"This is Love": Das Leiden an einer illegalen Liebe

"This is Love": Das Leiden an einer illegalen Liebe
Der Film "This is Love" behandelt ein heikles Thema, die Pädophilie. Dennoch hatte Regisseur Matthias Glasner nicht das Gefühl, ein Tabu zu brechen. Er möchte genau hinschauen, wie immer in seinen Filmen.
19.11.2009
Die Fragen stellte Martin Schwickert.

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Frage: Chris, der ein Mädchen aus einem Bordell in Saigon freikauft, die Berliner Polizistin Maggie, deren Mann spurlos verschwunden ist – warum wollten diese beiden Geschichten zusammen erzählt werden?

Matthias Glasner: Mein Grundimpuls war, dass ich einen Film über das Leiden an der Liebe machen wollte. Eine unerwiderte oder zerstörte Liebe - das ist eines der wenigen Dinge, mit denen wir als Menschen überhaupt nicht fertig werden. Darauf hat uns die Natur nicht vorbereitet. Beide Figuren haben ihre Gefühle komplett weggeschlossen. Chris weiß, dass er sich in Kinder verliebt und mit ihnen eine Liebegeschichte haben will. Es geht ihm nicht um Sex. Chris ist kein "Kinderficker", der jemanden in die Büsche ziehen will. Da muss man genau unterscheiden. Er kann nicht anders, als sich in Kinder zu verlieben. Das ist seine Prädisposition. Die hat er sich nicht ausgesucht und er ist darüber todunglücklich. So hat Chris seine Gefühle komplett vergraben. Die Figur ist eine Metapher für die vielen Menschen, die es nicht schaffen ein erfülltes Liebesleben zu haben. Auch Maggie hat, seit ihr Mann sie ohne Erklärung verlassen hat, ihre Gefühle komplett vergraben. So begegnen sich zwei Menschen, die total verschlossen sind, sich aber gegenseitig als Opfer ähnlicher Tragödien erkennen.

"Ich hatte nicht das Gefühl, ein Tabu zu brechen"

Frage: Pädophilie ist ein Thema, dass in der Gesellschaft sofort auf breite Ablehnung stößt. Wie haben Sie sich und Ihren Film in diesem extrem tabuisierten Bereich positioniert

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Matthias Glasner: Ich habe diese Berührungsängste nicht. Für mich ist das kein Tabu. Ich sehe da genauso hin wie in alle anderen menschlichen Bereiche auch. Pädophilie ist eine Neigung, die man nicht so leicht ablegen kann. Niemand möchte sich in Kinder verlieben, weil er ja genau weiß, dass er etwas tut, was die Gesellschaft in keinster Weise akzeptieren kann. Es muss schrecklich sein, diese Gefühle zu haben mit dem Wissen, dass man niemals lieben und immer einsam sein wird. Während des Drehens hatte ich überhaupt nicht das Gefühl irgendein Tabu zu brechen. Ich merke das jetzt erst an den Reaktionen auf den Film.

Frage: Befindet sich Chris im permanenten Kriegszustand mit seinen Neigungen?

Matthias Glasner: Er versucht sie nicht zuzulassen und hinter einer gewissen Grenze zu halten. Damit vergeht sein Gefühlsleben komplett, was nie gut ist, weil es sich dann auf eine Art und Weise entlädt, die man nicht mehr unter Kontrolle hat. Es gibt am Ende eine Grenzüberschreitung zwischen ihm und dem Mädchen, die er sich nicht verzeihen kann, und Chris versucht das Geschehene in einem Akt radikaler Verneinung auszulöschen.

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Frage: Wie sollte unsere Gesellschaft mit Männern wie Chris Ihrer Meinung nach umgehen?

Matthias Glasner: Am Institut für Sexualmedizin der Berliner Charieté hat Professor Beier eine Institution geschaffen, wo Leute, die an diesem Problem leiden, hingehen können, bevor etwas passiert. Dieser präventive Ansatz ist für mich auch deshalb der richtige Weg, weil damit anerkannt wird, dass die Betroffenen sich ihre sexuelle Neigung nicht ausgesucht haben.

"Ich empfinde mit den Figuren starkes Mitleid"

Frage: Im Vergleich zu den beiden Hauptfiguren wirkt das vietnamesische Mädchen Jenjira trotz ihrer Vergangenheit als Kinderprostituierte sehr selbstbewusst. Dennoch wird sie in Ihrem Film nicht zur gleichberechtigten dritten Hauptfigur...

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Matthias Glasner: Ich war zur Vorbereitung des Films in Kambodscha und Vietnam und habe viele von diesen Mädchen getroffen. Sie haben ein große Lebensenergie und eine sehr selbstbewusste Art mit Männern umzugehen. Sie glauben, dass es ihnen besser geht als den anderen Kindern, weil sie einen IPod und mehr zu Essen haben. Es gab frühere Drehbuchfassungen, in denen Jenjiras Geschichte sehr viel stärker war. Noch während des Schnittes gab es eine Phase, in der ich dachte, dass ich eigentlich noch mehr von ihrer Geschichte erzählen sollte. Aber dann hätte das Thema Kinderprostitution deutlich dominiert und darüber müsste man einen eigenen Film machen. Wenn man sieht, wie in Saigon in irgendwelchen Kaschemmen sechsjährige Mädchen angeboten werden, kann man das nicht so nebenbei behandeln. Ich wollte das Thema Kinderprostitution einfach nicht für eine andere Geschichte benutzen. So bleibt die Figur Jenjiras hier leider mehr Geheimnis als mir lieb ist.

Frage: Wie haben Sie Lisa Nguyen, die Jenjira spielt, durch diesen heiklen Film geführt?

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Matthias Glasner: Wir haben schon ein Jahr vor Drehbeginn nach einer geeigneten jungen Schauspielerin gesucht und ich hätte das Projekt auch abgeblasen, wenn wir nicht ein Mädchen gefunden hätten, mit dem wir das verantwortlich machen konnten. Lisa war beim Anfang der Dreharbeiten elf Jahre alt. Sie ist ein sehr kluges Kind, das sehr weit in seiner Entwicklung ist. Sie ist in der Lage, sich neben sich zu stellen und sich selbst zu beurteilen. Ich habe ihr die ganze Lebensgeschichte von Jenjira erzählt und Lisa hat sie wie eine Buchfigur verstanden. Während der Dreharbeiten habe ich nie gefragt: Was würdest du tun? Es ging immer um die fiktive Figur, die Lisa - im ganz wörtlichen Sinne - gespielt hat.

Frage: Gegenüber "Der freie Wille", der von einer gewissen analytischen Kälte durchdrungen war, wirkt "This is Love" in visueller Hinsicht und in seinem Umgang mit den Figuren sehr viel zärtlicher...

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Matthias Glasner: Das liegt daran, dass ich überhaupt keine Aggressionen gegenüber den Figuren habe. Das war bei "Der freie Wille" anders. Zu dem Vergewaltiger, den Jürgen Vogel damals spielte, hatte ich sehr zerrissene Gefühle. In diesem Film empfinde ich mit den Figuren ein sehr starkes Mitleid. Liebeskummer ist für mich selbst immer ein wichtiges Thema gewesen. Das hat mich schon zweimal in meinem Leben dermaßen umgehauen, dass ich für Jahre lahm gelegt war. Ich wollte die Figuren streicheln und warm halten. Ich betrachte sie nicht distanziert und analytisch, sondern wollte ihnen wenigstens in meinem Film mit der Musik, der Kamera und der Bildgestaltung ein Umfeld bereiten, in dem sie sich aufgehoben fühlen.