"Die 'Bild'-Macher haben ein massives Problem"

Foto: dpa/Tobias Kleinschmidt
"Bild" war schon immer für plakative Titel zu haben, wie dieses Plakat vom September 2011 am Axel-Springer-Hochhaus in Berlin demonstrierte.
"Die 'Bild'-Macher haben ein massives Problem"
Die "Bild"-Zeitung feiert 60. Geburtstag. Nach dem Vorbild englischer Boulevardzeitungen gründete Axel Springer dieses Blatt. Am 24. Juni 1952 erschien die erste "Bild"-Zeitung mit einer Auflage von knapp 500.000 Exemplaren. Wohin die "Bild"-Zeitung sich in Zukunft entwickeln wird, darüber spricht der Journalistikprofessor Stefan Heijnk von der Hochschule Hannover im Interview.

Auflage und Bedeutung des Blattes haben sich seit der Gründung stark verändert. Zwischenzeitlich lag die Auflage bei etwa fünf Millionen, mittlerweile sank die Anzahl der verkauften Exemplare auf rund 2,5 Millionen. Immer wieder war in der Geschichte des Boulevardblattes die Berichterstattung massiv umstritten. In den vergangenen Monaten sorgten die Artikel zur Affäre um Ex-Bundespräsident Christian Wulff für viel Aufregung – aber auch für Anerkennung.

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Herr Heijnk, wie hat sich die Bedeutung der "Bild"-Zeitung als reines Boulevardblatt und Schlagzeilenmacher verändert, ist sie jetzt eher als eine klassische Tageszeitung in der Medienlandschaft anzusehen?

Heijnk: Ganz bestimmt nicht. Ich erinnere einfach an die jüngste Verleihung des Henri-Nannen-Journalistenpreises. Da haben  Hans Leyendecker und zwei Kollegen von der SZ die Annahme verweigert, weil sie nicht gemeinsam mit den "Bild"-Kollegen ausgezeichnet werden wollten. Allein daran erkennt man schon die verschiedenen Positionen im Print-Journalismus. Auf der einen Seite beispielsweise Spiegel und SZ - und auf der anderen Seite nach wie vor das Boulevardblatt "Bild". Da gibt es aus meiner Sicht keine Annäherung, zumindest nicht in dem Sinne, dass man behaupten könnte, "Bild" werde in der Branche als Qualitätsmedium akzeptiert. Da gibt es nach wie vor unterschiedliche Welten – definitiv.

Das heißt also, dass dieser Image-Wechsel, der rund um die Wulff-Berichterstattung zu sehen war, nur kurzfristig war oder was ist geschehen, dass diese Entwicklung daraus entstanden ist?

Heijnk: Ich sehe da keinen Image-Wandel. Man muss schon genau auf die Geschehnisse schauen. Der Spiegel hat die Geschichte damals sozusagen aufgerissen. Nachgefasst hat dann allerdings die "Bild"-Redaktion. Dann gab es ein sehr unverständliches Hin und Her, verknüpft vor allem mit dem Wutanruf von Wulff auf dem Anrufbeantworter von Kai Diekmann in der "Bild"-Redaktion. Der Anruf ist meines Wissens nirgendwo im Original-Ton zu hören gewesen oder im genauen Wortlaut abgedruckt worden. Vermutlich hätten wir da sachdienliche Einblicke in das Binnenverhältnis zwischen Wulff auf der einen Seite und der "Bild"-Redaktion, stellvertretend dafür Kai Diekmann als Chefredakteur, auf der anderen Seite bekommen.

Solche Formen der Instrumentalisierung beziehungsweise Inszenierung sind nicht allein, aber häufig verknüpft mit den Praktiken der "Bild"-Redaktion. Man denke nur an die Berichterstattung im Fall des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg oder an Thüringens Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus, der kurz vor der Landtagswahl 2009 in einen tödlichen Skiunfall verwickelt war. 

"Journalismus ist hier eher ein Instrument zur Markenführung"

Es gibt massive Versuche von der "Bild", sich zu verändern. Gibt es denn da wirklich Tendenzen, dass sie ernsthaft einen Image-Wechsel vollzieht?

Heijnk: Gibt es da wirklich "massive" Versuche? Erst einmal glaube ich nicht, dass ein Image-Wandel intendiert ist. Klar ist, die Chefredaktion arbeitet daran, die Marke "Bild" in der Repräsentation seriöser aufzustellen, wenn man so will: zu seriörisieren. Aber wenn man das Blatt mal ganz einfach in die Hand nimmt und eine SZ oder eine Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) daneben legt, dann sind das schlicht unterschiedliche Welten – das ist schon grafisch so, aber auch in der Themensetzung. Ich glaube nicht, dass der "Bild"-Chefredakteur oder auch die "Bild"-Marken-Verantwortlichen in dieser Hinsicht wirklich einen Image-Wandel wollen.

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Sicherlich heften sie sich gern ans Revers, dass sie öffentlich-relevanten Journalismus anbieten. Und darin sind sie zum Teil auch erfolgreich. Wobei man kritisch anmerken muss, die Art und Weise wie "Bild" gerade politische Themen spielt, wie sie sich dabei positioniert, wie sie versucht, Meinung zu machen, dass hat schon eine eigene Linie: Journalismus ist hier eher ein Instrument zur Markenführung, es geht primär um die Pflege eines publizistischen Images, dann erst um Journalismus.

Wie sehen Sie denn die Chance, dass die "Bild" im Verhältnis zu den Online-Magazinen, die immer mehr und stärker werden, sowie ihrer eigenen Berichterstattung im Internet als Print-Ausgabe bestehen kann?

