TV-Tipp: "Spurlos in Venedig"

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6. Dezember, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Spurlos in Venedig"
Ein mysteriöser Schatten im Wasser, ein Mann auf der Flucht vor seiner Vergangenheit und ein Kind in tödlicher Gefahr: "Spurlos in Venedig" verwebt Schuld, Rache und Mafia-Mythen zu einem düsteren Thriller, in dem nichts ist, wie es scheint.

Würde jetzt auch noch das berühmte Cello-Motiv aus "Der weiße Hai" erklingen, wäre die Illusion perfekt. "Spurlos in Venedig" ist ein Thriller nach dem klassischen Muster "Allein gegen die Mafia", doch die Handlung beginnt ganz anders: Plötzlich entdeckt ein Fischer einen riesigen Schatten unter seinem Boot. Er kann sich im letzten Moment befreien, als das Netz, in dem sich sein Fuß verheddert hat, ins Wasser gezogen wird. In einem Ozeanhorrorfilm wäre der Spuk selbstredend nur scheinbar vorbei, aber Zennaro kann kurz drauf in einem Lokal seine Erzählung vom "See-Ungeheuer" zum Besten geben.

Küchenhilfe Angelo (Max Riemelt) begleitet den Fischer zurück zu seinem Boot. Zennaro (Claudio Caiolo) zeigt ihm einen Krebs, der seine Schale wechselt, als würde er sein altes Leben einfach hinter sich lassen. Das ist exakt die Geschichte von Angelo, der in Wirklichkeit Gabriel heißt und zum Schutzengel eines kleinen Jungen und seiner Mutter wird. 

Bereits mit der Einführung ihrer Hauptfigur lassen Florian Iwersen und (Buch) und Claudia Garde (Regie) keinen Zweifel daran, dass ihre Hauptfigur schwer an einer traumatischen Last trägt. Zunächst bestehen die Erinnerungen Gabriels nur aus Bruchstücken, aber rasch wird klar, dass der ehemalige Bundeswehrsoldat bei einem Auslandseinsatz große Schuld auf sich geladen hat. Das Ereignis hat ihn komplett aus der Bahn geworfen; seit sechs Jahren ist er auf der Flucht vor sich selbst. Das funktioniert natürlich genauso wenig wie der Western-Vorsatz, sich aus allem rauszuhalten: Als Gabriel hört, wie nebenan Schüsse fallen, stopft er ein paar Sachen in einen Rucksack, öffnet die Tür des Vogelkäfigs und will sich wie vermutlich schon viele Male zuvor aus dem Staub machen. Diesmal jedoch kommt was dazwischen: Nachbarin Sofia (Lisa Lendaro) und ihr Sohn Luca werden von einem bewaffneten Typen bedroht. Gabriel bricht ihm nach kurzem Handgemenge das Genick, fängt sich aber einen Streifschuss ein, und jetzt passiert genau das, was er immer vermeiden wollte: Er steckt mittendrin im Schlamassel. 

In Mafia-Filmen heißt es gern: "Es ist nichts Persönliches, es geht nur ums Geschäft." Das ist in diesem Fall anders: Gangster Paolo war der Ziehsohn der deutschstämmigen Mafia-Patin Gaia Contarini (Jeanette Hain), die außerdem eine drei Tonnen schwere Kokain-Lieferung vermisst. Offenbar hat Sofias Mann das Rauschgift unterschlagen. Ob Gabriel will oder nicht: Nun sitzt er mit der Nachbarin im selben Boot. Clever nutzt Iwersen das Belastungstrauma, um aus dem Antihelden einen Schutzengel zu machen: Als Luca entführt wird, bietet sich dem einstigen Elitesoldaten die Gelegenheit, einen Teil seiner Schuld abzutragen; fortan pflastern Leichen seinen Weg. Garde kann es sich sogar leisten, die akustischen Thriller-Elemente wohldosiert zu verwenden: Die Handlung ist packend genug, die Spannung gerade der Action-Momente braucht gar nicht gesteigert zu werden. Meist ist die gute Musik (Susan DiBona & Salvatore Sangiovanni) bloß eine Art Hintergrundrauschen, aber in den Fluchtszenen ist sie sehr präsent. 

Die beste Idee der Verantwortlichen war jedoch die Besetzung der Gegenspielerin: Jeanette Hain versieht Gaia Contarini mit viel Gefühl. Die Frau hätte allen Grund, Gabriel zu hassen, gibt sich jedoch ausgesprochen freundlich und betont gleich mehrfach, dass sie bloß die Anweisungen ihres inhaftierten Gatten umsetzt. Die Drecksarbeit überlässt sie ohnehin ihren Folterschergen. Als einer ihrer Männer den kleinen Jungen zu ihr bringt, sitzt sie betend und weinend in einer Kirche, und spätestens angesichts ihres liebevollen Umgangs mit dem Kind lässt sich vermuten: Luca soll dereinst Paolos Platz einnehmen. Das kann Gabriel natürlich nicht ahnen. Ihm bleiben 24 Stunden, um das Kokain zu beschaffen und Luca zu retten; aber der einzige, der wusste, wo sich die Lieferung befindet, ist tot. 

"Spurlos in Venedig", dritter Teil der losen "Spurlos"-Reihe, ist im Spätherbst gedreht worden; die üblichen Postkartenaufnahmen hätten ohnehin nicht zur Stimmung des Films gepasst. Die reizvollen Nebelbilder verströmen gemeinsam mit den Innenaufnahmen ehedem prächtiger Palazzi einen morbiden Charme. Auch das Sprachbild ist authentisch: Dem wortkargen Gabriel genügen ein paar Brocken, um sich mit den Einheimischen zu verständigen, und Jeanette Hain spricht vorzüglich Italienisch. Manchmal, sagt Gaia zum Schluss, endet der Weg, den wir gehen, ganz anders, als wir uns erhofft haben. Als Gabriel das vermeintliche Ende seines Weges erreicht, wird endlich klar, was es mit dem "See-Ungeheuer" auf sich hat.