Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat neue friedensethische Überlegungen infolge aktueller Krisen und Konflikte vorgestellt. "Die Denkschrift ist ein Kompass durch eine Zeit voller Bedrohungen, Kriege und Konflikte. Mit der klaren Ausrichtung auf einen gerechten Frieden", sagte die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs am Montag in Dresden. Dort tagt derzeit die Synode der EKD. Die neue Friedensdenkschrift trägt den Titel "Welt in Unordnung - Gerechter Frieden im Blick". Die vorangegangene friedensethische Denkschrift stammte aus dem Jahr 2007. evangelisch.de hat die Pressekonferenz live für Sie verfolgt.
Der Münchner Theologe Reiner Anselm aus dem Autoren-Team sagte, es sei aus den Debatten im Vorfeld bekannt, dass manche auf das Papier mit Skepsis blicken und es als zu nüchtern und realistisch sehen. "Wir wollten kein Manifest, sondern ein Werkzeug", sagte er vor den Delegierten der Synode.
Dem neuen Grundsatzpapier war ein Diskussionsprozess in der sogenannten Friedenswerkstatt vorausgegangen, der 2022 im Zuge der russischen Vollinvasion der Ukraine von den Gremien der EKD beschlossen worden war. Damals hatte der russische Überfall auf die Ukraine Debatten innerhalb der Kirche über die Notwendigkeit von Waffenlieferungen ausgelöst.
Die neue Friedensdenkschrift bleibt beim Leitbild des "gerechten Friedens", für den vier Dimensionen erfüllt sein müssen: der Schutz vor Gewalt, die Förderung von Freiheit, der Abbau von Ungleichheiten und ein friedensfördernder Umgang mit Pluralität. Dem Schutz vor Gewalt, für den auch der Einsatz militärischer Mittel als "ultima ratio" legitim ist, wird in der neuen Denkschrift aber eine Vorrangstellung eingeräumt.
Gewalt nur als "Ultima Ratio"
Fehrs sagte, gerechter Frieden sei mehr als Abwesenheit von Krieg. "Es bleibt ein Gebot der Nächstenliebe, dass wir Menschen, die an Leib, Leben und ihrer Würde bedroht sind, nicht schutzlos der Gewalt ausgesetzt lassen." Waffenlieferungen dürfen laut Denkschrift nur dem Schutz der Bevölkerung und der Wiederherstellung des Friedens dienen. Ein besonderer Punkt ist die Abwägung zur atomaren Abschreckung. Die Denkschrift ächtet Atomwaffen wie bereits 2007 weiterhin als friedensethisch nicht zu rechtfertigen, erkennt aber an, dass die Drohung mit Atomwaffen einer wirkungsvollen Verteidigung dienen kann.
Frage der Atomwaffen bleibt Dilemma
Waffenlieferungen dürfen laut Denkschrift nur dem Schutz der Bevölkerung und der Wiederherstellung des Friedens dienen. Ein besonderer Punkt ist die Abwägung zur atomaren Abschreckung. Die Denkschrift ächtet Atomwaffen wie bereits das Vorgängerpapier von 2007 weiterhin als friedensethisch nicht zu rechtfertigen, erkennt aber an, dass die Drohung mit Atomwaffen einer wirkungsvollen Verteidigung dienen kann.
Die Mit-Autorin und Leiterin der Evangelischen Akademie zu Berlin, Friederike Krippner, sagte: "Bei grundsätzlich sehr komplexen Güterabwägungen will die Denkschrift auch politisch Handelnde unterstützen, ihre Entscheidungen als Gewissensentscheidungen zu vertreten. Deswegen meiden wir den Begriff des 'Dilemmas', der ja suggeriert, es gebe nur gleich schlechte Entscheidungsmöglichkeiten. Tatsächlich verwenden wir ihn nur an einer Stelle - bei der Diskussion über Atomwaffen und nukleare Abschreckung."
Der Friedensbeauftragte der EKD, Friedrich Kramer, sagte bei der öffentlichen Präsentation der Denkschrift in der Dresdner Frauenkirche, er habe dem Rat empfohlen, kirchenpolitisch beim "Atompazifismus" zu bleiben. Die EKD-Ratsvorsitzende Fehrs entgegnete, die Denkschrift lehne Atomwaffen aus ethischer Sicht ganz klar ab. "Atomwaffen gehören weltweit abgeschafft", sagte sie. Dass die Drohung mit Atomwaffen in der Denkschrift als Dilemma beschrieben werde, mindere diese Grundhaltung nicht.
