Kaum Prognosen für die Zukunft

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Die Folgen moderner Biotechnologien sind oft schwer abzuschätzen.
Kaum Prognosen für die Zukunft
Technikfolgenabschätzung ist heute ein schwieriges Geschäft
Die neuen Biotechnologien werden die Zukunft der Menschen radikal verändern. Aber wie genau, weiß niemand. Deshalb nehmen Experten den Verlauf öffentlicher Debatten unter die Lupe.

Wer heute das Leben der Menschen in der Zukunft voraussagen will, hat keinen leichten Job. Vor allem, wenn es darum geht, die Folgen von synthetischer Biologie, Gen-, Bio- oder Nanotechnologie für die Gesellschaft realistisch abzuschätzen. Denn die Bandbreite reicht von paradiesischen Erwartungen bis zu apokalyptischen Ängsten. 

"Es gibt heute einfach viel mehr Optionen"

"Die Zukunft ist sehr viel offener geworden", sagt der Philosoph und Physiker Armin Grunwald. Der Professor am Karlsruher Institut für Technologie begründet das so: "Es gibt heute einfach viel mehr Optionen und Wechselwirkungen." Für seine Arbeit folgert er: "Jedes Denken in die Zukunft hinein wird schwieriger. Das Wort Prognose verwenden wir praktisch gar nicht mehr". Statt von "der Zukunft" spricht Grunwald lieber von möglichen "Zukünften".

###mehr-artikel### Die derzeit "größte ethische Frage" sei die nach der Zukunft der Natur des Menschen angesichts der bio-technischen "Aufrüstung". Wie wird sich unser Menschenbild verändern, wenn Biologie und Ingenieurskunst sich immer mehr verknüpfen? In der synthetischen Biologie entwickeln Wissenschaftler nicht in der Natur vorkommende biologische Systeme. Sie designen Moleküle oder ganze Zellen und fügen sie in lebende Organismen ein, um diese mit neuen Eigenschaften auszustatten. Das soll zur Entwicklung von bahnbrechenden Medikamenten und Impfstoffen, aber auch von Biobrennstoffen führen.

Grunwald vermutet, dass es bei der ethischen Debatte über dieses neue Forschungsfeld kein hartes "KO-Argument" wie beim weltweit geächteten reproduktiven Klonen von Menschen geben wird. Hier stünden "nur weiche Argumente" anthropologischer oder theologischer Art zur Verfügung. Dies sei auch viel vager als die Technikfolgenabschätzung auf dem Feld der Energiewende. Denn da gehe es um konkrete technische Anlagen, die auf ihre Nachhaltigkeit, auf Emissionen und ihren Ressourcenverbrauch hin bewertet werden könnten, um ein intelligentes Stromnetz ("smart grid") und neue Modelle des Energiesparens. Dazu könne man "harte, belastbare Zahlen" liefern.

Technik hat immer auch "eine dunkle Seite"

Dagegen sei bei modernen Biotechnologien alles viel spekulativer. "Oft ist ganz unklar, was die wirklich bringen", sagt Grunwald. Es gebe immer Wissenschaftler, Wissenschaftsmanager oder Wirtschaftsvertreter, die gleich mit "paradiesischen Vorstellungen" ankämen. Technik habe jedoch "immer auch eine dunkle Seite" und die werde von Erfindern und Befürwortern nicht gerne erwähnt.

###mehr-links### Den Technikfolgenabschätzern bleibt hier laut Grunwald nur, den Debattenverlauf zu beurteilen. "Das ist vielleicht für manche Wünsche zu wenig. Aber ich glaube, mehr geht nicht, weil wir noch in einem so spekulativen Stadium sind", sagt Grunwald, der Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag ist.

Der Wiener Biologe Markus Schmidt hat die bisherige Debatte über die synthetische Biologie eingehend untersucht. Der Gründer der Firma Biofaction, die sich mit Technologiefolgenabschätzung befasst, kann dennoch kein klares Fazit ziehen, wie sich das Image dieses neuen Forschungsfeldes entwickeln wird: "Es ist gegenwärtig schwierig, zu prognostizieren, wohin der öffentliche Diskurs geht. Eine Glaskugel haben wir nicht", sagt Schmidt.

Risikendebatte statt Meinungsmache

Es sei allerdings auffällig, dass die deutsche Bundesregierung in ihrem Strategiepapier 2020 zur Biotechnologie die synthetische Biologie zwar beschreibe, aber den Begriff selbst kaum verwende. Grund sei wohl "Angst vor einer öffentlichen Diskussion", sagte Schmidt. Er vermutet, dass die Protestphase gegen die synthetische Biologie erst noch kommen wird. Schmidt sprach kürzlich auf einer Heidelberger Fachtagung über die Wahrnehmung von Risikotechnologien in der Öffentlichkeit. 

Möglicherweise blüht der synthetischen Biologie ein ähnliches Schicksal in der öffentlichen Debatte wie der "Grünen Gentechnik". Der Heidelberger Sprachwissenschaftler Marcus Müller untersuchte dazu die Presseberichterstattung in Deutschland über zwei umstrittene politische Entscheidungen - die Genehmigung, die Gen-Kartoffel Amflora für Testzwecke anzubauen und das Anbauverbot für den schädlingsresistenten Mais MON810 des US-Agrarkonzerns Monsanto. Insgesamt 251 Presseberichte wertete er aus. Danach wurden in der Debatte 1562 Politiker zitiert, gefolgt von 228 Sprechern von Nichtregierungsorganisationen und nur sechs Wissenschaftlern.

Müllers Fazit: Forscher müssten "vieles stärker selbst erklären". Sonst werde ihnen die Debatte über die Risiken aus der Hand genommen - und zwar in einem Meinungsbildungsprozess, der von politischen und bioethischen, aber kaum von wissenschaftlichen Argumenten geprägt ist.