Fiskalpakt gleich Sozialabbau?

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"Future ist just another word for nothing left to believe", würde Janis Joplin heute singen.
Fiskalpakt gleich Sozialabbau?
Die eindeutige Abstimmung im Parlament täuscht. Zwar stimmte der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit für den europäischen Fiskalpakt und den 700 Milliarden Euro großen Rettungsschirm ESM - doch Politiker, Aktivisten und Sozialverbände fürchten weiterhin einen rigiden Umbau der sozialen Landschaft: Der Pakt verpflichte alle beteiligten Staaten zu einem enormen Schuldenabbau, der zwangsläufig zu einem massiven Sozialabbau führen müsse.

Während drinnen im Bundestag über den Fiskalpakt abgestimmt wurde, demonstrierten auf der Berliner Reichstagswiese einige hundert Bürger. Für Alexis Passadakis vom globalisierungskritischen Netzwerk attac ist klar: "Die mit dem Fiskalpakt verbundene Kürzungspolitik drückt die europäische Ökonomie immer tiefer in die Rezession und heizt Verarmungsspiralen an." Der Fiskalpakt erzwinge ein Sparverhalten, das für eine ausgewogene Bildungs-, Arbeits- oder Sozialpolitik nicht mal Spielraum lässt. Auch nach der Zustimmung des Bundestages und in dieser Woche des Wiener Parlaments dürfte daher der soziale Protest in Europa fortschreiten.

Auch in Deutschland, meint Axel Troost. "Wir wissen, dass die herrschenden Eliten nicht bei der Bankenrettung oder bei den Unternehmenssubventionen sparen werden, sondern bei der Rente, bei den Schulen und bei der öffentlichen Infrastruktur." Dies kritisiert der Ökonom, linke Bundestagsabgeordnete und Beirat der gewerkschaftlichen Arbeitslosenbetreuung "Dau wat" in Rostock als "asozial". Troost warnt vor bröselnden Schulgebäuden, leck geschlagenen Abwassersystemen, einer schlechten Schul- und Hochschulbildung sowie vor tiefen Schlaglöchern auf unseren Straßen.

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Auch in Kirchen und Sozialverbänden herrscht Verunsicherung. Die EKD will sich "zu diesem großen Thema jetzt nicht generalisierend äußern", so ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), auch Diakonie und der Sozialverband VdK halten sich bedeckt. Offensiv reagiert dagegen die vor allem in Ostdeutschland stark präsente Volkssolidarität. "Wir befürchten, dass der Fiskalpakt zu Lasten der Sozialsysteme geht - zu Lasten der Beschäftigten, von Rentnern, Arbeitslosen und Familien mit Kindern", warnt Tilo Gräser vom Bundesverband der Volkssolidarität in Berlin. Der Sparkurs dürfte sich "am stärksten" im Gesundheitsbereich, in der Alterssicherung, in der Arbeitsförderung sowie im Bildungsbereich bemerkbar machen. Die Bundesregierung plane bereits Kürzungen bei den Zuschüssen.

Vertrag auf ewig

Bereits 1995 hatten sich die Regierungen der späteren Euroländer im Vertrag von Maastricht auf eine niedrige Schuldenobergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und eine maximale jährliche Neuverschuldung von drei Prozent des BIP verständigt. Angesichts der Eurokrise - die eigentlich eine Staatsfinanzierungs- und Bankenkrise ist - schnallten die EU-Staaten den Gürtel enger: Der Fiskalpakt soll nun nahezu unumkehrbar festschreiben, dass die Unterzeichnerstaaten jährlich nur noch 0,5 Prozent des BIP an Schulden aufnehmen dürfen.

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Im März wurde der Europäische Fiskalpakt schließlich von allen EU-Staaten außer Großbritannien und Tschechien unterzeichnet. Um in Kraft zu treten, bedarf es noch der Zustimmung aller Parlamente. Scheitern könnte der Pakt ebenfalls am Bundesverfassungsgericht. Kläger sehen im Fiskalpakt einen Vertrag "auf Ewigkeit". Ein solcher bedürfte möglicherweise einer Volksabstimmung.

Vor allem in Irland, Portugal und Griechenland, die unter dem Euro-Rettungsschirm stehen, zeigt die aggressive Austeritätspolitik, also der abrupte Schuldenstopp ohne Rücksicht auf soziale Bremsspuren, bereits heftig Wirkung. Spanien und Italien gelten den Finanzakteuren ebenfalls als Wackelkandidaten. Auch dort greift der typische Dreifach-Mechanismus: Einsparungen beim öffentlichen Dienst, Kürzungen der Renten und Aufweichung des Arbeitsrechts.

Deutsche Schuldenbremse wirkt schon

Der Fiskalpakt soll die EU-Länder erst zu einer Vollbremsung zwingen, die Deutschland schon vollzieht - mit einer noch engeren Defizitobergrenze, die im Regelfall nur noch eine minimale Neuverschuldung von 0,35 Prozent des BIP zulässt. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verbietet zugleich den Bundesländern, ab dem Jahr 2020 neue Schulden aufzubauen. Bis dahin müssen sie ihre Defizite auf Null reduzieren. Einige Bundesländer haben eigene Schuldenbremsen in ihren Verfassungen verankert. Die Lage der davon abhängigen Kommunen wird nur durch eine Reihe von Maßnahmen für Alte, Behinderte und Kinder gemildert, welche die Bundesregierung in Aussicht stellte, um die Bundesländer zur Zustimmung zum Fiskalpakt zu überreden.

Welch soziale Unwucht sich insgesamt auftun wird, kann heute noch nicht abschließend beurteilt werden. Angesichts der vom Export angetriebenen guten Konjunktur sind in Deutschland die Sozialkassen zurzeit prall gefüllt. Fiskalpakt und Schuldenbremse werden ihre möglicherweise verheerende soziale Wirkung daher erst in der wirtschaftlichen Krise entfalten können. Doch die nächste konjunkturelle Delle zeichnet sich bereits ab.

Dabei ist die aggressive Austeritätspolitik keineswegs alternativlos. Unter Ökonomen ist es durchaus umstritten, wie hoch sich Staaten verschulden dürfen. Und selbst wenn der Fiskalpakt tatsächlich in Kraft treten sollte, ist Sozialabbau nie alternativlos. Während Deutschland auf die vermeintliche Tugend des Sparen-Sparen-Sparen setzt, um öffentliche Haushalte und Wirtschaft anzukurbeln, erhöht Frankreich Steuern sowie Sozialabgaben bei Unternehmen und Besserverdienern, die es sich leisten können. Frankreich kann zum Vorreiter eines sozialen Europas werden.