unangenehm genug ist, wirklich nicht auch noch die einzige Wahrheit über Online-Journalismus erzählen lassen muss. Schumacher:

"Der Bescheidwisser-Ton der beiden ist im neuen Kapitel Online-Journalismus noch mal eine Spur nerviger als in den alten Auflagen zu den alten Themen. In Anbetracht des Wandels im Journalismus sind vermeintliche Wahrheiten dieser Art ähnlich wie Bauernregeln: Man weiß zwar nicht, warum es um einen herum stürmt, zimmert sich aber ein paar Glaubensätze, die nicht immer eine innere Logik haben müssen. Und der Jungbauer staunt."

[listbox:title=Artikel des Tages[ZDF macht ein bisschen ORF (Carta)##ARD, ZDF und BDZV einigen sich ein wenig (taz)##Dschungelcamp als Sport betrachtet (SZ)]]

Der Jungbauer in einem staunt freilich auch über das am Freitag als deutsche Ausgabe erschienene Warhol-Magazin "Interview" (siehe Altpapier), jedenfalls über "Interview", wie es Willi Winkler am Samstag in der Süddeutschen besprach. Als Magazin nämlich, bei dessen Lektüre man Sonnenbrille sagen sollte und das man keinesfalls versteht, wenn man gerne einfach irgendeine dahergelaufene Klamotte trägt:

"Das deutsche Interview will beweisen, dass es keine Siebenmeilenstiefel, sondern nicht mehr als ein solides Paar Schühchen von Salvatore Ferragasmo oder Jimmy Choo braucht, um in Windeseile die Kluft zwischen dem roten Teppich und dem Elend in der Welt zu überbrücken."

Schön ist, dass darin Arianna Huffington zu Wort kommt, und zwar lobend über ihre Huffington-Post-Mitarbeiterin Scarlett Johansson (Foto), die laut "Interview" bisweilen Pflaster in ihren High-Heels trägt und deren HuffPo-Video aus Somalia dadurch nun auch unter ein paar mehr SZ-, "Interview"- und Altpapier-Lesern zu Bekanntheit kommt. Wäre die Huffington-Post doch sonst am Wochenende nur in viel zu wenigen Texten vorgekommen, etwa im direkt darunter stehenden Artikel über die französische HuffPo oder im Spiegel-Online-Interview mit der Gründerin über ihre Europaexpansion.

Ist aber auch ein urst geiler Satz, den Willi Winkler da im Huffington-Johansson-Gespräch in "Interview" gelesen hat: "Erst Somalia, dann flache Schuhe." Eine viel bessere Bestandsaufnahme der Charity kriegt Jon Stewart wahrscheinlich auch nicht hin.


Altpapierkorb

[+++] Wie, was mit dem Dschungelcamp ist? Hier ist es doch: Die Hollywood-Mimin Brigitte Nielsen, wettquotentechnisch das Bayern München unter den Camp-Bewohnern, alias "Tante 'Brigidde'" (KSTA), "'Big Mama' des Carpe diem" (taz), "die Gidde" (Meedia), "Omageddon" (sz.de) und "Brrr-Igitte" (SpOn), hat den Pott geholt, und SZ-Feuilletonchef Andrian Kreye schreibt auf der Medienseite seiner Zeitung, "mit dem Traum von Hollywood hat das nichts mehr zu tun. Sehr wohl aber mit Leistungssport der härteren Art" +++ "'Je mehr man reagiert, desto mehr wird man zum Verlierer. Das sieht nicht gut aus im Fernsehen' haben Sie erst vor drei Tagen den anderen erklärt", erklärt die BLZ Nielsens Erfolgsgeheimnis. Der Tagesspiegel erklärt es so: "Sie ist trashig, sie ist witzig, sie ist hart, sie ist sexy, sie zeigte keine Allüren und gut, am Ende dieses Camps vielleicht etwas Verbissenheit". Und die oben verlinkte taz so: "Da präsentierte Brigitte Nielsen die große Kunst, im Fernsehdschungel selbstbestimmt zu sein. Das macht sie zur wahren Königin" +++