In zentralen Punkten gibt es Akzentverschiebungen:
Investitionen in Verteidigung
Die EKD hält in ihrer Denkschrift am Leitbild des "gerechten Friedens" fest, der vier Voraussetzungen habe: Schutz vor Gewalt, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Anerkennung von Pluralität. Sie verschiebt aber in dem neuen Papier den Akzent, indem sie dem Schutz vor Gewalt und damit der Verteidigungsfähigkeit einen Vorrang gibt. "In Verteidigung muss investiert werden, denn sie dient dem Schutz von Menschen, Rechten und öffentlicher Ordnung", heißt es in der Denkschrift. Sie fordert zugleich ein "rechtes Augenmaß" beim Ausbau militärischer Kapazitäten einschließlich parlamentarischer Legitimation und Rüstungskontrolle.
Einzelfallabwägung bei Rüstungsexporten
Mit unterschiedlichen Auffassungen zu den Waffenlieferungen an die Ukraine hatte 2022 die Diskussion um die Friedensethik der evangelischen Kirche begonnen. Zu diesem Punkt positioniert sie sich nun so: Es gebe zwar keine Pflicht, mit Rüstungsexporten angegriffenen Ländern beizustehen. Es gelte aber, Opfern von Gewalt zu helfen und - im Fall eines Angriffs - den Rechtsbruch zu sanktionieren. Im Ergebnis empfiehlt die EKD eine Einzelfallabwägung, was der deutschen Rechtslage entspricht. In die Abwägung gehört nach ihrer Überzeugung auch, welche Auswirkungen Waffenlieferungen für die eigene Bevölkerung haben können und ob die gelieferten Waffen ausschließlich dem Schutz der Bevölkerung dienen oder zur Eskalation beitragen.
Prävention als Antwort auf hybride Bedrohungen
Die evangelische Kirche wirbt vor dem Hintergrund von Desinformation und Sabotage als Mittel sogenannter hybrider Kriegsführung in ihrer Denkschrift für ein breites Verständnis von Sicherheit, das nicht nur militärische Verteidigungsfähigkeit umfasst. Demokratien seien angewiesen auf mündige Bürgerinnen und Bürger, formuliert das Papier und verweist dabei unter anderem auf Bildung und den Schutz demokratischer Diskurse. An dieser Stelle sieht sie sich als auch selbst in der Pflicht, aufzuklären und Polarisierung entgegenzuwirken.
Atomare Abschreckung
Das Nein zu nuklearer Abschreckung in der Friedensdenkschrift aus dem Jahr 2007 wird in der Neuauflage abgeschwächt: Die Ächtung von Atomwaffen sei zwar geboten, heißt es in der Neupositionierung der evangelischen Kirche. Der Besitz könne aber "trotzdem politisch notwendig sein, weil der Verzicht eine schwerwiegende Bedrohungslage für einzelne Staaten bedeuten könnte". Die EKD bezeichnet dies als "Dilemma", das im Moment nicht aufgelöst werden könne.
Wehrdienst und Dienstpflicht
In der Debatte um den neuen Wehrdienst rät die evangelische Kirche zum jetzigen Zeitpunkt zum Ausbau der Freiwilligendienste, lehnt eine Dienstpflicht aber auch nicht ab. "Aus der Tradition der evangelischen Ethik heraus ist gut begründbar, dass sich Einzelne für die Sicherheit des Gemeinwesens in die Pflicht nehmen lassen", heißt es in der Denkschrift, die aber vor Einführung einer solchen Pflicht eine breite gesellschaftliche Debatte als zwingend ansieht. Die Forderung nur nach einer Wehrpflicht sieht sie als Verengung und plädiert stattdessen eher für eine allgemeine Dienstpflicht, die auch für Frauen gelten könnte. "Nur im Verbund verschiedener Formen des Engagements für Sicherheit und Frieden lässt sich bürgerschaftliche Widerstandsfähigkeit erreichen, die die freiheitliche Ordnung schützt", heißt es in der Denkschrift.