Heijnk: Das ist eine spannende Frage, die sicherlich auch die "Bild"-Macher umtreibt. Dazu muss man sich nur einmal anschauen, wie sich die verkaufte Auflage entwickelt. Diese bewegt sich rapide abwärts – wie auch für die Branche insgesamt. Aktuell sind es für die "Bild" jetzt gut 2,5 Millionen Exemplare täglich in der verkauften Auflage. Aber es ist noch gar nicht so lange her, da waren es stabil über 3 Millionen Exemplare. Wenn man also die jüngere Vergangenheit betrachtet, dann hat die "Bild"-Zeitung in der verkauften Auflage sehr stark verloren. Im Zehn-Jahres-Trend ist der Rückgang noch einschneidender. Da ist es dann auch nicht verwunderlich, dass Chefredakteur Kai Diekmann sich seit einigen Jahren auf die Reichweite der Marke "Bild" als Kennziffer konzentriert. Da sieht es relativ stabil aus. 

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Letztendlich fußen die Marke und ihr wahrgenommener publizistischer Einfluss jedoch auf der Print-Ausgabe. Wenn wir jetzt einmal den gegebenen Trend fortschreiben und konstruieren, dass die Print-Ausgabe weiter stark schrumpft, dann haben die "Bild"-Macher ein massives Problem. Es stellt sich dann schon die Frage, ob "Bild" in den digitalen Varianten rechtzeitig so weit entwickelt sein wird, dass sie auch weiterhin bestehen kann. Sollte die Print-Ausgabe also weiter stark verlieren, bauen sich für die "Bild"-Zeitung viele Fragezeichen auf. Das ist eine spannende Entwicklung. Naürlich hat der Axel-Springer-Verlag diese Herausforderung erkannt.

Nicht ganz ohne Grund werden Kai Diekmann und Springer-Marketingchef Peter Würtenberger gemeinsam mit Martin Sinner, Gründer der Preisvergleichsplattform idealo, ins Silicon Valley geschickt, weil sie natürlich eine eigene Kompetenz mit Blick auf die künftigen Digitalgeschäfte aufbauen sollen. Ich nehme ihnen auch ab, dass das nicht allein eine Markeninszenierung ist, sondern sie sich wirklich Eindrücke verschaffen wollen, um das Print-Geschäft in die digitale Zeit, die längst angebrochen ist, zu überführen. Wenn die Zahlen stimmen, gibt es ja bereits ganz ordentliche Ansätze, die "Bild"-App beispielsweise soll angeblich täglich 110.000 Mal heruntergeladen werden. Im Vergleich mit den Exemplaren, die am Kiosk verkauft werden, ist der Anteil aber natürlich immer noch verschwindend gering. Es gibt da also viel zu tun. Und es bleibt eine echte Herausforderung ein Print-Geschäft, das schwindet, durch ein Digital-Geschäft aufzufangen – nicht nur für die "Bild", auch für viele andere Zeitungen.

"Die Branche steht da, wie gesagt, vor einer großen Herausforderung"

Wird die "Bild" weiter als Boulevard-Zeitung existieren oder wird sie eine andere Form von Zeitung werden müssen: Wo liegt die Zukunft?

Heijnk: Wenn ich das wüsste, dann würde ich beim Vorstand anklopfen und sagen, ich habe die Lösung für euch. Das weiß natürlich niemand so genau. Die Branche steht da, wie gesagt, vor einer großen Herausforderung. Wo die "Bild"-Zeitung ihre Zukunft finden wird, ist meiner Meinung nach offen. Die Strategie ist hier deutlich eine Markenstrategie: Die Zeitung ist Instrument der Markenpflege, Journalismus ist Mittel zum Zweck. Das ist ein grundsätzlich anderer Ansatz. Als Professor für Journalistik bin ich Anhänger und Verfechter der journalistischen Grundfunktion, namentlich Öffentlichkeit zu schaffen, Schlaglichter auf öffentlich-relevante Vorgänge zu werfen, mit dem primären Ziel, zu informieren und zu kritisieren. Das macht die "Bild"-Zeitung zwar auch, allerdings primär mit dem Ziel, die eigene Marke zu pflegen.

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Gehört es ihrer Meinung nach zu Marken-Pflege dazu, dass Kai Diekmann und seine Stellvertreter sich nach außen besonders seriös darstellen?

Heijnk: Absolut. Wenn man sich Nikolaus Blome oder auch Kai Diekmann anschaut und wie sie sich in Interviews positionieren, dann transportiert sich schon: Hier repräsentieren eloquente Köpfe ihr Blatt. Da überlassen sie nichts dem Zufall. 

Politiker und Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, sagen immer wieder, die "Bild" hat eine große Macht, dagegen können wir uns nicht stellen – wird dieser Eindruck bestehen bleiben? 

Heijnk: Das hängt auch von den Politikern ab. Die zugeschriebene publizistische Macht der "Bild"-Zeitung wird gerade bei Politikern als sehr stark empfunden, ob zurecht oder nicht, ist da gar nicht so sehr das Thema. In dieser empfundenen Zuweisung publizistischer Macht ist die "Bild"-Zeitung ein relevanter Faktor im politischen Raum. Das wird so bleiben, solange sich die "Bild" so gekonnt inszeniert, wie das bislang der Fall ist, solange sie ein breites Publikum erreicht und solange Politiker an den Einfluss der "Bild"-Zeitung glauben. Wenn man allein die verkaufte Auflage betrachtet, die ich für ein hartes Trendkriterium halte, muss man einfach sagen: Substanziell ist diese publizistische Machtzuweisung immer weniger begründet und deshalb schwer zu verstehen.