[+++] Mehr Öffentlich-Rechtliches: Der ritualisierte Konflikt zwischen Verlegern und Öffentlich-Rechtlichen ist Thema der taz, denn: "Jetzt liegt ein Entwurf für eine 'Gemeinsame Erklärung von BDZV, ARD, ZDF' vor, die vor allem bei den Öffentlich-Rechtlichen zu neuen Diskussionen führen dürfte. Denn er kommt den Begehrlichkeiten der Zeitungsverleger äußert weit entgegen". Konkret heiße es darin u.a., es "sollen Textangebote der Öffentlich-Rechtlichen im Internet und bei Apps künftig so gestaltet werden dass sie 'kein funktionales Äquivalent zu den text-/fotogeprägten Angeboten der Zeitungen darstellen'". Alles unter Vorbehalt: Steffen Grimberg erwartet vorher noch einmal fliegende Fetzen +++

+++ Wie die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) in der neuen Amtsperiode personell zusammengesetzt ist, führt die Funkkorrespondenz auf +++ Sabine Adler, die vom Deutschlandfunk als Sprecherin zum Deutschen Bundestag gewechselt war, "kehrt nun zum Ende der Probezeit zum Deutschlandfunk zurück" (TSP vom Wochenende), und da wären wir wieder ganz in der Nähe des oben erwähnten ZDF-Oppositionsvideos +++ Die Hitliste der "Tagesthemen"-Kommentatoren führte laut Funkkorrespondenz-Liste 2011 Ulrich Deppendorf an +++

+++ Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, deren Medienseite am Sonntag ungewöhnlicherweise nicht "Medien", sondern "Feuilleton" hieß, was uns Schmieden der ganz heißen Eisen naturgemäß sofort auffiel (genau wie der Text unter dem Foto von Cem Özdemir auf FAS-Seite 2: "Günter Wallraff"), schickt den Begriff "geistiges Eigentum" dorthin, wo er hingehört, nämlich in die Sphäre des Unbrauchbaren: Streaming ist das Thema, Musikdienste wie Spotify und Simfy, die man nicht bezahlt, um Musik zu erwerben, sondern um einen Zugang zu ihr zu bekommen +++ Ebenfalls um Streaming geht es im heutigen SZ-Feuilleton (S. 11), dort allerdings zum Thema Film: "Was würde es bedeuten, wenn demnächst von Kinofilmen iPad-Tauglichkeit verlangt würde? Eine Bildsprache, die auf einer Riesenleinwand funktioniert und trotzdem auch bei einer Bilddiagonale von 25 Zentimetern einen Sinn ergibt, ist fast nicht vorstellbar. Den Academy-Mitgliedern wurde für die meisten Oscar-Kandidaten ein Streaming-Zugang von den Studios verweigert - weil die Filmemacher ihre großen teuren Filme nicht auf einem winzigen Bildschirm beurteilt wissen möchten" +++

+++ Facebook geht nicht nur an die Börse (siehe etwa FTD), sondern hat sich auch mit Dan Fletcher, "ehemaliger Leiter der SocialMedia-Sparte von Bloomberg", einen Journalisten ins Haus geholt (FAZ, S. 29), was zu Strategie-Spekulationen einlädt, von denen das Unternehmen selbst aber abrate +++

+++ Die SZ (S. 15) berichtet über die Einstellung der französischen Wirtschaftszeitung La Tribune +++

+++ Magazine: Die Ablösung von Rainer Schmidt als Chefredakteur von u.a. Rolling Stone und Musikexpress, von der FAS kurz kommentiert, meldet die taz +++ Publik-Forum wird 40 (taz) +++

+++ Und im Fernsehen läuft ein "Stralsund"-Krimi: TSP, FAZ (S. 29), BLZ (S. 26), SZ (S. 15), evangelisch.de +++

Das Altpapier stapelt sich am Dienstag wieder.

weitere Blogs

Drei Kreuze mit Regenbogenfarben
Körper sind ein zentrales Thema in den Passionserzählungen. Eine gute Gelegenheit, einen Blick in eine queer-theologische Körperkonfigurationen zu Kreuz und Auferstehung zu werfen.
KI macht jetzt auch Musik – und das beunruhigend gut.
Aus gegebenem Anlass: zwei Briefe an den bayerischen Ministerpräsidenten.