Die Reform islamischer Theologie beginnt in Deutschland

Vorlesung zum Thema Islamisches Recht bei Professsor Mouhanad Khorchide in Münster
Foto: epd-bild/Christopher Clem Franken
Vorlesung zum Thema Islamisches Recht bei Professsor Mouhanad Khorchide in Münster.
Die Reform islamischer Theologie beginnt in Deutschland
Vor drei Jahren erst empfahl der Wissenschaftsrat der Bundesregierung die Einrichtung islamisch-theologischer Studiengänge an deutschen Unis. Seitdem wurden in einer vorher selten gesehenen Schnelligkeit an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Münster-Osnabrück, Tübingen sowie Frankfurt-Gießen Zentren für Islamische Theologie eingerichtet. Hinzu kommen die Islamischen Studien an den Pädagogischen Hochschulen Karlsruhe, Ludwigsburg und Weingarten. Dort findet alles andere als ein Luststudium statt, denn Experten schätzen, dass es in Deutschland einen Bedarf von etwa 1.000 neuen Imamen und rund 2.000 bis 3.000 neuen Lehrern für Islamischen Religionsunterricht gibt. Eine gewaltige Bildungs-Aufgabe.

Tim Sievers hat es geschafft: Er hat einen der begehrten Studienplätze für Islamische Theologie in Frankfurt am Main ergattert. Der Run auf das neue Fach ist groß. Dabei wird den jungen Studenten einiges abverlangt. "Wir müssen zwei Jahre Arabisch lernen. Hinzu kommt eine weitere Islamsprache, entweder Türkisch-Osmanisch oder Persisch. Wir müssen uns in den Grundlagen von Koranexegese, Hadith-Wissenschaft, systematische Theologie, islamische Geschichte und islamisches Recht auskennen", zählt der junge Mann auf.

###mehr-links###

Tim Sievers ist einer von über 30 Stipendiaten, die von der Türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion, kurz Ditib, finanzielle Unterstützung erhalten. Die Ditib ist mit Abstand die größte muslimische Gemeinschaft in Deutschland. Damit haben die jungen Studenten aber noch keine Jobgarantie. Denn bisher wurden die über 800 Ditib-Moscheegemeinden ausschließlich von Imamen aus der Türkei betreut, die in der Regel weder Deutsch können noch sich mit der deutschen Kultur auskennen und zudem nach wenigen Jahren wieder in die Türkei zurückkehren. Dass wird in naher Zukunft auch nicht anders, erklärt Taner Yüksel, Leiter der Abteilung Bildung und Forschung bei Ditib: "Wir haben hier noch nicht in dem Maße die islamische Theologie, wie sie notwendig wäre, um alle Gemeinden damit zu versorgen."

Das akademische Studium bedeute eben nicht, dass die Islamische Theologie automatisch gute Imame hervorbringt, bestätigt auch Student Tim Sievers. Es fehle noch die zweite praktische Ausbildungsphase. "Man muss die Koranrezitation beherrschen, ein Totengebet leiten oder eine Freitagspredigt halten können. Aus diesem Grund sind wir auf die Verbände angewiesen, dass es vielleicht eine Art islamisches Priester-Imam-Seminar geben wird", hofft der junge Akademiker, der selbst allerdings eher eine islamwissenschaftliche Karriere anstrebt.

Das Ursprungsland des Protestantismus wird zum Kernland freier islamischer Theologie

Immerhin, im nächsten Jahr soll eine Art erstes eigenes Ditib-Predigerseminar in Köln eröffnet werden, verspricht Taner Yüksel. Aber man könne nicht in wenigen Jahren alles auf einmal stemmen. Es sei eben eine allmähliche Entwicklung. Die allerdings ist von außen betrachtet als geradezu rasant zu bezeichnen. Immerhin sind innerhalb kürzester Zeit vier Zentren für Islamische Theologie gegründet worden. Jetzt komme es erst einmal darauf an, eine völlig neue Art akademischer muslimischer Bildung zu organisieren, sagt der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster, Mouhanad Khorchide.

###mehr-artikel###

"Wir hatten ein internationales Kolloquium mit mehreren Institutionen aus islamischen Ländern, von der Türkei bis Ägypten. Alle haben gesagt: Ihr stellt hier Fragen, die wir uns nicht zu stellen trauen. Wir leben in Kontexten, die sehr restriktiv sind. Ihr treibt es voran", erklärt Khorchide. So paradox es klingen mag, aber gerade das Ursprungsland des Protestantismus könnte 500 Jahre nach Beginn der lutherischen Reformation zum Kernland einer neuen so noch nie dagewesenen freien islamischen Theologie werden.

"Wir haben in Münster ein vierjähriges Projekt für einen historisch-kritischen Korankommentar. Das ist Pionierarbeit! Zum ersten Mal versucht man, den Koran in seinen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen Rahmenbedingungen des 7. Jahrhunderts zu lesen", erklärt Khorchide. Die Frage ist nur, ob diese historisch-kritische Herangehensweise Bestand haben kann. Khorchide selbst wurde jüngst von konservativen Muslimen angefeindet, weil er einen "Islam der Barmherzigkeit" lehren möchte. Die Islamische Theologie in Deutschland wird von so genannten Beiräten begleitet, in denen neben staatlichen Vertretern allein Mitglieder konservativer islamischer Verbände sitzen, die aber höchstens 20-30 Prozent aller Muslime in Deutschland repräsentieren.

Geht der Glaube durch zu viel Wissenschaft verloren?

Für den Islamreferenten bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Friedmann Eißler, ist dies eine schwierige Konstruktion. "Wir haben hier wirklich das Grundproblem, dass die Mehrheit der Muslime, die säkulare Einstellungen bevorzugen, nicht organisiert sind und sich hier nicht wiederfinden. Der Staat kommt nun den Muslimen entgegen, indem er diese Beiräte etabliert. Es ist eine staatliche Brücke, manche sagen auch Krücke, um eben diese Islamische Theologie in Deutschland möglich zu machen", erklärt Eißler.

Der Islamexperte versteht, dass konservative Muslime auch Angst haben, ihr Glaube könne bei zu großer Wissenschaftlichkeit verloren gehen. Eine ähnliche Diskussion gab und gibt es ja auch bis heute innerhalb des Christentums. Nur: Will die Islamische Theologie Wissenschaft des 21. Jahrhunderts sein, so darf sie eben auch vor ihrer Heiligen Schrift, dem Koran, nicht Halt machen. Eißler: "Ich gebe zu, dass die christliche Theologie den Vorteil hat, dass sie von vornherein geschichtlich denken musste. Das Alte und das Neue Testament sind aufeinander bezogen. Hier reden Menschen über ihren Glauben. Das ist im Koran anders! Der Koran spricht sich selbst als Wort Gottes aus. Diese Schwierigkeit ist gegeben, aber das können wir den Muslimen nicht abnehmen."